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Zäune für Belfast

Die gemeinsame Regierung von Katholiken und Protestanten soll der jahrzehntelangen Gewalt in Nordirland ein Ende bereiten. Doch wenn in dieser Woche die Erzfeinde von einst zusammen die Verantwortung für das Land übernehmen, schüttet das noch nicht die Gräben in der Bevölkerung zu. Martin Alioth besuchte eine Familie am Nordrand von Belfast.

07.05.2007
    "So ein schöner Ort", sagt Jim McManus. "Schade nur, dass wir nicht in Frieden leben können." Er weist hinter sich auf Cave Hill, den bewaldeten Berg am Nordrand von Belfast, und lobt die Aussicht auf die Belfaster Bucht. Wir stehen in einer kleinen, privaten Wohnsiedlung, Old Throne Park, mit etwa 30 gepflegten Häuschen.

    In der Küche von Nummer zwei, vorne an der Straße, erzählt Jims Frau Joan, warum sie nicht in Frieden leben können:

    "Im Juni 2005 zündeten Jugendliche aus dem benachbarten White-City-Viertel die Öltanks der McManus und ihrer Nachbarn, der McCauls, in den Gärten an. Die beiden Familien mit ihren insgesamt zehn Kindern konnten sich gerade noch in Sicherheit bringen, die beiden Häuser wurden so schwer beschädigt, dass sie für 14 Monate unbewohnbar waren."

    In jener Nacht dachte sie an die Methoden des Ku-Klux-Klan, und dieser Gedanke wird ihr nie mehr aus dem Kopf gehen.

    White City, der Herkunftsort der Brandstifter, ist ein kleines protestantisches Viertel in der Nähe; deshalb drängt sich die Frage auf, ob Old Throne Park katholisch sei? Mandy McCaul verweist darauf, dass es mehrere gemischtkonfessionelle Paare gebe, ebenso eine polnische und eine walisische Familie:

    "Es ist also keine rein katholische Gegend, aber möglicherweise wird sie so wahrgenommen."

    Wahrnehmungen waren in Nordirland schon immer mindestens ebenso wichtig wie Tatsachen. Feindbilder führen ins Spiegelkabinett.

    Die 42-jährige Mandy McCaul ist selbst Protestantin, verheiratet mit dem Mechaniker Paul, einem Katholiken. Gemischte Paare seien offenbar noch schlimmer als Katholiken, sagt sie, wie wenn man ein Verräter wäre in dieser engen, stupiden Weltsicht.

    Die Familie McManus hat kugelsichere Fensterscheiben eingebaut und den Öltank mit einem brandsicheren Stahlmantel verschalt. Der Garten ist auf vier Seiten von einem zwei Meter hohen, massiven Bretterzaun umgeben:

    "Die Türen im Zaun haben außen keine Klinken,"

    bestätigt Jim McManus. Da fühle man sich wie ein Gefangener und könne die Umstände nicht kontrollieren.

    Das sind die äußeren Symptome der Belagerung durch Brandstifter. Im Innern sieht es kaum besser aus. Die beiden Frauen, Joan und Mandy, waren in Therapie und nahmen Tabletten. Mandys zehnjährige Tochter verlor sämtliche Haare auf der einen Kopfhälfte, die beiden Männer mussten ihre selbstständige Tätigkeit aufgeben. Joan ist seither wegen Herzbeschwerden arbeitsunfähig.

    Die Angst wird sie bis in ihr Grab begleiten, die wird sie nie mehr los. Das britische Nordirlandministerium trägt der Lage Rechnung: Unlängst wurde ein neuer Zaun bewilligt, der die Familien McManus und McCaul vor den Brandstiftern schützen soll. Die schönfärberisch als "Peace Line" bezeichnete Befestigungsmauer, die sich durch Belfaster Gärten schlängelt, um Katholiken von Protestanten zu trennen, wächst also weiter. Pfarrer Ian Paisley, der angehende Regierungschef Nordirlands, blickt neuerdings in die Zukunft:

    "Wir dürfen nicht zulassen, dass unser Ekel vor dem Schrecken der Vergangenheit zu einem Hindernis für eine bessere Zukunft für unsere Kinder wird."

    Die große Politik hat dem Nordirlandkonflikt hartnäckig, kreativ und erfolgreich ein Ende bereitet, aber unterhalb der Schlagzeilengrenze gehen die Schikanen weiter. Für die Aussöhnung an der Basis gibt es keine Patentrezepte.