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Wunschzettel ohne Weihnachtsmann

Forschungspolitik. - Exzellente Wissenschaftler finden heute auf der ganzen Welt attraktive Jobs. Wer kluge Köpfe in Europa halten will, muss sich deshalb ins Zeug legen, um ihnen optimale Arbeitsbedingungen zu bieten. Großforschungsgeräte zum Beispiel, die international ihresgleichen suchen: Instrumente und Werkzeuge für Spitzenforschung auf Weltniveau. Deren Bau und Betrieb oblag bislang primär einzelnen EU-Mitgliedsstaaten. Ein Masterplan aus Brüssel soll nun helfen, die Ressourcen zu bündeln.

Von Ralf Krauter |
    "Europäische Roadmap für Forschungsinfrastrukturen" – so lautet der Titel der 86-seitigen Broschüre. Es ist eine Art Wunschzettel für die Wissenschaft. 35 Projekte mit Gesamtkosten von über 30 Milliarden Euro sind darin aufgelistet: Vom neuen Riesenteleskop für die Astrophysiker bis zum Forschungseisbrecher für die Meereskundler, vom Hochenergielaser bis hin zu vernetzten Datenbanken für Bio- und Sozialwissenschaftler. EU-Forschungskommissar Janez Potocnik wertet das Strategiepapier als Meilenstein für eine europäische Forschungspolitik aus einem Guss.

    "”Um Spitzenforscher anzulocken, muss man ihnen optimale Arbeitsbedingungen bieten. Die Roadmap für künftige Großforschungsgeräte, ist deshalb ein wichtiger Schritt. Nicht zuletzt auch wegen des erfolgreichen Abstimmungsprozesses, der ihrer Entstehung vorausging. Diese Liste ist eine wichtige Entscheidungshilfe für Politiker.""

    Das Strategiepapier ist das Ergebnis zweijähriger Verhandlungen an denen rund 1000 Fachleute aus allen EU-Staaten beteiligt waren. Das Ziel der gemeinsamen Anstrengung: Ressourcen bündeln und kritische Massen erzeugen, um Forschungsgeräte bauen zu können, mit denen EU-Forscher auch in 15 Jahren noch in der ersten Liga spielen. Nach dem Motto: Statt 10 Supercomputern in 10 EU-Staaten lieber einen Weltklasse-Rechner, zu dem alle Zugang haben, erklärt John Wood, der Vorsitzende des europäischen Strategieforums für Forschungsinfrastruktur.

    "”Es war nicht leicht, diesen Konsens zu erzielen. Wir bekamen rund 200 Vorschläge und mussten prüfen, ob sie wirklich von gesamteuropäischem Interesse sind. Am Ende blieben 35 Projekte übrig, deren Realisierung wir innerhalb der nächsten zehn bis 15 Jahre empfehlen. Bei der endgültigen Entscheidung waren sich alle Beteiligten einig.""

    Hinter den Kulissen gab es allerdings wiederholt Reibereien – nicht zuletzt wegen forcierten Termindrucks aus Brüssel. Weil manches Expertengremium mehr Zeit gebraucht hätte, bleiben einige Projektvorschläge ziemlich vage. Aus deutscher Sicht ist die Positivliste trotzdem ein Erfolg. An rund der Hälfte der empfohlenen Megaprojekte sind deutsche Institute beteiligt. Der freie Elektronen-Laser beim Desy in Hamburg hat es ebenso aufs Treppchen geschafft wie der Ionenbeschleuniger FAIR bei der GSI in Darmstadt und der Forschungseisbrecher Aurora Borealis des Alfred-Wegener-Instituts in Bremerhaven – alles Projekte unter deutscher Federführung, denen auch der Wissenschaftsrat bereits seinen Segen erteilt hatte. Doch so wegweisend der Konsens über künftige Großgeräte auch sein mag: Bislang steht er nur auf dem Papier. Wood:

    "”We now need the roadmap to be put into reality. And that would be, when we really celebrate.”"

    Richtig feiern will John Wood deshalb erst, wenn ein Großteil der Empfehlungen tatsächlich umgesetzt wird. Ob es dazu kommt, hängt natürlich vor allem am Geld. Und was das angeht, ist aus Brüssel nicht viel zu erwarten. Weil Janez Potocnik im 7. EU-Forschungsrahmenprogramm deutlich weniger Geld für Infrastrukturprojekte bewilligt bekam, als beantragt, kann er bestenfalls bei der Planung einiger Projekte etwas Geld zuschießen. Potocnik:

    "”Den finanziellen Löwenanteil müssen die Mitgliedsstaaten tragen. Sie müssen sich auf Ziele einigen und kooperieren, um sie zu erreichen.""

    Nur: Diese Option stand den Ländern auch schon vor dem Masterplan aus Brüssel offen. Im Bereich der Physik und Materialwissenschaften zum Beispiel läuft die Kooperation über die Ländergrenzen seit Jahren erfolgreich. Wirkliche Schubkraft könnte die Roadmap für Forschungsinfrastrukturen deshalb vor allem in den Bio- und Sozialwissenschaften entwickeln – Gebiete also, in denen gemeinsame strategische Großprojekte bislang die Ausnahme waren.


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