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Yukos-Drama schreckt ausländische Investoren ab

Jochen Spengler: Gestern kam es in der Konfrontation zwischen dem russischen Staat und der reichen wie mächtigen Industrieoligarchie zu einer weiteren Eskalation. Fünf Tage nach der Festnahme des Yukos-Chefs Chodorkowskij beschlagnahmte der Staat rund 44 Prozent der Aktien des größten russischen Ölkonzerns. Bestätigt wurde außerdem, dass der mächtige Stabschef im Kreml, Alexander Woloschin, dem Sympathien für die Wirtschaftsbosse nachgesagt werden, zurückgetreten ist. In Russland spielt sich offenbar ein regelrechter Politkrimi ab, über dessen Ursachen und Folgen wir nun mit Oliver Wieck sprechen werden, dem Geschäftsführer des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft. Herr Wieck, könnten die Vorwürfe der Behörden, der Ölmagnat Chodorkowskij habe Steuerhinterziehung und Betrug begangen, aus Ihrer Sicht stichhaltig sein oder sind sie eher ein Vorwand?

    Oliver Wieck: Ich denke sie sind auf der einen Seite ein Vorwand und auf der anderen Seite sind sie natürlich auch stichhaltig. Das mag jetzt zunächst einmal widersprüchlich klingen, aber wenn Sie mal in die neunziger Jahre in Russland zurückblicken, dann war diese Zeit sicherlich von einer Goldgräberstimmung geprägt, in dem die Besitztümer, und das sind insbesondere die Rohstoffe Russlands, zwischen den heutigen Oligarchen aufgeteilt worden sind. Es gab zwar Gesetze, die teilweise widersprüchlich waren und von daher wird man heute sehr leicht Ansatzpunkte finden, um solche Vorwürfe wie Betrug, Steuerhinterziehung und ähnliches zu fingieren.

    Spengler: Das heißt aber: viele schuldig, aber einer wird jetzt herausgepickt, warum?

    Wieck: Das ist, ich will nicht sagen, wie Kaffeesatzlesen, aber dafür gibt es natürlich eine ganze Reihe von unterschiedlichen Gründen. Wir haben Wahlkampf in Russland, am Ende des Jahres stehen die Parlamentswahlen an, nächstes Jahr stehen die Präsidentschaftswahlen an. Wir haben hier einen Bereich, nämlich die Erdölindustrie, die sehr lukrativ ist, wir haben einen angehenden, oder weiterhin stattfindenden, Machtkampf und einen Chodorkowskij, der sich auch politisch weiter herausgelehnt hat als andere Oligarchen, insbesondere nach dem Stillhalteabkommen, was Putin im Jahre 2000 mit den Oligarchen abgeschlossen hat.

    Spengler: Also, ein ganzes Geflecht von Gründen. Lassen Sie uns das ein bisschen entflechten. Das eine hatten Sie schon zum Schluss angedeutet, es könnte sein, dass Putin da ein Gegner, ein politischer Gegner erwachsen ist, den er nun los wird?

    Wieck: Ich würde noch gar nicht einmal so weit gehen. Chodorkowskij hat sicherlich in den neunziger Jahren von der Goldgräberstimmung in Russland profitiert und ist jetzt dazu übergegangen, seine Position in der Gesellschaft zu verbessern. Um es einmal so auszudrücken: Er hat sein Unternehmen transparent gemacht, weil er es auch international an die Börsen bringen wollte. Er setzt sich inzwischen auch für die Ausbildung junger Russen ein, er versucht sich durch die Finanzierung von sozialen Einrichtungen einen besseren Ruf zu verschaffen und er ist, und auch das ist ja interessant, inzwischen einer der Fürsprecher für die Zivilgesellschaft in Russland. Das ist eben ein Vorgehen, das nicht bei allen in der Putin-Administration auf große Zustimmung stößt.

    Spengler: Was bedeutet denn eigentlich der Rücktritt des Stabschefs Woloschin, der ja offenbar schon von Jelzin eingesetzt worden ist?

    Wieck: Zunächst ist ja einmal interessant, dass der Stabschef seit 2000, also schon vorher unter Jelzin und jetzt in der Zeit Putins in dieser Position saß und bis gestern dort auch saß. Putin selbst hat sehr lange an ihm festgehalten und ich denke schon, dass das hier auch ein Signal ist, dass der Einfluss der Jelzinfamilie, hier in der Person Woloschin, langsam zurückgedrängt wird.

    Spengler: Und die Jelzin-Familie hat bislang die großen Industrieoligarchien unterstützt?

    Wieck: So einseitig will ich das auch nicht sehen. Es gilt, dass Woloschin und Chodorkowskij sehr gut miteinander konnten und sicherlich ist das auch ein Fingerzeig in diese Richtung. Allerdings muss man auch sagen, dass sowieso damit gerechnet worden ist, dass Woloschin zurücktreten wird, da sich Putin sicherlich in seiner zweiten Amtszeit ein neues Team zusammensetzen will.

    Spengler: Das sind jetzt, sozusagen, die politischen Gründe für einen Machtkampf, die wir erläutert haben. Gibt es denn auch ökonomische? Also, dass staatliche Kräfte, Geheimdienstkräfte versuchen, sozusagen das Ölgeschäft wieder in ihre Hände zu bekommen?

    Wieck: Ich denke, mit der Beschlagnahmung der Aktien soll insbesondere eines erreicht werden, dass der lukrative Erdölmarkt nicht ohne Kontrolle, um es einmal so auszudrücken, in fremde Hände, hier insbesondere in amerikanische, rückt. Und das, denke ich einmal, ist eines der vorherrschenden Motive von einer ganzen Kette von Motiven, die sicherlich eine Rolle spielen bei dem ganzen Vorgehen zur Zeit.

    Spengler: Befürchten Sie größere Verstaatlichungsaktionen?

    Wieck: Putin hat ja gestern ausdrücklich gesagt, dass es sich hierbei nicht um eine Verstaatlichung handelt und dass hier nicht an den Grundsätzen der Marktwirtschaft gerüttelt werden soll. Ich denke mal, es handelt sich hier um ein sehr schwieriges Signal, das hier ausgesendet wird, denn das ist natürlich für Investoren, die gerade im Energiebereich, gerade im Ölsektor, aber auch im Gassektor, in anderen Rohstoffbereichen, sich engagieren wollen, ein Hinweis, dass der Staat weiterhin eine Rolle spielen wird, dass er nicht die Kontrolle völlig aus der Hand geben will und dass er wissen will, was eben mit dem Besitz, dem Staatsbesitz, eben den Rohstoffen passiert. Dass das natürlich ausländische Investoren nicht gerade dazu ermuntert, in den russischen Markt hineinzugehen, ist selbstverständlich und es ist auf der anderen Seite bedauerlich, dass diese Signale ausgesendet werden, weil zur Modernisierung des Landes eben auch ausländische Investoren erforderlich sind.

    Spengler: Das heißt, das Vertrauen der Investoren ist zerstört, so weit würden Sie schon gehen?

    Wieck: Zerstört würde ich noch nicht sagen, aber man beobachtet das sehr genau, man guckt sich das ganz genau an und es gibt ja auch ein funktionierendes Joint-Venture zwischen TNK und BP, auch da haben wir bisher Signale bekommen, dass das in Ruhe gelassen wird, dass man dort operieren kann. Aber was künftige Engagements angeht, da wird man sehr kritisch die Lage und auch die weitere Entwicklung beobachten.

    Spengler: Und Russland ist weiterhin auf Investoren angewiesen, das muss man auch sagen, oder?

    Wieck: Absolut.

    Spengler: Wäre das dann am Ende ein Pyrrhus-Sieg für Putin?

    Wieck: Ich denke mal, was jetzt erforderlich wäre, gerade in dieser Zeit der Verunsicherung, ist, dass man eben die Signale aussendet, um weitere ausländische Investoren ins Land zu locken. Es ist schon bisher nicht einfach gewesen, um es einmal vorsichtig auszudrücken, und es wird sicherlich hierdurch weiterhin erschwert. Ich würde mal spontan sagen, zum jetzigen Zeitpunkt hat man sich damit sicherlich keinen Gefallen getan.

    Spengler: Das war Oliver Wieck, Geschäftsführer des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft, vielen Dank für das Gespräch.