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World Vision fordert Einsatz internationaler Friedenstruppe in Libera

Durak: Eine ganze Reihe von internationalen Hilfsorganisationen haben ihre Mitarbeiter aus der liberianischen Hauptstadt Monrovia gestern abgezogen, ihre Sicherheit ist nicht mehr gewährleistet. Chaos, Verwüstungen, Gewalt, sie scheinen nicht mehr aufzuhalten. In einer Woche werden zwar nigerianische Friedenstruppen erwartet, und Präsident Taylor hat gestern angekündigt, er werde dann das Land verlassen, aber was geschieht bis dahin? World Vision war bis gestern noch in Monrovia, obwohl auch diese internationale Hilfsorganisation Opfer von Plünderungen geworden ist. Wolfgang Jamann leitet bei World Vision die Abteilung Humanitäre Hilfe und hält Kontakt zu seinen Mitarbeitern. Schönen guten Morgen!

    Jamann: Ja, guten Morgen!

    Durak: Herr Jamann, was ist denn in Ihrem Büro dort geschehen?

    Jamann: Unser Büro wurde vor einigen Tagen angegriffen und geplündert. Es gab also Gewehrbeschuss und auch eine Granate ist dort eingeschlagen. Das heißt, ein Großteil unserer Akten, Computer, Autos und Motorräder sind gestohlen worden.

    Durak: Welche Mitarbeiter haben Sie denn noch in Monrovia selbst?

    Jamann: Wir haben in Monrovia noch etwa 25 lokale Mitarbeiter. Da sind Ärzte dabei und technische Spezialisten. Wir mussten aber die beiden letzten verbliebenen internationalen Mitarbeiter diese Woche auch evakuieren.

    Durak: Wie ist denn, Herr Jamann, unter solchen Umständen Hilfe überhaupt noch möglich und leistbar?

    Jamann: Ja, das ist natürliche extrem schwierig. Unsere Mitarbeiter versuchen im Moment erst mal ihr eigenes Leben nicht zu gefährden. Das heißt, sie sind zum Großteil in ihren Wohnungen zusammen mit zum Teil Dutzenden von intern Vertriebenen, die dort Zuflucht gesucht haben. Allerdings kommt es dann hin und wieder immer wieder auch zum Abflauen von Kämpfen. Wir arbeiten seit mehreren Wochen in einem großen Fußballstadion, wo es mittlerweile über 40.000 interne Vertriebene gibt. Und da kommt man sporadisch immer mal wieder hin und kann zumindest erste Hilfe, also insbesondere medizinische Hilfe leisten.

    Durak: Wie bekommen Sie die Mittel dazu ins Land?

    Jamann: Diese Krise ist ja bereits vor einigen Wochen in Monrovia ausgebrochen, und davor gab es eine Reihe von Hilfsmaßnahmen für Flüchtlingslager außerhalb der Stadt. Hier haben wir schon eine Reihe von Medikamenten und andere Hilfsgüter in die Stadt gebracht, und die konnten wir bis vor kurzem noch relativ gut einsetzen. Jetzt ist es aber so, dass wohl in den letzten Tagen auch der Hafen und die dort sich befindlichen Lagerhäuser von den Rebellen eingenommen worden sind. Und auch die werden jetzt natürlich sukzessive geplündert.

    Durak: Das heißt, Ihre Mittel sind bald erschöpft?

    Jamann: Ja, und das ist ganz praktisch sogar so: Wir haben vor einer Woche noch versucht Geld dahin zu überweisen. Jetzt sind die Banken geschlossen. Auch die Läden haben zu. Es ist im Moment fast nicht mehr möglich, dort irgendetwas zu tun.

    Durak: Wie leben oder überleben die Flüchtlinge unter solchen Umständen in der Stadt?

    Jamann: Das wird zunehmend dramatisch. Es gab ja mehrere hundert Tote allein durch die Kämpfe. Jetzt wird es eben für die Flüchtlinge auch sehr schwierig, die Lebensgrundlage beizubehalten, das heißt: Es gibt keinen Zugang mehr zu Nahrungsmitteln. Es gibt kaum sauberes Wasser. Allerdings gibt es in Monrovia relativ viele Flüsse. Und dort versuchen insbesondere die Frauen, Wasser für ihre Familien zu schöpfen. Aber das ist dann lebensgefährlich, weil halt immer noch scharf geschossen wird.

    Durak: Unter Umständen auch ziemlich ungesund?

    Jamann: Eben das, ziemlich ungesund. Wir hatten bereits vor zwei Wochen erste Cholera-Fälle. Epidemien treten natürlich unter solchen Umständen relativ schnell auf.

    Durak: Haben denn, Herr Jamann, die internationalen Hilfsorganisationen untereinander ihre Arbeit koordiniert?

    Jamann: Das ist bis vor kurzem noch relativ gut gegangen. Man traf sich eigentlich jeden Tag dort vor Ort, auch hier in Deutschland sind wir natürlich untereinander im Gespräch. Aber es sind eigentlich Nur eine Handvoll von internationalen Hilfsorganisationen. Wir sind in keinster Weise in der Lage den Bedarf zu decken, weil tatsächlich in den letzten Wochen mehrere Hunderttausend intern Vertriebene von außen aus dem Land nach Monrovia hereingelaufen sind. Und die zu versorgen, dazu bedarf es natürlich eines relativ großen Aufwands.

    Durak: Was ist denn aus Ihrer Sicht, Herr Jamann, zwingend notwendig in diesen Tagen?

    Jamann: Jetzt befinden wir uns wahrscheinlich auf dem Höhepunkt der Kämpfe. Und es ist sicherlich notwendig, dass Charles Taylor das Land verlässt, dass auch so etwas wie eine multinationale Friedenstruppe, die ja offensichtlich auf dem Weg ist, in Monrovia zunächst einmal einen Minimalstandard an Sicherheit und Ordnung aufrecht erhält. Dann können wir auch relativ schnell wieder operativ werden. Solange hier scharf geschossen wird, sind eben leider nicht nur die intern Vertriebenen, sondern auch die Angehörigen von Hilfsorganisationen in Lebensgefahr. Das ist so eine Phase, wo wir alle relativ verzweifelt sind.

    Durak: Sind denn die Hoffnungen berechtigt, dass mit dem Einzug internationaler Truppen in den nächsten Tagen die Kämpfe abflauen?

    Jamann: Da kann man eigentlich von ausgehen. Das ist auch in den Nachbarländern in den letzten Jahren gelungen. Wir hatten ja auch vor ein paar Wochen die Entsendung von französischen Friedenstruppen in den Kongo. Auch in Sierra Leone gab es vor ein paar Jahren den Einsatz von Briten, die dort erst mal für Ruhe und Ordnung gesorgt haben. Das ermöglicht uns als humanitäre Hilfsorganisation dann erst mal, unsere Arbeit zu tun, das heißt, den Leuten zu helfen. Das bedeutet allerdings nicht, dass Liberia stabilisiert wird. Und da sehe ich auch ein bisschen schwarz, weil man in der Regel relativ schnell wieder eine Zivilverwaltung braucht. Und es ist halt weder so, dass das Regime von Charles Taylor noch die beiden hier aktiven Rebellentruppen auch nur ansatzweise ein glaubwürdiges Interesse am Wohle der Zivilbevölkerung haben. Da müsste man sich möglicherweise mal Gedanken über Alternativen machen, zum Beispiel ein UN-Protektorat, eine UN-Verwaltung wie es sie im Kosovo oder auch in Ost-Timor gegeben hat.

    Durak: Wolfgang Jamann war das, Leiter der Abteilung Humanitäre Hilfe bei der internationalen Hilfsorganisation World Vision. Herzlichen Dank, Herr Jamann, für diese Informationen!

    Jamann: Ich danke!

    Link: Interview als RealAudio