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Wolgograd
Schockenhoff: Anschläge schaden Putin

Das Angebot Putins, absolute Sicherheit und Wohlstand im Austausch für eine Einschränkung demokratischer Freiheit, gehe nicht auf, sagt Andreas Schockenhoff (CDU), Russland-Beauftragter der Bundesregierung, im Deutschlandfunk. Wegen der Sicherheitsprobleme werde es in Russland eine Debatte geben über die Zukunft des Landes.

Andreas Schockenhoff im Gespräch mit Christoph Heinemann | 30.12.2013
    Christoph Heinemann: Am Telefon ist Andreas Schockenhoff, CDU-Bundestagsabgeordneter und Russland-Beauftragter der Bundesregierung. Guten Tag.
    Andreas Schockenhoff: Guten Tag, Herr Heinemann.
    Heinemann: Herr Schockenhoff, zwei Anschläge in zwei Tagen – halten Sie die Olympischen Winterspiele für gefährdet?
    Schockenhoff: Nein. Ich gehe davon aus, dass es in Sotschi maximale Sicherheitsvorkehrungen und Kontrollen gibt. Deswegen werden die Spiele hoffentlich sicher abgehen. Und ich hoffe, dass die Olympischen Spiele als ein Ereignis des Sportes auch nicht von politischen Fragen überfrachtet werden. Aber nach den Spielen wird es in Russland eine neue Debatte geben. Putins Angebot an die Gesellschaft war, eine völlige Kontrolle über alle Lebensbereiche auszuüben und im Gegenzug Sicherheit zu bieten, Wohlstand zu bieten, Prosperität zu bieten. Dort wird es jetzt eine Verunsicherung geben.
    Heinemann: Aber viele werden diese völlige Kontrolle befürworten nach diesen beiden Anschlägen.
    Schockenhoff: Das war immer das Angebot Putins. Er hat gesagt, wenn es Einschränkungen demokratischer Vielfalt gibt, wenn Gerichte kontrolliert werden, wenn zivilgesellschaftliches Engagement eingeschränkt wird, dann bekommt ihr im Gegenzug dazu eine absolute Sicherheit, ihr bekommt Wohlstand, ihr bekommt Ordnung. Und wenn er das durch eine rein vertikale Machtausübung nicht gewährleisten wird oder gewährleisten kann, dann wird es eine Debatte geben. Eine offene Gesellschaft ist verwundbar und eine offene Gesellschaft muss sich wehren können. Aber indem man Zivilgesellschaft einschränkt, indem man Gerichte kontrolliert, indem man keine freien Medien zulässt, kann man eben solche kriminellen Terroranschläge nicht unter Kontrolle haben.
    Heinemann: Entschuldigung! Putin könnte jetzt sagen, wir haben noch nicht genug kontrolliert. Unterm Strich: nutzen oder schaden diese Anschläge dem Präsidenten?
    Schockenhoff: Natürlich schaden Sie dem Land. Das ist doch das Entscheidende. Und damit schaden sie auch dem Präsidenten. Aber es ist eben nicht aufgegangen, dass alle Einschränkungen im Grunde genommen eine absolute vertikale Machtkontrolle, die Pluralismus, Meinungsvielfalt einschränkt, eben nicht völlige Sicherheit garantieren kann. Und dann ist Russland natürlich ein Land voller Probleme. Es gibt ein Nationalitätenproblem, es gibt auch in den Regionen Probleme, die nicht durch Einschränkung bürgerlicher Freiheitsrechte gelöst werden können. Eine offene Gesellschaft muss sich diesen Fragen stellen und kann eben nicht durch Repression absolute Sicherheit bieten.
    Heinemann: Stichwort, Herr Schockenhoff, Nationalitätenproblem. Ist es jetzt naheliegend, diese Anschläge mit der Lage in Tschetschenien in Verbindung zu bringen?
    Schockenhoff: Das ist alles Spekulation. Und dass natürlich große Ereignisse immer auch für solche Terrorgruppen ein Anlass sind, auf sich aufmerksam zu machen, das haben wir ja in München '72 erlebt. Das haben wir bei anderen Gelegenheiten erlebt. Man sollte jetzt das nicht überfrachten. Aber dass Russland seine Zukunftschancen, auch seine ökonomischen Chancen eben nur in einer offenen und freien und vielfältigen Gesellschaft wahrnehmen kann, das wird dann diskutiert werden müssen. Und ich hoffe, dass wir jetzt nicht die Olympischen Spiele mit diesen Fragen überfrachten. Ein Grundproblem Russlands ist natürlich auch eine grassierende und immer mehr um sich greifende Korruption, die mit dieser strengen Vertikalität von oben nach unten... In einer klaren Hierarchie gibt es natürlich auch Korruption, gibt es Begünstigung. Dadurch sind die Sicherheitsprobleme nicht aus der Welt. Und deswegen wird es nach den Spielen - wir sollten jetzt nicht spekulieren und das Sportereignis mit diesen Fragen überfrachten – aber in Russland eine Debatte geben über die Zukunft des Landes, wie das Land seine Chancen nutzt.
    Heinemann: Herr Schockenhoff, ich möchte das Stichwort Nationalitätenproblem noch mal aufgreifen und noch mal nach Tschetschenien blicken. Putin argumentiert ja, er wolle einer Radikal-Islamisierung Tschetscheniens nicht tatenlos zuschauen. Ähnlich wurde auch der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan begründet.
    Schockenhoff: Ja, aber Putin hat in Tschetschenien natürlich mit Kadyrow, mit einem absolut autokratischen Herrscher, der selbst Terror zum Instrument seiner Politik gemacht hat, ...
    Heinemann: Herr Karzai in Kabul ist aber auch kein Engelchen, oder?
    Schockenhoff: Nein. Aber jetzt Karzai mit Kadyrow zu vergleichen. Oder Tschetschenien mit Afghanistan zu vergleichen, das bringt uns überhaupt nichts.
    Heinemann: Ist aber spannend!
    Schockenhoff: Nein, aber Tschetschenien ist eine russische Teilrepublik und gehört zur Russischen Föderation. Das heißt, es ist auf eigenem Grund und Boden und nicht Terrorgefahr, die uns von einem Rückzugsgebiet von Terrorgruppen am Hindukusch droht, sondern im eigenen Land, innerhalb der Grenzen Russlands wird ein Gouverneur mit terroristischen Methoden der Situation eben nicht Herr. Deswegen muss auch diese Frage künftig anders angegangen werden.
    Heinemann: Anders könnte man fragen: Wird Russlands Freiheit in Grosny verteidigt?
    Schockenhoff: Russlands Freiheit wird an jedem Quadratzentimeter russischen Bodens verteidigt. Ohne die Menschen, ohne aktive Bürger, die Selbstverantwortung übernehmen, die sich für Sicherheit, die sich für ihr Land verantwortlich fühlen, kann man eben nicht von oben Freiheit und Sicherheit aufoktroyieren. Nur mit den Menschen gemeinsam, indem eine im besten Sinne und im umfassenden Sinne wehrhafte Demokratie sich entwickelt, kann Russland in allen Gegenden dieses riesigen und schwierigen Landes auch eine einigermaßen stabile Entwicklung angehen.
    Heinemann: Herr Schockenhoff, worin unterscheidet sich der US-amerikanische oder der westliche Kampf gegen tatsächlichen oder vorgeblichen Terrorismus und der russische?
    Schockenhoff: Der westliche Kampf unterscheidet sich dadurch, dass nicht gesagt wird, wir müssen Demokratie einschränken, wir müssen die Unabhängigkeit der Gerichte unterbinden, wir müssen von oben nach unten alles zentral machen, weil das letztendlich nicht gelingen kann. Im Westen ist der Kampf gegen Terror kein Vorwand dafür, Pluralität, Medienfreiheit, Unabhängigkeit auch der Zivilgesellschaft zu unterbinden. Das kann auch nicht ein Instrument sein für mehr Sicherheit, für mehr Wohlstand und auch für mehr ökonomische Entfaltung.
    Andreas Schockenhoff

    Geboren 1957 in Ludwigsburg, Baden-Württemberg. Er studierte Romanistik, Germanistik und Geschichte in Tübingen und Grenoble und promovierte 1985 mit einer Arbeit über Henri Albert. Für fünf Jahre war er dann als Lehrer tätig. Schockenhoff trat bereits 1973 der Jungen Union bei. Andreas Schockenhoff ist seit 1990 Mitglied des Deutschen Bundestages. Seit 1994 ist er hier Vorsitzender der deutsch-französischen Parlamentariergruppe. Seit 2006 ist er Koordinator für die deutsch-russische zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit.
    Heinemann: Drei Buchstaben sprechen gegen das, was Sie gerade gesagt haben: N, S und A!
    Schockenhoff: Nein. NSA kann man natürlich nicht mit Terror vergleichen. Die NSA-Überwachung ist eine Einschränkung ziviler Freiheiten, die wir nicht akzeptieren können. Dass es eine Abwägung gibt zwischen persönlicher Freiheit und absoluter Sicherheit, das liegt auf der Hand. Aber dass es auch mit strenger, sagen wir mal, beinahe diktatorischer Kontrolle auch keine absolute Sicherheit gibt, zeigt doch, dass wir die totale Überwachung nicht zum Vorwand nehmen dürfen, um Sicherheit zu begründen. Im Gegenteil! Sicherheit können wir nur durch die aktive Mitwirkung aller Menschen gewinnen und Sicherheit setzt gerade auch breites Engagement von Bürgern für ihren Staat, für ihre Gesellschaft, auch für eine bestimmte Form des Zusammenlebens voraus. Und deswegen ist Freiheit und Sicherheit eben kein Gegensatz, sondern kann nur miteinander auch gestaltet werden.
    Heinemann: Herr Schockenhoff, die Bundeskanzlerin hat Präsident Putin kondoliert. Wäre es jetzt hilfreich, wenn der Bundespräsident doch nach Sotschi reiste, sozusagen als Zeichen gegen den Terrorismus?
    Schockenhoff: Nein, aber damit würden wir jetzt Dinge zusammenbinden, die wirklich nicht zusammengehören. Dass Russland, die russische Bevölkerung unsere volle Solidarität hat in einer solch bitteren Stunde, gegenüber einem solchen Verbrechen, dass wir auch zusammenstehen müssen, wenn es darum geht, gegen Terror zu kämpfen, liegt doch auf der Hand. Aber jetzt eine persönliche Entscheidung in Bezug auf die Winterspiele des Bundespräsidenten neu zu bewerten, das wäre nun wirklich falsch. Wir sollten die Olympiade als ein Fest des Sports gelten lassen und nicht mit politischen Fragen überfrachten.
    Heinemann: Andreas Schockenhoff, CDU-Bundestagsabgeordneter und Russland-Beauftragter der Bundesregierung. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!
    Schockenhoff: Auf Wiederhören, Herr Heinemann.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.