Jule Reimer: Warum sollten ausgerechnet Monsanto und Bayer von selbst darauf drängen, Glyphosat zu verbieten oder warum sollte sich Daimler für schärfere Abgasgrenzwerte im Verkehr einsetzen?
Pavan Sukhdev: Ich bin immer noch überzeugt, dass die Konzernchefs diejenigen sind, die die Ursachen dieser gesellschaftlichen Kosten angehen müssen, die große Unternehmen produzieren. Und in manchen Branchen gelingt das auch. Aber das sind Branchen, wo die Verbraucher direkt beteiligt sind. Ein gutes Beispiel ist die Kaffeebranche. Dort haben in den letzten zehn Jahren Händler und Unternehmen wie Starbucks eng mit Nichtregierungsorganisationen zusammengearbeitet und das Bewusstsein dafür verändert, was ein guter oder ein schlechter, ein ethisch korrekter oder nicht korrekter, ein umweltfreundlich oder umweltschädlich angebauter Kaffee ist.
Aber in anderen Branchen dauert das noch. Autofahrer haben bis jetzt noch nicht wirklich auf den großen Schaden reagiert, den die manipulierten Abgaseinrichtungen von Volkswagen auch für ihre eigene Gesundheit bedeuten. Ein weiterer Fall sind Branchen, wo Unternehmen miteinander Geschäfte machen. Also Ihr Beispiel der Hersteller von Chemikalien wie Bayer mit Glyphosat oder Marken wie Roundup von Monsanto. Hier kaufen die Landwirte ein und die Chemieunternehmen sind die Verkäufer. Hier scheint sich die Gruppenmacht eher in die entgegengesetzte Richtung zu entwickeln, sodass sie versuchen, ein gesellschaftlich schädliches Produkt zu schützen.
Deshalb ist es wichtig, die Bürger und Verbraucher miteinzubeziehen, und ich meine, hier ist es auch die Aufgabe von Nichtregierungsorganisationen wie dem WWF, über die damit verbundenen Probleme aufzuklären und wenn mehr Transparenz herrscht, dann werden vernünftig denkende Konzernchefs von selbst einen Kurswechsel verlangen.
Reimer: Der WWF warnt vor Mikroplastik im Mittelmeer. Hier haben wir eine Tetra-Pak-Tomatenpüreeverpackung vom Discounter, der zu Ihrem Marktpartner Edeka gehört. Mit extra Plastikschraubverschluss plus Plastikeinsatz, obwohl es auch ohne solche Verschlüsse ginge. Aber da kann man das WWF-Siegel mit dem Panda drauf sehen. Nach welchen Kriterien wählen Sie Ihre Partner aus?
Sukhdev: Wir arbeiten mit dem Privatsektor auf drei Wegen zusammen. Der eine ist wie von Ihnen gerade beschrieben, es gibt gemeinsame Kampagnen, mit denen Verbraucher auf nachhaltige Konsumformen oder Produkte aufmerksam gemacht werden. Zum Beispiel weil ein Produkt gut für die Umwelt ist: Auf Ihrer Verpackung sehe ich, dass es sich um Biotomaten handelt. Außerdem beraten wir Unternehmen, die nachhaltig arbeiten wollen. Wir nehmen keinerlei Spenden aus der Öl-, Gas- und Bergbaubranche an. Aber wenn Unternehmen aus anderen Sektoren unsere Aktivitäten und beim Naturschutz unterstützen wollen, dann akzeptieren wir auch Spenden von bestimmten Konzernen.
"Wir müssen an jeder Front aktiv sein"
Reimer: Der WWF thematisiert die Naturzerstörung durch Soja. Wir haben bei Palmöl ähnliche Probleme. Das stammt vor allem aus Indonesien und Malaysia. Circa 40 Prozent der Einfuhren enden als Dieseltreibstoff, weitere 40 Prozent werden als Nahrungs- und Futtermittel eingesetzt. Der WWF lehnt einen Boykott von Palmölimporten ab, aber er wirbt gleichzeitig um Spenden für die bedrohten Orang-Utans auf Borneo. Kritiker werfen Ihnen eine zu große Nähe zu einem großen internationalen Palmölproduzenten – zu Wilmar – vor. Ist das widersprüchlich?
Sukhdev: Wir müssen an jeder Front aktiv sein, denn die Zerstörung von Regenwald ist in Indonesien ein riesiges und breit angelegtes Problem. Ja, die Entwaldung für Palmöl zerstört die Artenvielfalt und viele aus verschiedenen Ländern, auch in Deutschland, arbeiten mit unseren indonesischen Kollegen sehr engagiert daran, gefährdete Arten wie die Orang-Utans zu schützen. Und es geht nicht nur um die, es gibt dort gefährdete Tiger, kleine Elefanten und wortwörtlich noch ein paar wenige Nashörner, nämlich drei oder vier.
Aber wir müssen genauso auf die wirtschaftlichen Antriebskräfte der Entwaldung eingehen, das ist die Palmölindustrie und wir müssen versuchen, nachhaltigen Palmanbau – der ohne zusätzliche Entwaldung auskommt – attraktiver zu machen. Derzeit gibt es dafür aber noch nicht genug Abnehmer auf dem Markt. Hier spielen zum Beispiel Handelszölle zwischen Indonesien und Indien – dem größten Abnehmer von Palmöl – eine Rolle. Und wir müssen das Bewusstsein der Verbraucher dafür schärfen, in wie vielen Produkten Palmöl enthalten ist. Nicht alles wissen, dass es das nicht nur in Lebensmitteln gibt, sondern es ist ganz vielen Alltagsprodukten bis hin zu Kosmetik.
Und es geht hier nicht nur um die Artenvielfalt, um die Entwaldung, es handelt sich um ein handfestes Klimaproblem. Im Jahr 2014 verfehlte die Staatengemeinschaft die angestrebten CO2-Reduktionsziele vor allem deshalb, weil in Indonesien viele der entwaldeten Flächen von massiven Torfbränden erfasst wurden. Das ist alles eine riesige Herausforderung in einem Schwellenland, der Lebensunterhalt von vielen Menschen ist betroffen, das heißt, wir müssen uns auch über die sozialen Folgen Gedanken machen, es geht nicht nur um die Umwelt, um Wirtschaftsinteressen im Palmölgeschäft. Wir müssen an jeder Front aktiv sein.
"Zweckorientiert und grüne Feigenblattfunktion - das ist ein großes Risiko"
Reimer: Wie können Sie sicher sein, dass diese großen, multinationalen Unternehmen Sie nicht nur nutzen, um sich ein grünes Mäntelchen zu geben?
Sukhdev: Zweckorientiert und grüne Feigenblattfunktion - das ist ein großes Risiko. Wir müssen erstens sehr vorsichtig sein bei der Auswahl der Unternehmen, mit denen wir zusammenarbeiten, wie und wann und in welchem Zusammenhang wir ihnen erlauben, unser kostbares Logo zu nutzen, denn da geht es auch um unseren Ruf. Zweitens müssen wir aufpassen, dass hier nichts missbraucht wird, wir müssen also jede Zusammenarbeit begleiten und regelmäßig bewerten, selbst wenn wir wissen, dass wir mit den richtigen Leuten zusammenarbeiten, auch um vorauszuschauen, läuft das alles richtig ab.
Dann die Ohren offenhalten: Wir haben im WWF ein Whistleblower-System eingerichtet, sodass Leute Klagen vortragen können und sichergestellt ist, dass diese in einem unabhängigen Prozess behandelt werden und überprüft wird, was schief gelaufen ist. Der WWF ist eine große Organisation, wir sind in mehr als 100 Ländern aktiv, wir haben in 85 Ländern eigene Büros, bei uns arbeiten 6.900 Menschen, aber wir arbeiten hart daran, alles richtig zu machen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.