Archiv


Wowereit, SPD

Günter Hellmich |
    Hellmich: Herr Regierender Bürgermeister, beim Schreiben der Regierungserklärung, die Sie ja demnächst vor dem Abgeordnetenhaus abgeben werden, haben Sie sich auch über das Selbstverständnis Berlins als Hauptstadt im Verhältnis zum Bund Gedanken gemacht. Muss da eigentlich manches neu definiert werden?

    Wowereit: Die Republik muss vor allen Dingen darüber diskutieren, wie sie ihr Verhältnis zur Hauptstadt regeln möchte. Wir haben ja eine historisch bedingte Situation gehabt in den Zeiten nach dem Zweiten Weltkrieg, dass die Republik ja keine Hauptstadt hatte im eigentlichen Sinne. Wir hatten einen Regierungssitz, wir hatten eine noch im Geiste und formale Hauptstadt auch Berlin, aber wir hatten ja keine Metropole, die gleichzeitig Regierungssitz war. Dadurch hat sich in der Bundesrepublik etwas entwickelt, was es in kaum einem anderen Land der Welt gibt, dass nämlich eine wirtschaftliche Entwicklung abgekoppelt war von der Entwicklung der Hauptstadt und der Metropole eines Landes. Diese Kluft, diese historisch anormale Situation, die muss überwunden werden. Und das bedeutet auch, dass man in der Republik erstmal intellektuell, aber auch emotional darüber diskutieren muss: Was bedeutet Hauptstadt für eine Republik ?. Wir sind nicht nur Hauptstadt der Berlinerinnen und Berliner, sondern auch der Schweriner, der Münchener. Und dies muss auch erfahren werden emotional und natürlich auch intellektuell.

    Hellmich: Kann Berlin als so normales Bundesland eigentlich weiter existieren, oder muss man auch über eine neue rechtliche Grundlage nachdenken; also, das Beispiel Washington DC ist ja immer wieder in der Diskussion?

    Wowereit: Diese Diskussion halte ich für falsch. Wir wollen Berlin nicht abkoppeln als Bundesland von der Solidarität und von der Gemeinschaft der deutschen Länder. Wir sind Teil des föderalen Systems, und das hat sich auch bewährt. Ein Sonderstatus Berlins würde bedeuten, dass wir aus dieser Gemeinschaft der deutschen Länder ausgegliedert würden. Aber natürlich die Frage, wie weit der Bund sich engagiert und wie weit sich auch andere Länder in Berlin engagieren, bleibt deshalb natürlich trotzdem auf der Tagesordnung.

    Hellmich: Vom Selbstverständnis der Hauptstadt mal zum Selbstverständnis des Regierenden Bürgermeisters. Man hat Sie ja in den letzten Wochen als 'Regierender Partymeister' geschmäht. Können Sie das Bild eigentlich noch sehen, wo Sie Champagner aus den roten Pumps trinken?

    Wowereit: Also, erstens wurde da nie draus getrunken, sondern es wird suggeriert. Zweitens würde ich heute den roten Schuh gleich wieder fallenlassen. Gott sei Dank war ich zu dem Zeitpunkt noch nicht so mit Scheren im Kopf behaftet, dass ich sofort unhöflich geworden wäre, als mir die Dame den Schuh gereicht hat und ein Fotograf das fotografiert hat. Ich würde das heute nicht mehr machen, instinktiv würde heute der Schuh zu Boden gehen. Trotzdem ist das ein Zerrbild. Ich frage immer bei dieser Gelegenheit die Journalisten: 'Was meinen Sie eigentlich, auf wie Bällen ich war in meiner achtmonatigen Amtszeit?' Dann kommen immer enorme Zahlen zustande. Ich war genau auf zwei Bällen - eingeladen von Journalisten einmal beim Bundespresseball und einmal beim Landespresseball. Also, da wird auch ein Bild in der Öffentlichkeit geprägt, was der Realität nicht entspricht. Es waren aber auch sehr schöne Fotos dabei, das muss ich auch sagen.

    Hellmich: Fest steht aber, dass Sie nach Ihrer ersten Wahl im Juni letzten Jahres eine wesentlich bessere Presse hatten als vor und nach der Wahl im Januar.

    Wowereit: Die Bildung des Senats war eine schwierige Angelegenheit. Die Ampelverhandlungen, die sich über vier Wochen hinzogen mit Tag- und Nachtsitzungen, hat die einen erfreut, die anderen geärgert. Ich habe mindestens gleich viele E-Mails bekommen gegen die Ampelkoalition wie ich sie jetzt teilweise bekomme gegen Rot-Rot. Und danach kam der Prozess auch der Bildung einer rot-roten Regierung, was in dieser Stadt natürlich große Emotionen auslöste. Und da ist selbstverständlich, dass es sich polarisiert. Und dass natürlich auch derjenige, der an der Spitze der Regierung steht, mit ins Sperrfeuer der Kritik gerät - denke ich - ist ein normaler Vorgang.

    Hellmich: Für viele war auch die Regierungsmannschaft nicht so ganz überzeugend, da fehlte so ein bisschen der Glanz. Und die Senatorensuche - die dauerte ja auch ziemlich lange. Ist es eigentlich schwierig, für die Bundeshauptstadt politisches Personal zu finden?

    Wowereit: Die Berliner Landesregierung kann sich messen mit allen anderen Landesregierungen oder mit Regierungen auf anderen Ebenen. Wir müssen uns da nicht verstecken, und es ist auch nicht schwierig, Personal zu bekommen für die Situation in Berlin, obwohl es sicherlich einfachere Aufgaben gibt in anderen Bundesländern oder sogar in der Bundesregierung. Und eines muss ich auch mal sagen: Irgendwo muss dann auch mal die Kirche im Dorf bleiben. Bei manchen Journalisten habe ich den Eindruck, die Kabinettsliste hätte von Kofi Annan angeführt werden müssen.

    Hellmich: Der neue Finanzsenator hat ja gerade seine Eröffnungsbilanz vorgelegt, und die hat ja die Berechnungen der Koalitionsvereinbarung, die ja auch noch nicht ganz so alt ist, ziemlich in den Schatten gestellt. Muss da jetzt noch mehr gespart werden als vorgesehen war in der Koalitionsvereinbarung?

    Wowereit: Es muss nicht mehr gespart werden in dem Sinne, weil - das war von vornherein klar, dass wir einen ganz strikten Haushaltskonsolidierungskurs fahren müssen - weil er alternativlos ist. Wir wollen ja, dass zukünftige Generationen auch noch eine Handlungsfähigkeit der Stadt haben, und deshalb gibt es keine Alternative dazu. Aber ich glaube, dass diese Eröffnungsbilanz heilsam war, hoffentlich auch ein heilsamer Schock war, dass auch mal deutlich wird, in welcher dramatischen Situation das Land Berlin sich befindet. Das wird ja beschrieben seit vielen Jahren, aber es kommt ganz schwer an, weil natürlich solche Zahlen wie über 6 Milliarden Euro, Erhöhung der Nettokreditaufnahme - das sind abstrakte Begriffe. Es kann sich ja kaum einer vorstellen, was das eigentlich tagtäglich bedeutet - die damit verbundenen Zinszahlungen. Es ist immer einfacher, den Leuten auch klipp und klar zu sagen: Das bedeutet auch pro Tag eine Zinszahlung - wenn wir unseren Schuldenstand angucken, der auch bei über 40 Milliarden Euro dann liegen wird, dass hier täglich 6 oder 7 Millionen Euro Zinsen bezahlt werden müssen. Was könnten wir damit alles tun, da würden sich viele Diskussionen von selbst erledigen. Also, das ist so eine abstrakte Zahl, und immer dann, wenn es sich konkretisiert bei einzelnen Maßnahmen, wo man Einsparungen macht, versteht's dann keiner mehr, und die eigene Betroffenheit rückt wieder in den Vordergrund zu einer Situation, wo wirklich jeder sagt: 'O.k., wir müssen sparen, das sehen wir ein'. Aber wenn es bei ihm anfängt, dann ist es schon wieder vorbei mit der Einsicht.

    Hellmich: Eine Aussage von Herrn Sarrazin war ja besonders bemerkenswert: 'Berlin hat nicht zu wenig Einnahmen, sondern zu viele Ausgaben'. Das hat man ja so in der Klarheit noch nicht gehört. Können Sie unter diesen Umständen eigentlich noch mit Hilfe von außen rechnen?

    Wowereit: Wir haben von Anfang an gesagt, dass wir zuerst unsere eigenen Hausaufgaben machen müssen. Wir haben uns nie darauf verlassen, anders, als das die CDU mal gesagt hat, die sich zurückgelehnt hat und gesagt hat - na ja, - typisches Zitat von Landowski: 'Wenn der erste Obdachlose auf den Treppen des Reichstages liegt, dann wird der Bund uns schon helfen'. Das ist eine vollkommen falsche Mentalität. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass bestimmte Reformprojekte - Umstrukturierung des öffentlichen Bereichs - in anderen Bundesländern, in anderen großen Kommunen schon längst passiert sind, weil einfach der ökonomische Druck größer war. In Berlin gab es die Alimentierung durch den Bund im Westen, wie auch die großen Zuschüsse im ehemaligen Ostteil der Stadt. Und dadurch ergab sich auch eine bestimmte Mentalität, nämlich dass uns andere helfen. Nein, wir müssen unsere eigenen Probleme in den Griff bekommen, und das heißt auch: Wenn ich Hilfe von jemand anders haben möchte, muss ich dem doch auch den Nachweis bringen können, dass wir nicht Überausstattung haben im Vergleich zu anderen Bundesländern, zu anderen großen Städten. Und das hat Herr Sarrazin ja eindrucksvoll durch seine Zahlen auch belegt. Wir sind in fast allen Themenbereichen besser ausgestattet als andere Länder. Und denen geht's finanziell auch nicht gut. Das heißt, wenn die uns helfen sollen - auch der Bund uns helfen soll -, dann müssen wir natürlich zeigen, dass wir unsere Überausstattung abbauen - natürlich sozial gerecht und mit eigenen Schwerpunkten, das ist auch klar, aber im Vergleich zu anderen Ländern zeigen: Wir haben hier nicht mehr die Fettpölsterchen, sondern die sind abgebaut, und deshalb haben wir einen Anspruch darauf, dass man uns auch hilft.

    Hellmich: Sparmaßnahmen verkünden ist das eine, sie durchsetzen ist das andere, also zum Beispiel im öffentlichen Dienst: Wir haben ja gerade erlebt, wie die Proteste in Sachen Universitätsklinikum einen - ja, sagen wir mal - doch ersten Erfolg hatten.

    Wowereit: Also, beim Klinikum ist ein Erfolg, dass die Betroffenen - die Ärzte, die Dekane, die Universitätspräsidenten - anerkannt haben, dass wir in der Hochschul-medizin einen Betrag von 98 Millionen Euro einsparen müssen. Das ist ja eine Riesensumme. Das hätte ich noch vor wenigen Wochen nicht für möglich gehalten, dass wir das im Konsens erreichen können. Insofern ist das ein Erfolg, weil das ein Musterbeispiel ist für notwendige Umstrukturierung, wo auch Betroffene einsehen, wenn etwas falsch gelaufen ist. Das ist eine interessante Situation, dass ja die Fachleute, auch hochrangige Mediziner, gesagt haben - schon immer: In der Berliner Hochschulmedizin wird ja das wenigste Geld für Forschung, für Wissenschaft ausgegeben. Vieles ist für den normalen Betrieb eines Krankenhauses notwendig und wird verbraucht, aber nicht für den eigentlichen Zweck einer medizinischen Fakultät. Die konnten sich bislang nicht durchsetzen in den Gremien der Universitäten, aber auch bei der Wissenschaftspolitik. Wir haben klare Zeichen gesetzt, und ich bin zufrieden, dass wir gemeinsam die Expertenkommission eingesetzt haben - mit ganz klaren Vorgaben. Und eines ist sonnenklar: Wenn das Ergebnis der Expertenkommission vorliegt und die Vorgaben eingehalten werden, dann ist die Hochschulmedizin in Berlin umgekrempelt, und dann ist sie anders als heute. Und ich wage die These in den Raum zu stellen, dass sie auf mittlere Sicht sogar besser sein wird, weil sie sich konzentrieren wird auf Wissenschaft und Forschung. Und das ist der eigentliche Sinn dieser Maßnahme. Dass natürlich Protest kommt, das ist doch klar. Es wäre ja auch merkwürdig, wenn jemand, der bisher Besitzstände hatte und in seinem eigenen Verantwortungsbereich dann - nicht böse gemeint - sagt: 'Das ist der Schwerpunkt meiner Arbeit, und hier muss auch die Stadt Schwerpunkte setzen' - dass der sich dagegen wehrt, dass etwas passiert. Aber wir müssen doch eine Gesamtschau haben, eine Regierung muss auch für ganz Berlin denken und handeln, und das muss ein ausgewogener Prozess sein. Deshalb muss man bei allem berechtigten Interesse von Gruppen aber immer noch das Gesamtinteresse sehen. Und das bedeutet, dass nicht jeder Protest, so berechtigt er auch im einzelnen aus der individuellen Sichtweise ist, natürlich Erfolg haben kann, weil das ja bedeuten würde, es wäre ein Stillstand, es würde gar nichts in der Stadt passieren.

    Hellmich: Wie wollen Sie eigentlich einschneidende Sparmaßnahmen vermitteln angesichts der Tatsache, dass gleichzeitig vom Land Berlin enorme Summen aufgewendet werden müssen für die Bankgesellschaft, nach wie vor, also beispielsweise 300 Millionen Euro jährlich als Rückstellung zur Absicherung von Immobilienrisiken der Bank?

    Wowereit: Das ist natürlich schwer einzusehen für Betroffene. Ich kriege das auch als Argument immer zu hören: 'Warum müssen wir jetzt sparen für Versäumnisse und Fehler bei der Bankgesellschaft?' Das kann man ja als Position so verstehen, es ändert nur nichts an den Tatsachen. Wir sind Gewährträger der Bankgesellschaft. Das heißt, wir standen jetzt auch vor der Situation, eine Bürgschaft zu übernehmen für die Risiken aus den Immobiliengeschäften der Bankgesellschaft. Das war gar keine freie Entscheidung des Senats, da stand ich mit dem Rücken zur Wand und konnte im Prinzip nur 'Ja' sagen, weil die Konsequenzen - wenn wir die Bürgschaft nicht übernehmen würden - folgende wären: Dann würde die Bank ihre Lizenz verlieren, und das würde bedeuten, dass wir für alle Verpflichtungen der Bankgesellschaft sofort einstehen würden. Das wäre eine finanzpolitische Katastrophe ersten Ranges, das konnte man überhaupt gar nicht machen. Insofern ist die Zahlung oder die Rückstellung von 300 Millionen Euro wirklich noch der geringste Teil daran zu den Konsequenzen, die sich sonst ergeben hätten. Also, da gibt es überhaupt keine Alternative. Und natürlich wäre es mir lieber, dass wir entweder für die Bankgesellschaft, wenn wir sie verkaufen würden, viel Geld bekommen würden oder wenn wir die Dividende hätten, die wir eigentlich mal bekommen sollten von der Bankgesellschaft. Jetzt haben wir eine abstruse Situation, dass wir ein Unternehmen, was normalerweise Geld verdienen sollte, alimentieren müssen. Aber es gibt auch Hoffnung, dass die Bankgesellschaft sich wieder besser aufstellt.

    Hellmich: Wie sehen Sie denn eigentlich die Verantwortung von Politikern Ihrer eigenen Partei an der Misere der Bankgesellschaft? Das ist ja nicht von heute auf morgen gekommen, sondern das sind ja Entscheidungen, die getroffen worden sind in der Vergangenheit.

    Wowereit: Also, man muss klipp und klar unterscheiden zwischen direkten Verantwortlichkeiten in der Bank, wie beispielsweise durch den Chef der Hypothekenbank, Herrn Landowski, der gleichzeitig Fraktionsvorsitzender der CDU war und durch diese Machtfülle auch Entwicklungen in der Bank beschleunigt hat und hervorgerufen hat, die auch zu dieser Schieflage geführt haben, ich darf nur an diesen Aubis-Kredit erinnern - unglaublicher Vorgang. Wie man das überhaupt genehmigen konnte, ist mir bis heute ein Rätsel. Und das hat ja auch schon Untersuchungsausschüsse beschäftigt. Und man muss sehen, dass Bänker, die gegen allgemeine Regeln des Bankgewerbes verstoßen haben, natürlich erstens gekündigt werden müssen und zweitens ihre satten Pensionen wieder einkassiert werden müssen und auch gegebenenfalls zivilrechtlich, aber auch strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden müssen, wenn man ihnen etwas vorwerfen kann. Da hat es ja einen erheblichen Prozess auch gegeben. Und das ist auch die Aufgabe, die dann zu erfolgen hat, von Aufsichtsräten. Sie dürfen eines nicht vergessen bei den Aufsichtsräten: Dort sitzen ja nicht nur Politiker; Politiker waren wirklich die wenigsten, die da drin waren. Da saßen hochrangige Wirtschaftsvertreter drin, da saß ein Vertreter eines Eigentümers drin, ein Bankvorstand, der selber ja das know how haben musste. Da saßen - um nicht zu vergessen - auch Gewerkschafts-vertreter dabei; die sind ja fast paritätisch besetzt, diese Gremien. Und sie haben es nicht mitbekommen, was sich dort an Fehlentwicklungen ergeben hat. Und das ist in der Tat einer der Punkte, die auch zu analysieren sind: Wie kann ein Aufsichtsrat bei solchen Machenschaften teilweise, bei solchen auch verdeckten Aktionen von Bankvorständen - wie kann da ein Aufsichtsrat überhaupt noch Kontrolle ausüben? Und das ist nicht eine Frage eines Individuums, sondern das ist eine Frage jetzt des Gremiums auch. Und ich muss sagen, es wäre jetzt falsch, einzelne aus den Aufsichtsgremien rauszusuchen und ihnen eine Verantwortung zu geben. Die Verantwortung tragen in erster Linie die Manager der Bank, die das getan haben. Und die andere Frage ist die, die man aber wirklich dann kollektiv beantworten muss: Wie kann man einen Aufsichtsrat in die Lage versetzen, so etwas zu erkennen oder auch dann rechtzeitig zu stoppen.

    Hellmich: Wann ist der Punkt gekommen, an dem Sie nach dem Vorbild von Bremen und Saarland zum Bundesverfassungsgericht gehen und Schuldenhilfe des Bundes beantragen?

    Wowereit: Wir haben in der Koalitionsvereinbarung deutlich gemacht, dass wir mit dem Bund verhandeln werden über einen Berlinpakt und dass wir gegebenenfalls, wenn die Voraussetzungen vorliegen für eine verfassungsrechtliche, unverschuldete Haushaltsnotlage, dass wir es nicht ausschließen, auch den Weg nach Karlsruhe zu gehen. So weit sind wir noch nicht. Wir machen erst einmal unsere Hausaufgaben. Das ist das eine, ganz wichtig. Zweitens: Parallel muss der Diskussionsprozess laufen: Was bedeutet Hauptstadt für die Republik? Und dann sind wir an dem dritten Punkt, wo wir klipp und klar alle Zahlen offenlegen werden, und auch dem Bund, aber auch den anderen Ländern gegenüber klarmachen werden und müssen, dass bei der Verschuldung des Landes Berlin und den hohen Zinszahlungen bei allen Sparanstrengungen, die wir jetzt hier machen - und die Stadt merkt es ja, was da auf sie zukommt - dass es dann einen Bereich gibt, wo wir sagen: 'Uns galoppieren die Zinsen weg und die Schulden, da brauchen wir Hilfe wie Saarland oder wie Bremen'. Mir wäre es lieber, wenn man das ohne Klage erreichen könnte. Ich kann es aber momentan nicht ausschließen. Es ist auch eine schwierige Situation für den Bund oder für die anderen Länder. Die haben ja nicht alle Geld irgendwo auf der Kante zu liegen, die Situation ist in allen Länderhaushalten schwierig, weil die steuerliche Entwicklung ja leider sich nicht so dargestellt hat wie das alle erwartet haben. Es haben alle Probleme. Und insofern weiß ich nicht, ob man ohne eine Klage das Ziel erreichen könnte. Aber wir werden es natürlich probieren. Aber wie gesagt: Erst Hausaufgaben machen und dann um Hilfe bitten.

    Hellmich: Die Opferbereitschaft der anderen ist sicherlich auch ein wenig abhängig vom Image Berlins. Glauben Sie, dass das rot-rote Regierungsbündnis da nicht doch etwas nachteilig gewesen ist?

    Wowereit: Das glaube ich nicht, weil natürlich gerade Länderregierungen wissen, wie Koalitionen zustande kommen, und dass natürlich ein Wahlergebnis, das der Wähler hervorgebracht hat - und Gott sei Dank ist der Wähler ja derjenige, der mit seiner Stimme auch Aufträge erteilt -, dass das zu Konstellationen führt, die von Land zu Land ganz unterschiedlich sind. Ich glaube nicht, dass neben dem Wahlkampfgeplänkel, was jetzt da im Zusammenhang mit der Bundestagswahl dort passiert, also im ernst jemand diese rot-rote Koalition in Frage stellt. Viel wichtiger ist für das Image der Stadt, wie diese Stadt sich entwickelt. Und wir reden ja zur Zeit oder bislang nur über die öffentliche Seite. Die Stadt hat aber eine andere, eine faszinierende Ausstrahlung nicht nur in die anderen Bundesländer hinein, sondern auch international. Gerade jetzt, wo die internationalen Filmfestspiele laufen in Berlin, merkt man das ja wieder, wo sehr viele internationale Gäste hier in der Stadt sind, die sagen: Eine wunderbare Stadt, eine der spannendsten Städte auf der ganzen Welt mit unheimlichen Entwicklungspotentialen. Und das kann man ja tagtäglich auch sehen, dass diese Stadt ja auch im positiven Sinne sich entwickelt. Man darf immer die Diskussion über die öffentliche Situation - über die Finanzkrise - nicht als alleinigen Punkt sehen, wie Berlin sich entwickelt oder entwickeln kann, sondern wir haben den privaten Bereich, wir haben den Investitionsbereich, der Gott sei Dank besser ist als diese Finanzkrise des Landes Berlin.

    Hellmich: Nichts desto trotz, die PDS hat in die Koalition gewisse Altlasten mit eingebracht. Glauben Sie wirklich, dass man diese Altlasten mit der Präambel zur Koalitionsvereinbarung aus der Welt schaffen kann?

    Wowereit: Also, die Präambel war wichtig und sie hat auch deutlich gezeigt, dass die Berliner PDS sich weit nach vorne gewagt hat, auch sehr viel Ärger mit der eigenen Mitgliedschaft bekommen hat. Wir werden auch sehen, dass Berlin als der Ort, wo Ost und West ja zusammenkommen - es ist ja der einzige Ort in Deutschland, wo das passiert -, auch ein Bereich sein wird, wo wir zeigen werden, dass elf Jahre nach Überwindung der Teilung Deutschlands wir auch nach vorne schauen müssen - auch sagen: Es hilft nichts, die PDS zu den Schmuddelkindern der Nation zu erklären und damit auch ein Großteil der Menschen in Deutschland zu diskriminieren, weil - es sind ja nicht nur die Wähler der PDS, die sich bei bestimmten Diskussionen diskriminiert fühlen, sondern auch die anderen Menschen, die in der ehemaligen DDR gelebt haben. Und ich glaube, es kommt ein Stück mehr Normalität, es ist eine Chance zu mehr Einheit. Ich will nicht sagen, dass damit sich die Einheit verwirklicht, das wäre zu ambitioniert, und das muss - glaube ich - auch noch über andere Prozesse laufen. Aber es ist ein Stückchen mehr Einheit für die Republik. Es hat Schwierigkeiten gegeben, und viele Menschen sind auch bis heute nicht damit einverstanden. Aber es gibt auch eine Chance in dieser Stadt - in der Hauptstadt Deutschlands -, auch mehr hin zur Einheit zu kommen für diese Republik.

    Hellmich: Die Vergangenheit hat ja gezeigt, dass viele PDS-Funktionsträger in ihrem früheren Leben für die Stasi als IM tätig waren. Wird im öffentlichen Dienst Berlins auch künftig eine entsprechende Überprüfung stattfinden und wird sie Konsequenzen haben - beispielsweise gegebenenfalls auch bei Staatssekretären und Senatoren?

    Wowereit: Wir haben die Regelungen übernommen -und die bleiben auch -, die bislang gegolten haben. Das heißt, jeder Mitarbeiter wird überprüft, auch die Senatoren, auch die Staatssekretäre. Da hat es nie einen Zweifel gegeben. Die öffentliche Diskussion jetzt da drüber, die wird versucht zu instrumentalisieren, weil da passiert nichts anderes, wie unter Eberhard Diepgen und der CDU-Regierung durchgeführt worden ist. Und da gibt es ganz klare Regelungen, und die werden auch eingehalten. Und insofern wird da überhaupt nicht gewackelt. Und natürlich - wenn bei der Überprüfung etwas rauskommen sollte, dann werden auch gegebenenfalls die Konsequenzen zu ziehen sein.

    Hellmich: Wird denn, wenn etwas herauskommen sollte, auch die Öffentlichkeit davon erfahren - durch Sie?

    Wowereit: Das ist ja schon wieder so eine Diskussion. Es gibt ganz klare Regelungen, dass natürlich die Unterlagen nicht sofort veröffentlicht werden. Das geht auch gar nicht, weil sie müssen gewichtet werden, sie müssen gesichtet werden und man muss die Chance haben, auch mit dem einzelnen zu sprechen. Also, abgesehen davon, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass da sich eine Öffentlichkeit sich abschotten lässt, weil da wird es so viel Indiskretionen geben - da werde ich höchstwahrscheinlich selber schneller aus der Zeitung etwas erfahren als bei mir der Postweg dann eingehalten werden kann. Das ist aber ein Seitenthema. Ich werde, falls es Erkenntnisse geben sollte, natürlich mit dem Parlament Kontakt aufnehmen. Ich bin ja nicht in der Lage, Konsequenzen daraus zu ziehen. Die Senatoren sind gewählt vom Parlament, ich kann sie nicht entlassen, ich habe nicht die Kompetenz dazu. Ich würde dann, wenn es gravierend wäre, mit dem Parlamentspräsidenten mich unverzüglich zusammensetzen, und ich würde dann als weiteren Schritt auch sagen, dass wir im Ehrenrat des Parlaments die Dinge offenlegen. Ich habe ja nichts zu verbergen dabei und würde es auch fatal halten, wenn man etwas verbirgt. Aber es gibt bestimmte Bereiche, wo man sagen muss: Das muss erst einmal auch in einem nicht öffentlichen Bereich stattfinden. Und dann werden die Fraktionen des Parlaments zu entscheiden haben, ob sie daraus Konsequenzen ziehen oder nicht. Das ist aber dann nicht meine Entscheidung.

    Hellmich: Wie sehen Sie denn die PDS mittelfristig, sagen wir einmal in zehn Jahren: Als selbständige Partei links von der SPD oder als Teil der Sozialdemokratie?

    Wowereit: Natürlich nicht als Teil der Sozialdemokratie, aber aus meiner Sicht und hoffentlich als kleiner werdender Bereich neben der SPD.