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Xavier Naidoo
Der Patchwork-Prophet

Fast hätte Xavier Naidoo Deutschland beim Eurovision Song Contest vertreten, doch nach heftiger Kritik wegen seiner Nähe zu den "Reichsbürgern" durfte er doch nicht zum Wettbewerb. Sein neues Album "Nicht von dieser Welt 2" ist trotzdem oder gerade deswegen in den Charts erfolgreich. Es stecke voller religiöser Bezüge, sagt der Theologe Klaus Depta.

Von Veronika Seidel | 13.05.2016
    Xavier Naidoo und die Band «Söhne Mannheims» treten am 10.07.2015 in Mannheim im Ehrenhof des Schlosses während eines Konzerts zum 20-jährigen Bühnenjubiläum der Band auf.
    Die Songtexte von Xavier Naidoo sind gespickt mit religiösen Botschaften. (dpa / Uwe Anspach)
    Spötter nennen Xavier Naidoo den "Jesus der Hitparaden". Als wolle er ihnen widersprechen, greift er gleich zu Beginn seines neuen Albums zu einer hinduistischen Grußformel: Namaste. Doch ganz gleich ob hinduistisch oder christlich: der vertraute Predigt-Soul-Ton bleibt. "Nicht von dieser Welt 2", ein solcher Album-Titel verpflichtet zu Transzendenz. Für den Theologen Klaus Depta zeigt dieser Einstieg ins Album auch…
    "... dass es sich eher um eine Patchwork-Religiosität handelt. Und Kritiker sprechen bei einer Patchwork-Religiosität schnell von religiöser Beliebigkeit!"
    Privatsynkretismus: sich aus jeder Religion herauspicken, was ihm gerade passt. Diesen Vorwurf muss sich Xavier Naidoo öfter gefallen lassen. Am engsten jedoch hält sich der Soulsänger in seinen Texten tatsächlich ans Christentum. Er selbst wurde katholisch erzogen und sang als Junge im Kirchenchor, steht mit der Institution Kirche heute allerdings auf Kriegsfuß. Seine religiösen Botschaften speisen sich sowohl aus dem Alten, als auch dem Neuen Testament. Besonders oft bezieht sich Naidoo auf die Offenbarung des Johannes; das letzte Buch der Bibel. Etwa im Song "Das Prinzip":
    Das Prinzip: "…der Fahrt bis zur Spitze, gewachsen durch Blut, und die Apokalypse, die Achse des Guten, nehmt es als Zeichen, dass Ihr uns so wiederseht…"
    Babylon System
    Apokalypse, Babylon, Babylon System. Diese Themenfelder ziehen sich wie ein roter Faden durch Xavier Naidoos Texte. Klaus Depta, der sich seit über zwanzig Jahren mit christlicher Popmusik beschäftigt, deutet das so:
    Depta: "Babylon System ist ein Begriff aus dem politisch-religiösen Reggae und meint dort grundsätzlich das Unrechtssystem der Weißen, die die Schwarzen nicht nur vor 400 Jahren versklavt haben, sondern trotz offizieller Gleichberechtigung der Rassen weiterhin systematisch ausbeuten. Babylon wird so zum Symbol für alles, gegen das man kämpfen muss. Und natürlich muss man aus der Babylonischen Gefangenschaft, der Gottferne ausziehen. Bei Naidoo meint das - meine ich zumindest - auch immer gegen ein Leben anzugehen, das von Gottlosigkeit, Gottesferne geprägt ist. Und wenn Sie so wollen: eine moderne Form der Kult- und Gesellschaftskritik, wie Sie sie ähnlich bei Amos, Jesaja, Jeremia und anderen Propheten im Alten Testament eben auch gehabt haben, nur eben auf seine Art und Weise."
    Naidoo als ein von Gott berufener Mensch, der dessen Botschaften an die Völker der Erde weitergibt? Tatsächlich deuten viele Textstellen auf dieses messianische Selbstverständnis hin. So ist der 44-Jährige zum Beispiel auch überzeugt davon, dass ein Bibelcode existiert, den er entschlüsselt hat, wie es im Lied "Das Prinzip" heißt:
    "Yap, das ist die Entzifferung des Bibelcodes. Das ist die Gewissheit, dass sich Liebe lohnt."
    Botschaft Gottes umsetzen
    Depta: "Den Bibelcode zu kennen, also Botschaften, die sich dem normalen Leser entziehen, lässt dem Kenner nicht nur ein besonderes, verborgenes, wenn Sie so wollen: geheimes Wissen zukommen, sondern erhebt ihn selbst natürlich zum Träger des Geheimnisses, macht ihn also zumindest zu einem besonderen Menschen, einem Auserwählten. Und jetzt sage ich ganz hart: Wenn also Naidoo vom Bibelcode spricht, dann heißt dies auch, dass er sich auf besondere Weise von Gott angesprochen fühlt. Er weiß, welche Botschaft Gott für ihn hat, für die Menschen hat, was Naidoo tun muss, um die Botschaft Gottes umzusetzen."
    Und - er singt. Mit kraftvoller Stimme verkündet Xavier, der seinen Namen wahlweise wie "Saviour", also Englisch für "der Retter", ausspricht, das Reich Gottes. In zahlreichen Songs verspricht er das Anbrechen eines neuen Zeitalters, in dem das Schlechte nicht mehr existiert. Johannes nennt diesen Ort in seiner Offenbarung das "Neue Jerusalem":
    "Und siehe da, weder Trauer, noch Schmerzen, noch Geschrei werden das hier überdauern, denn das Erste ist vorbei. Die Renaissance der Liebe…" (Renaissance der Liebe)
    Depta: "Aus Kapitel 21 geht hervor, dass am Ende der Apokalypse, also des Untergangs der Welt und der Zeit, wie wir sie kennen, ein neues Jerusalem entstehen wird, ein himmlisches Jerusalem. In der Offenbarung beschreibt Johannes sehr genau das letzte Gericht, den Endkampf zwischen Gott und Teufel, bei dem der Teufel verliert und Gott dann Himmel und Erde erneuert. Quasi vom Himmel, so das Bild, das Johannes gebraucht, wird eine neue Stadt herabkommen. Oftmals wird der Berg Zion als Sitz dieses neuen, himmlischen Jerusalems gesehen."
    Heilsbringer und Geläuterter
    Naidoos apokalyptische Szenarien und Reinheitsfantasien haben auch eine politische Seite. 2014 trat er vor der so genannten "Reichsbürgerbewegung" auf, die unter der Beobachtung des Verfassungsschutzes steht. In einer wirren Rede bezeichnete er Deutschland als noch immer besetztes Land, die USA bezeichnete er als Besatzungsmacht. Schon 2012 hatte er in einem Lied Kindesmissbrauch und Homosexualität in Verbindung gebracht. Eine Anzeige gegen ihn wegen Volksverhetzung verlief zwar im Sande, doch der Verdacht der Homophobie blieb. Eigentlich hätte Naidoo Deutschland beim Eurovision Song Contest vertreten sollen, doch nach einer Protestwelle schickte der NDR Naidoo doch nicht in die europäische Arena.
    Auf seiner neuen CD inszeniert sich Naidoo erst recht als Heilsbringer, als Geläuterter. "Ich repräsentiere die Liebe", sagt er. Jesus bezeichnet Xavier Naidoo als sein großes Vorbild, das Christusmonogramm ziert viele seiner CD-Cover. Dieses Gottvertrauen macht die Musik des Mannheimers laut Klaus Depta für viele Fans so anziehend.
    Depta: "Naidoo befriedigt mit seiner Musik religiöse Sehnsüchte, seiner Hörer. Das ist eine Sprache, in der sich nicht nur junge Leute wiederfinden können. Ganz anders als die kirchliche Amtssprache! Und wenn Sie einmal das Internet durchsuchen, werden Sie immer wieder finden, dass Menschen in seinen Songs Hilfen in schwierigen Zeiten erfahren haben. Und ich glaube, jemandem zu helfen, das macht ihn zutiefst christlich. Und wenn es heißt: 'Nicht von dieser Welt', dann ist das ja ein Verweis auf eine andere Welt, Verweis auf etwas Größeres, letztlich auf Gott, auf Transzendenz."
    Was würde Jesus zu den Reichsbürgern sagen? Diese Frage blenden Naidoo-Fans aus. Die Antwort wäre wohl zu sehr von dieser Welt.