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WWF-Studie zu Kohlekraftwerken
Europa unter der Staubglocke

Emissionen aus Kohlekraftwerken beeinträchtigen nicht nur die Luftqualität in dem Land, wo sie entstehen, sondern werden auch über Grenzen verweht. Der WWF hat jetzt - zusammen mit anderen zwei anderen Organisation - in einer Studie untersucht, wie sich Feinstaub und andere Partikel aus den Kraftwerken auf die Gesundheit der europäischen Bevölkerung auswirken.

Von Anja Nehls | 05.07.2016
    Kohlekraftwerk in Grevenbroich Neurath
    WWF und Gesundheitsorganisationen fordern einen schnellen Ausstieg aus der Braunkohle (dpa/picture-alliance/ Oliver Berg)
    Dieselautos und Kohlekraftwerke haben eins gemeinsam: Sie stoßen Rußpartikel und Stickoxide aus – beides produziert auf unterschiedliche Weise Feinstaub, und der ist schädlich für die menschliche Gesundheit. Sechs der zehn dreckigsten Kohlekraftwerke Europas stehen in Deutschland. Die Auswirkungen der Emissionen bekommen aber nicht nur die Deutschen zu spüren, sondern je nach Wind- und Wetterlage Menschen in ganz Europa. Umgekehrt belastet der Dreck aus den polnischen, tschechischen oder sogar englischen Kraftwerken wieder Menschen in Deutschland und weit darüber hinaus, sagt Julia Huscher der Umweltschutzorganisation Heal:
    "Die volumenmäßig größten Schadstoffe sind also Schwefeldioxid SO2 und die Stickoxide NOx und mit diesen Schwefel- und Stickoxiden passiert also etwas in der Atmosphäre. Die bleiben nicht nur was sie sind, sondern sie werden irgendwann zu sekundärem Feinstaub. Und der sekundäre Feinstaub verteilt sich also wie eine Dunstglocke oder Staubglocke über den europäischen Kontinent."
    Feinstaubpartikel werden auf ihre Herkunft untersucht
    Weil es jetzt EU-weit neue Daten gibt, hat der WWF (v. d. Red. ergänzt: Heal und andere Umweltschutzorganisationen) anhand von Rechenmodellen eine Studie zur Feinstaubbildung und Krankheitsbelastung durch Kohlekraftwerke erstellt. Weil aber auch z.B. der Autoverkehr zur Feinstaubildung beiträgt, wurden die einzelnen Komponenten des Feinstaubs genau analysiert. Anhand der Zusammensetzung lässt sich dann die Herkunft sehr gut bestimmen, meint Anette Peters vom Helmholtz Zentrum für Umwelt und Gesundheit in München:
    "Dieser Feinstaub aus den Kohlekraftwerken ist ein primärer Feinstaub, also kleine Rußpartikel, die aus der Kohle kommen, gemischt mit Sulfaten und Nitraten und Übergangsmetallen, darunter ist z.B. Nickel zu finden. Und diese Mischung gemeinsam mit z.B. Rußpartikeln aus Dieselfahrzeugen kann eben, wenn sie in der Lunge landet, oxidativen Stress auslösen, das heißt Sauerstoffradikale freisetzen und die Lungenwand und auch die Lungenbläschen schädigen."
    Schlaganfälle, Bronchitis und Herz-Kreislaufprobleme
    Asthmatiker und Menschen mit chronischer Bronchitis leiden darunter besonders. Auswirkungen haben die eingeatmeten Schadstoffe aber nicht nur auf die Lunge. Sie seien mitverantwortlich für Herz-Kreislauferkrankungen und Schlaganfälle, so Anette Peters. 3600 Todesfälle pro Jahr hängen laut Studie in Deutschland unmittelbar mit den Emissionen der Kohlekraftwerke zusammen. Dazu kämen 3500 Einweisungen ins Krankenhaus, 2000 Fälle von chronischer Bronchitis und eine Million verlorene Arbeitstage durch Krankschreibungen. Auf sechs bis zwölf Milliarden Euro im Jahr beziffert die Untersuchung die Kosten für die Gesundheitsschäden durch Kohlekraftwerke.
    Zudem sind die Kraftwerke ein echter Klimakiller. Kohlekraftwerke produzieren 80 Prozent der europäischen Gesamtemissionen des klimaschädlichen CO2 in Europa. Polen, Deutschland und Großbritannien produzieren dabei den meisten Dreck. Dabei kommt es auch auf den Kohletyp an. Mit Abstand die größten Schadstoffmengen entstehen in Kraftwerken, die mit Braunkohle betrieben werden. Sie haben in Deutschland einen hohen Anteil am Strommix, obwohl sich Deutschland vorgenommen hat, die CO2-Emissionen bis 2020 um 40 Prozent zu reduzieren. Dieses Ziel kann nur erreicht werden, wenn jetzt schnell gehandelt wird, sagt Viviane Raddatz vom WWF:
    "Also Deutschland hat eine große Verantwortung für den gesamteuropäischen Kohleausstieg. Wir müssen den Kohleausstieg europaweit, also auch in allen Mitgliedsländern und auch in Deutschland natürlich weiter vorantreiben und dieses 2020 Ziel von minus 40 Prozent ist der erste Meilenstein, dafür müssen Kraftwerke vom Netz und auch in sehr kurzer Frist."
    Zudem werden sich Auswirkungen der Emissionen auf die Gesundheit verschärfen, wenn zusätzlich die Durchschnittstemperaturen steigen, warnt Viviane Raddatz. Bereits auf dem Weltklimagipfel im vergangenen Jahr in Paris war das ein Thema:
    "Wenn man mal vor dem Hintergrund des Pariser Abkommens sieht, das sich die Weltgemeinschaft eigentlich darauf festgelegt hat, dass sie die Temperaturerhöhung auf höchstens zwei Grad mit Blick auf 1,5 Grad begrenzen wollen, dann wird eigentlich klar: Kohlestrom und Klimaschutz sind langfristig unvereinbar, aber auch in der Mittelfrist deutlich nicht mehr möglich."
    Bis spätestens 2035 soll der Ausstieg aus der Kohle komplett vollzogen sein. Der WWF fordert bis dahin eine Umstellung auf 100 Prozent erneuerbare Energien verbunden mit einer höheren Energieeffizienz und Energieeinsparungen.