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Wütende Katalanen

Für Natalia Araguas war es die erste Demonstration seit Jahren. Anfang Dezember ging die 27-jährige Barcelonesin auf die Straße, um gegen das Chaos im Nahverkehr zu protestieren, gemeinsam mit 100.000 anderen. Es war die größte Protestkundgebung in Barcelona seit dem Irakkrieg und die Geburtstunde der "catalans emprenyats", der "wütenden Katalanen". Für den Zorn gab es gute Gründe.

Von Julia Macher | 07.03.2008
    " Ab Juli hatte man das Gefühl, dass in Barcelona nichts mehr funktionierte - der Strom fiel aus, der Zugverkehr brach zusammen, die U-Bahn kollabierte, nichts ging mehr. Die Zentralregierung hat eben seit zu langer Zeit nicht mehr in Katalonien investiert - und jetzt fällt alles auseinander. "

    Dass bei der Demonstration auf großen Transparenten Unabhängigkeit für Katalonien gefordert wurde, hat Natalia Araguas nicht überrascht. Denn nach gängiger Meinung trägt Madrid die Hauptschuld am maroden Nahverkehrssystem, den Mängeln im Gesundheitswesen und der Energieversorgung: Die Zentralregierung habe die Übertragung von politischen Kompetenzen verschleppt. Im Verhältnis zu seiner wirtschaftlichen Bedeutung und zu seinem Anteil an der Gesamtbevölkerung habe Katalonien in den letzten 15 Jahren zu wenig Geld aus den gesamtspanischen Töpfen erhalten. Bewusst seien andere Städte bevorzugt worden. Als Beweis der These gilt, dass der Schnellzug AVE Barcelona erst vor wenigen Wochen erreichte.

    " Diese Schnellzuggeschichte ist eine himmelschreiende Ungerechtigkeit. Dass wir als eine der wichtigsten Industriezonen 15 Jahre auf den AVE warten mussten; dass zuerst Städte wie Sevilla oder Málaga mit Madrid verbunden wurden - das ist einfach unglaublich. Dieser Zentralismus sorgt für extremes Ungleichgewicht, "

    sagt Domènech Font. Für den Medienwissenschaftler steckt System hinter der Verzögerung: Die konservativen Regierungen der Volkspartei PP hätten Katalonien bewusst benachteiligt, um die so auf ihre Eigenständigkeit bedacht Region klein zu halten. Dass die Situation jetzt ausgerechnet unter der sozialdemokratischen Regierung eskaliert, ist kein Zufall: Vom Präsidenten Rodriguez Zapatero fühlen sich viele Katalanen persönlich verraten - nach harten Verhandlungen verabschiedete das gesamtspanische Parlament das Autonomiestatut nur in einer sehr abgespeckten Variante, die Opposition erhob Verfassungsklage gegen einige Artikel.

    " Es wurde uns das Autonomie-Statut versprochen, das das katalanische Parlament verabschiedet hatte, dann haben sie in Madrid doch wieder alles verändert. Als ob unsere Entscheidungen hier nichts wert sein! Wir haben eben nicht das letzte Wort, haben keine Exekutivgewalt. Kein Wunder, dass jetzt viele die Unabhängigkeit wollen. "

    Kaum einer ihrer Freunde geht wählen, erzählt Natalia Araguas. Viele junge Katalanen betrachten Spanien als Ausland. Es gilt als schick, sich die "Estelada" - die mit einem die Unabhängigkeit symbolisierenden Stern verzierte katalanische Flagge - auf die Jeansjacke zu nähen. "Spanier sein, das kommt uns einfach zu teuer" - solche Sätze hört man inzwischen auch von Schriftstellern und Intellektuellen. Dennoch, glaubt Domènech Font, sind allenfalls 15 Prozent überzeugte Befürworter einer Loslösung vom spanischen Staat. Die überwiegende Mehrheit der "wütenden Katalanen" gäbe sich auch mit einer föderalistischen Lösung zufrieden.

    " Dieses Land muss endlich verstehen, dass es aus völlig unterschiedlichen Teilen besteht. Und zu akzeptieren, dass Katalonien eben nicht Gleiche wie das Baskenland oder Galizien ist, fällt vielen unheimlich schwer. Dabei führt historisch kein Weg an einem föderalistischen System vorbei. "

    Inzwischen haben auch die großen Parteien die Signale verstanden. Im Wahlkampf hat Katalonien oberste Priorität. Und jede Kundgebung, egal welcher Couleur, geht mit dem gleichen Appell zu Ende: Wen ihr wählt ist zweitrangig - Hauptsache, ihr macht überhaupt mit.