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"Zaman"-Erstürmung in Istanbul
Mit Tränengas gegen Pressefreiheit - und zum EU-Gipfel

Es habe sich gefühlt "wie in einem Polizeistaat": Ein deutscher Journalist erlebt die Erstürmung der "Zaman"-Redaktion live mit und berichtet bei Twitter darüber. Die Türkei steht nach der Aktion stark in der Kritik. Und zwei Tage vor dem gemeinsamen Gipfel muss sich auch Brüssel wieder Fragen gefallen lassen.

05.03.2016
    Proteste gegen eingeschränkte Menschenrechte vor dem "Zaman"-Gebäude
    Proteste gegen eingeschränkte Menschenrechte vor dem "Zaman"-Gebäude (picture alliance/dpa/Sedat Suna)
    Die Regierung in Ankara schweigt noch und lässt stattdessen weiter Taten sprechen: Einen Tag nach der Erstürmung der Zentralredaktion der Oppositionszeitung "Zaman" stellt die Polizei Zäune vor dem Gebäude in Istanbul auf. Ziel sei es, ankommende Leser der Zeitung fernzuhalten, die die Redaktion unterstützen wollten, hieß es. In der englischsprachigen Schwesterzeitung "Today's Zaman", die vor der gewaltsamen Übernahme veröffentlicht worden war, hieß es auf der schwarzen Titelseite "Beschämender Tag für Pressefreiheit in der Türkei".
    Am Freitag hatte die Polizei die Zentralredaktion der Oppositionszeitung gestürmt. Gegen vor dem Gebäude in Istanbul versammelte Demonstranten setzten die Beamten Tränengas und Wasserwerfer ein. Dann drangen sie in die Redaktion ein, um Mitarbeiter von "Zaman" herauszubringen.
    Der für die "Frankfurter Rundschau" und die "Berliner Zeitung" arbeitende Journalist Frank Nordhausen schrieb im Kurznachrichtendienst Twitter, er habe "die staatliche Übernahme als vermutlich einziger ausländischer Journalist live miterlebt" - und sei selbst festgenommen worden:
    Nordhausen schrieb außerdem, es habe sich angefühlt, als befinde er sich "in einem Polizeistaat".
    Auch international gab es harsche Kritik. Die Regierung in Ankara tue nichts anderes, "als die Gleichschaltung der Presse weiterzutreiben", sagte der Vizepräsident des EU-Parlaments, Alexander Graf Lambsdorff (FDP), im Inforadio des RBB. Die Grünen-Medienexpertin Tabea Rößner forderte bei Twitter, "ein solcher Angriff auf die Pressefreiheit muss ganz klar verurteilt werden". Von wem und wo, konkretisierte ihre Parteikollegin, die Europaabgeordnete Ska Keller: Und zwar müssten die Menschenrechtsverletzungen beim EU-Türkei-Gipfel angesprochen werden.
    Mit Blick auf das Treffen am Montag, bei dem einmal mehr die gemeinsame Flüchtlingspolitik Thema sein wird, sprach Linken-Chef Bernd Riexinger von "Scheinheiligkeit":
    In den sozialen Medien gibt es aber auch viel Applaus für den Schritt gegen "Zaman". So kommentieren User in den Kommentarspalten von Facebook einen Artikel der "Deutsch Türkischen Nachrichten" so: "Richtig so, nieder mit den Vaterlandsverrätern", "Viel zu spät. Man hätte viel früher dieses fiese Hetzblatt dicht machen müssen" oder "Unter dem Deckmantel der Pressefreiheit hat Zaman ununterbrochen Lügen verbreitet und gegen die Regierung nur negative Propaganda betrieben".
    "Zaman" ist die auflagenstärkste Zeitung des Landes mit nach eigenen Angaben 850.000 verkauften Exemplaren jeden Tag. Sie soll Verbindungen zu dem in den USA lebenden islamischen Geistlichen Fethullah Gülen haben - einem erbitterten Gegner von Präsident Recep Tayyip Erdogan. Die Regierung geht seit einiger Zeit verstärkt gegen Gülens Bewegung vor, der sie Pläne für einen Umsturz unterstellt.
    Die Zeitung werde künftig "auf Regierungslinie gebürstet", sagte ARD-Korrepsondent Thomas Bormann im Deutschlandfunk. Wenige Stunden vor der Polizeiaktion hatte ein Istanbuler Gericht angeordnet, das "Zaman" künftig unter Kontrolle eines Treuhänders gestellt werde. Damit untersteht die Führung von Redaktion und Verlag richterlich bestellten Managern.
    (bor/tzi)