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"Woodstock"-Doku von Michael Wadleigh
Wie ein Film den Mythos kreierte

Warum wurde Woodstock zur Ikone? Es lag nicht nur an den 400.000 Menschen, die zum Festival kamen oder den namhaften Musikern, von The Who über Janis Joplin bis Jimi Hendrix. Auch Michael Wadleighs Doku "Woodstock" baute das Monument der Gegenkultur - und wurde 1971 mit dem Oscar ausgezeichnet.

Von Hartwig Tegeler | 15.08.2019
Woodstock, USA 1970, Regie: Michael Wadleigh, Szenenfoto
Menschen, die Frieden und Liebe ausstrahlten: Szenenfoto aus dem Dokumentarfilm "Woodstock - 3 Days of Peace & Music" von Michael Wadleigh (imago / IFTN UnitedArchives)
So ist das mit den Mythen. Je länger das Reale her ist, umso besser für sie. David Crosby erinnert sich in der Cameron-Crowe-Doku "Remember my Name":
"Ich wurde ständig auf Woodstock angesprochen, weil das so eine große Sache geworden ist. Und je länger es her ist, desto größer wird sie."
Crosby, Stills, Nash & Young traten am Sonntag von drei bis vier Uhr nachts auf. 17. August 1969. Mit deren Version von Joni Mitchells Song "Woodstock" endet der Film "Woodstock - 3 Days of Peace & Music". Joni Mitchell selber war nicht da; sie sah im Fernsehen die Massen, die zu Max Yasgurs Weiden in White Lake im Staat New York strömten. Woodstock, der Ort? War nur Namensgeber, lag 70 Kilometer entfernt. Joni Mitchell also kam gar nicht hin, die Straßen zu verstopft, trotzdem brachte sie in ihrem Song die Utopie des Festivals auf den Punkt. Und baute am Mythos.
"Ich muss aufs Land zurück / Und werde meine Seele befreien", sang sie. "Wir sind Sternenstaub, wir sind golden / Wir sind Millionen Jahre alter Kohlenstoff / Und wir müssen zum Garten Eden zurückkehren." Und Michael Wadleigh fand in seinem "Woodstock"-Film die Bilder zu dieser Utopie von Frieden und Musik.
Filmen war körperliche Schwerstarbeit
Das Festival war für die, die es mit der 16-mm-Kamera dokumentierten, allerdings körperliche Schwerstarbeit. Immer bestand die Gefahr, erinnert sich Wadleigh, dass die Filme sich in den Magazinen verhedderten.
Schon am Tag vor Festival-Beginn, am Donnerstag, den 14. August, reisten Wadleigh und seine Crew unter anderem mit 20 Kameraleuten – viele kurzfristig für den Job angeheuert – an, als White Lake, New York, langsam in einen friedvollen Ausnahmezustand hinüberglitt. 200.000 Leute erwarteten die Veranstalter, 400.000 und mehr kamen. Irgendwann ...
"It´s a free concert from now on"
... war es ein freies Konzert. Ein Wahnsinn, erinnert sich in der DVD-Edition Film-Produzent Dale Belle, in diesem Chaos mit dem Dreh zu loszulegen.
Ärger mit den Musikern
Der Film beginnt vor dem Richie-Havens-Auftritt mit den Eindrücken der Anwohner, beispielsweise vom Kneipenbesitzer Sidney Westerville, der sich total begeistert zeigt von den kiffenden Kids mit den langen Haaren. Er könne sich über die kein bisschen beschweren, meint er und lächelt selig in Wadleighs Kamera. Beschweren könnte sich der Filmemacher allerdings über die Musiker; die reichten ihm zwar zu Beginn ihrer Auftritte die Setlists, aber dann spielten sie einfach drauflos und, so Wadleigh:
"Wir konnte es uns nicht leisten", so der Filmemacher, "ständig zu drehen. Das war schlicht ummöglich, denn die Bands gingen einfach nicht von der Bühne."
Regisseur Michael Wadleigh mit einer Filmkamera, im Hintergrund das Publikum des Woodstock-Musikfestivals
1969 fand das legendäre Open-air-Festival Woodstock in der kleinen Gemeinde Bethel westlich von New York statt. Regisseur Michael Wadleigh machte daraus einen Kultfilm (imago / Michael Wadleigh / Woodstock / United Archives)
Denn wer von ihnen hatte schon einmal vor solch einem gigantischen Publikum gespielt? Bei Jimi Hendrix legendärer Dekonstruktion der US-Nationalhymne am Montagmorgen allerdings waren von den 400.000 Zuschauern noch 35.000 da. Der Kameraschwenk vom Gitarrenguru aufs Restpublikum, da auf der plattgetretenen Weide in einem Meer aus Müll und angetrocknetem Schlamm verbreitet ein gewisse Katerstimmung.
Breitbildformat mit Split-Screen-Technik
Wadleighs Film, ein Jahr später im Kino, war dann 184 Minuten lang und begründete - vielleicht mehr als das reale Festival - den Mythos, den der Hippie-Bewegung und ihrer Musik. Die "Woodstock"-Bilder gingen ins kollektive Gedächtnis ein und setzten gegen die von D. A Pennebakers über das "Monterey Pop Festival" von 1967 durch, obwohl mit Jimi Hendrix, Janis Joplin, The Who oder Canned Heat zum Teil die gleichen Musiker auftraten.
Wann entsteht das Mythische? Zu kalkulieren ist das nicht. In Woodstock, beziehnungsweise dem Film darüber, gehörten unbedingt dazu das nackte Baden, der gigantische Regenguss, Schlamm-Orgien, vor allem aber Menschen, die Frieden und Liebe ausstrahlten. 1969 hatten die Musiker vielleicht nicht unbedingt ihre besten Musikauftritte, aber sie schrieben Zeitgeschichte. Im Breitbildformat mit Split-Screen-Technik.
Wann kommt Musik tief unten an? Zu kalkulieren ist das nicht. "Woodstock" war das fiebernde Bild eines gigantischen Energiefestes. Eben, wie Joni Mitchell sang: "Wir sind Sternenstaub / golden." Eine Utopie, ein "Nirgend-Ort", aber mit Wirkung.