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Wulff warnt vor Aufschnüren des Reformpakets

Der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff hat Kritiker der Föderalismusreform in den eigenen Reihen davor gewarnt, die Handlungsfähigkeit der Koalition zu schwächen. Die großen Kräfte im Bundestag könnten es sich nicht leisten, eine so lange diskutierte Reform aufzuhalten oder zu verhindern, sagte der CDU-Politiker. Änderungen könne man zwar nicht ausschließen, es müssten aber Mehrheiten dafür gefunden werden.

Moderation: Christine Heuer | 10.03.2006
    Christine Heuer: Die Mutter aller Reformen, sagt der Grüne Volker Beck, dürfe nicht zur Mutter allen Murkses werden, und er sagt es wütend. Seit Tagen bringt die Föderalismusreform viele Parlamentarier in Rage. Die Opposition wirft den Regierungsparteien Arroganz der Macht vor, weil sie nämlich die größte Verfassungsänderung in der Geschichte der Bundesrepublik im Hauruckverfahren durchziehen wollten, und über die Inhalte der Reform, vor allem über die Alleinzuständigkeit der Länder für die Bildungspolitik, wird selbst in der SPD-Fraktion heftig gestritten, so heftig, dass heute am Tag ihrer ersten Lesung im Bundestag nicht einmal mehr sicher erscheint, dass genügend Parlamentarier der Föderalismusreform am Ende zustimmen. Und auch aus den Ländern ist nicht ausschließlich Jubel zu erwarten. Niedersachsens Bevollmächtigter beim Bund Wolfgang Gibowski hat jetzt gesagt, es gebe – Zitat – "einiges Stirnrunzeln in den Landesregierungen". – Am Telefon ist jetzt der Ministerpräsident von Niedersachsen, Christian Wulff. Guten Morgen Herr Wulff!

    Christian Wulff: Guten Morgen Frau Heuer!

    Heuer: Runzeln Sie gerade die Stirn und wenn ja warum?

    Wulff: Die Bemerkung unseres niedersächsischen Bevollmächtigten bezieht sich ganz gewiss darauf, dass wir einen Kompromiss geschlossen haben und ein Kompromiss setzt zwingend voraus, dass man sich aufeinander zubewegt und dass man sich nicht in allen Punkten zu Lasten anderer durchsetzt. Wir beispielsweise hätten uns eine ganz andere Verteilung vorgestellt bei den Mitteln des Hochschulbaus. Wenn jetzt die Gemeinschaftsaufgabe abgeschafft wird, die Länder zuständig werden, dann wird das alles einfacher, schneller, aber die Verteilung der Mittel hätte nach Studentenzahlen, Bevölkerungszahl und ähnlichen Kriterien gehen können und nicht nach dem Besitzstand - was früher mal abgerufen wurde, wird auch in die Zukunft fortgeschrieben -, denn das stärkt natürlich die Länder, die eh schon mehr ausgegeben haben, und schwächt die, die weniger ausgeben konnten. Insofern gibt es sicher bei allen Stirnrunzeln, aber es ist ein Kompromiss, der über 100 Stunden in der Föderalismuskommission mit den Grünen und mit anderen Parteien und Bundestag und Bundesrat und Landtagen diskutiert worden ist und der ein Viertel der Koalitionsvereinbarung zwischen CDU und SPD ausmacht. Insofern ist das alles schon sehr breit über die letzten Jahre diskutiert worden und manche erwecken jetzt einen falschen Eindruck.

    Heuer: Und Änderungen schließen Sie kategorisch aus?

    Wulff: Nein. Das schließt niemand kategorisch aus, sondern wir haben immer gesagt, das ist die Vereinbarung zwischen SPD, CDU und CSU. Das soll gemacht werden, ein Zeichen für Handlungsfähigkeit, für Reformfähigkeit Deutschlands. Es ist eine große Veränderung unseres Grundgesetzes, die erste grundlegende Reform nach Jahrzehnten. Aber wenn jemand Zwei-Drittel-Mehrheiten für Änderungen findet in Bundestag und Bundesrat, dann können selbstverständlich diese Änderungen gemacht werden. Wir unter den CDU/CSU-Ministerpräsidenten haben gestern vereinbart, eine gemeinsame Anhörung zu machen von Bundestag und Bundesrat, um noch mal alle Positionen zu hören. Dann aber muss man auch mal springen und dann kann man nicht immer nur rummäkeln und wieder Reformen verhindern und Bedenkenträger sein. Von Kurt Tucholsky stammt der Satz "wenn die Deutschen nichts mehr haben, Bedenken haben sie immer noch". Wir finden immer Bedenkenträger. Nur es ist eben ein Fortschritt zum heutigen Zustand, was wir da vereinbart haben.

    Heuer: Aber was heißt das jetzt, Herr Wulff? Sagen Sie, vielleicht kann das Paket noch mal aufgeschnürt werden, oder schließen Sie das aus?

    Wulff: Ich erwarte es nicht, denn wer anfängt, das Paket aufzuschnüren, der riskiert, dass dann auch andere mit anderen Wünschen kommen und die gesamten Mehrheiten von zwei Dritteln in Bundestag und Bundesrat unsicherer werden. Deswegen müssen alle Beteiligten von Vornherein erklären: Finden wir keine Mehrheit für weitergehende Veränderungen, dann stehen wir zu der getroffenen Vereinbarung. Pacta sunt servanda - Koalitionsvertrag, das ist ja was. Wir sind ja verschiedentlich auch von anderen darauf hingewiesen worden, wenn ich an den Energiekonsens denke, und man muss sich mal entscheiden, ob man das für einen Fortschritt oder für keinen Fortschritt hält. Bis zuletzt, bis Müntefering und Edmund Stoiber die Vereinbarung getroffen haben, bis der Koalitionsvertrag geschlossen wurde waren sich alle einig, dass die Verantwortlichkeiten klarer geregelt werden, dass Bundesgesetze schneller verabschiedet werden können, dass die Kommunen besser geschützt werden, dass der Bund mehr Rechte fürs Kriminalamt bekommt und dafür die Länder mehr Rechte auf verschiedenen Feldern, dass die Europatauglichkeit verbessert wird und dass wir auch mehr Haushaltsdisziplin üben müssen, denn in Zukunft werden die Maastricht-Kriterien eingehalten werden müssen und wenn nicht, sind auch die Länder an den Strafzahlungen an Europa zu beteiligen. Das sind doch alles wichtige Regelungen, die wir da vereinbart haben. Die sollen jetzt durchgesetzt werden.

    Heuer: Wichtige Regelungen, aber viele Parlamentarier sind gar nicht so entschieden der Meinung, dass das Paket, wie es jetzt aussieht, auch tatsächlich das bestmögliche ist. Es gibt erste Stimmen, die eine Zwei-Drittel-Mehrheit für die Verfassungsänderung bezweifeln, wenn es nicht noch zu Änderungen an diesem Paket kommt. Wie sicher sind Sie, dass der Bundestag am Ende zustimmt?

    Wulff: Ich glaube nicht, dass sich die großen Kräfte im deutschen Bundestag leisten können, eine solche, so lange diskutierte Reform jetzt aufzuhalten, jetzt zu verhindern. Es ist ein Problem innerhalb der Sozialdemokratie, was die Frage der Bildung anbelangt. Die Länder sind im Wesentlichen immer schon zuständig für die Schulen und Hochschulen und die Versuche von Frau Bulmahn als Bundesbildungsministerin, über Juniorprofessoren, über Verbot von Studienbeiträgen, über andere Programme Einfluss zu nehmen, der dem Bund nicht zukam, wo das Bundesverfassungsgericht gesagt hat, das steht dem Bund nicht zu, dieses, was das Bundesverfassungsgericht über Jahrzehnte entschieden hat, wird jetzt abermals im Grundgesetz bestätigt. Da wird eigentlich gar nicht viel geändert, sondern es wird bestätigt. Dass sich damit einige nicht abfinden können, das kann ich politisch verstehen, aber das fällt weit hinter das zurück, was wir längst mit den Sozialdemokraten vereinbart haben.

    Heuer: Die Parlamentarier, Herr Wulff, sind aber nicht nur sauer in der Sache; sie sind auch sauer in der Form, weil nämlich die Anhörung zur Gesetzesänderung nicht in den Fachausschüssen, sondern allein im Rechtsausschuss des Bundestages geführt werden soll. Peter Müller, Ihr christdemokratischer Kollege aus dem Saarland, hat jetzt gesagt, nach der Methode "friss Vogel oder stirb" könne diese wichtige Angelegenheit, die Föderalismusreform, nicht verhandelt werden.

    Wulff: Deswegen haben wir gestern die Anhörung von Bundestag und Bundesrat besprochen, an der alle teilnehmen können, alle Parlamentarier und alle Ausschüsse. Das ist das sinnvollste Verfahren, als das jetzt in alle Bereiche aufzugliedern, weil man das Paket dann gar nicht mehr zusammen bekäme. Von 180 Seiten Koalitionsvertrag sind 45 Seiten der Föderalismusreform gewidmet, dieser, die wir jetzt durchbringen wollen. Und der kleine Parteitag der SPD und der kleine Parteitag von CDU/CSU haben jeweils zugestimmt, diesem Koalitionsvertrag und dieser Föderalismusreform. Da scheinen einige nach der Bundestagswahl möglicherweise die Dinge nicht so ernst genommen zu haben, wie man es von einem Parlamentarier erwarten kann. Ich meine am Anfang wird sich vereinbart über die Legislaturperiode und dann kann ich bestimmte Dinge nicht ständig neu in Frage stellen. Das schwächt dann allerdings die Handlungsfähigkeit einer großen Koalition, einer Regierung. Das muss auch jeder wissen, dass da nicht dann hinterher dieser und jener kommen kann und über solche grundsätzlichen Fragen solche grundsätzlichen Debatten führt. Die Auffangposition für das, was kommen soll, ist diese Vereinbarung allemal.

    Heuer: Jürgen Rüttgers, der christdemokratische Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen, will jetzt schon eine neue Reformrunde einläuten. Die Länder, sagt er, sollen eigene Steuergesetze erlassen dürfen. Sind Sie dafür?

    Wulff: Wir haben vereinbart, dass wir eine zweite Stufe brauchen, sie auch unverzüglich in Angriff nehmen. Das ist auch ein Punkt, der mit den Liberalen, mit der FDP vereinbart worden ist, dass wir stärker klar machen, welche Ebene welche Steuern hat, für welche Steuererhöhungen oder –senkungen verantwortlich ist, damit die Bürger klarer erkennen können, wen sie loben und wen sie gegebenenfalls auch abstrafen können. Das was wir bei Hartz IV erlebt haben darf sich eben nicht wiederholen, dass alle beteiligt waren, es am Ende aber keiner gewesen sein wollte. Ein solches organisiertes Unverantwortlichsein, wie es mal Klaus von Dohnanyi gesagt hat, das hat unsere Republik im Vertrauen bei den Bürgern geschwächt. Und wenn wir klarere Ebenen haben, klarere Verantwortlichkeiten der einzelnen Ebenen, dann ist es für die Bürger auch leichter zu wissen, an wen sie sich denn zu halten haben, wer für was verantwortlich ist.

    Heuer: Herr Wulff, kurz zum Schluss. Ziel dieser Föderalismusreform, ein Ziel jedenfalls, ist ja auch, dass die Blockaden, die wir in der Vergangenheit im Bundesrat erlebt haben, nicht mehr vorkommen. Kommen die nicht mehr vor? Können Sie das jetzt versprechen, wenn die Föderalismusreform so verabschiedet wird?

    Wulff: Es werden nicht mehr 60 Prozent der Bundesgesetze, sondern nur noch etwa 35 Prozent durch den Bundesrat müssen. In diesen Fällen wird es keine Blockaden mehr geben können. Ansonsten verspreche ich das auf gar keinen Fall, dass es keine Blockaden mehr geben wird. Glücklicherweise hatten wir Blockaden in der Vergangenheit bei verschiedenen rot-grünen Gesetzen, bei denen ich nur sagen kann Gott sei Dank sind die nicht in Gesetzeskraft getreten. Von dem verfassungswidrigen Verfahren bei der doppelten Staatsbürgerschaft bis zu vielen anderen Gesetzen bin ich heil froh, dass wir sie über den Bundesrat verbessert haben. Wir waren oft das einzige Bollwerk gegen irgendwelche abstrusen rot-grünen Gesetzesvorhaben und das war auch insgesamt vernünftig, dass der Bundestag sich nicht immer voll durchsetzen konnte, aber die Zahl wird geringer sein.