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ZDF-Chefredakteur Brender: China wird Wahrheit nicht unterdrücken können

ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender hält öffentliche Debatten über mögliche Fernsehboykotte der Olympischen Spiele in Peking für unangebracht. Sein Sender werde "angemessen reagieren auf das, was geschieht", sagt Brender. Vorankündigungen und Drohungen hätten keinen großen Sinn.

Moderation: Jochen Spengler |
    Jochen Spengler: Wie soll die Welt reagieren auf die blutige Niederschlagung der tibetischen Proteste durch Sicherheitskräfte der Volksrepublik China? Mit einem Boykott der Olympischen Spiele, die in Peking in viereinhalb Monaten beginnen werden? Nicht nur wir haben darüber in den letzten Tagen immer wieder berichtet, auch über die Verantwortung der Politiker, über die der Sportler und vor allem die der Sportfunktionäre, die in ihrer übergroßen Mehrheit einen Boykott ablehnen.

    Wie aber steht es eigentlich mit der Verantwortung der Medien? Am Telefon begrüße ich Nikolaus Brender, den Chefredakteur des ZDF, des Zweiten Deutschen Fernsehens. Guten Morgen, Herr Brender!

    Nikolaus Brender: Guten Morgen, Herr Spengler!

    Spengler: Die ARD hat gestern mitgeteilt, dass man trotz der Unruhen in Tibet über die Olympischen Spiele berichten werde, allerdings werde man die Entwicklung genau beobachten und gegebenenfalls neu über einen Boykott entscheiden, so heißt es. Wie hält es das ZDF?

    Brender: Also, wir werden natürlich zusammen mit der ARD, weil wir ja die Olympischen Spiele gemeinsam übertragen, gemeinsame Rechte haben und deswegen auch gemeinsam agieren, werden beraten und unsere Reaktionen dann auch gemeinsam abstimmen. Es ist so, dass natürlich die Diskussion um einen Boykott weiß Gott nicht verboten ist, sondern Überlegungen müssen angestellt werden. Auf der anderen Seite wird man einen Boykott nie ankündigen und anschließend möglicherweise gar nicht tun, sondern entweder man boykottiert, und zwar gleich und ohne lange Diskussion in der Öffentlichkeit, oder man lässt es.

    Spengler: Ist es nicht denkbar, dass man abgestuft reagiert, also dass man beispielsweise droht damit, die Eröffnungs- oder die Schlussveranstaltung nicht zu übertragen?

    Brender: Ich denke, dass in einem solchen Vorfeld, in dem wir jetzt stehen, auch Drohungen keinen allzu großen Sinn haben, sondern wir beobachten sehr, sehr genau die Lage, und zwar nach den Kriterien, ob die Berichterstattung, so, wie sie uns zugesagt worden ist vom chinesischen olympischen Komitee, nämlich Freiheit der Berichterstattung, keine technischen Einschränkungen, keine inhaltlichen Begrenzungen, ob diese Berichterstattung möglich ist und ob sie so bleibt. Und wenn ja, sehe ich kein Problem, die Olympischen Spiele zu übertragen. Und wenn wir dort mit Reaktionen zu rechnen haben, wenn wir das spüren, unsere Korrespondenten oder die Reporter, die vor Ort sind oder vor Ort gehen, dann wird man neu überlegen müssen, ja.

    Spengler: Herr Brender, das, was man Ihnen zugesagt hat von China aus, bezieht sich das nur auf die reine Sportberichterstattung, oder bezieht sich das auch auf das Drumherum?

    Brender: Es ist eine Zusage des chinesischen olympischen Komitees, nur, das chinesische olympische Komitee ist ja keine unabhängige Einheit, sondern das chinesische olympische Komitee hat sich um die Spiele beworben. und damit hat sich das gesamte Land China um die Spiele beworben. Und nie - und auch jetzt nicht - bewirbt sich ein Land um die Olympischen Spiele, nur um die Stadien vorzustellen, sondern ein Land bewirbt sich doch um die Olympischen Spiele, um sich selbst vorzustellen, also das, was ein Land ausmacht, die Fortschritte, natürlich auch die kritischen Momente, und über all das besteht eine Zusage, frei berichten zu dürfen. Insofern gilt das nicht nur für die Sportberichterstattung.

    Spengler: Sie bekommen ja die Bilder, wenn ich es recht verstehe, vom chinesischen Fernsehen, also Bild und Ton. Was geschieht denn, wenn China diese Bilder zensiert, wie das neulich bei der Entzündung der olympischen Flagge in Griechenland passiert ist?

    Brender: Das wird eines der zentralen Probleme sein, ob wir bei der Eröffnungsveranstaltung oder bei einzelnen Sportarten und Sportereignissen diese Bilder bekommen, die die Realität und die Wirklichkeit vor Ort zeigen. Sollte dort behindert werden, müssen wir uns natürlich neue Überlegungen machen, aber wenn sich die chinesische Regierung beziehungsweise das olympische Komitee oder die, die die Bilder liefern, glauben, dass dadurch eine Wirklichkeit verdrängt werden kann, dann täuschen die sich. In den Stadien sind Tausende von Zuschauern, sind Tausende von Sportlern, und viele von ihnen haben kleine Kameras dabei, sie haben die Handykameras dabei. Wenn Live-Bilder unterdrückt werden, wird es nicht sehr lange dauern, dass die dann auf anderen Wegen natürlich in die internationale Medienlandschaft geraten. Wahrheit kann man heute nicht mehr verhindern in einer sehr vernetzten und auf Technologie ausgerichteten Gesellschaft.

    Spengler: Das französische Fernsehen hat angedroht, dass, wenn so etwas passiere, dass man dann aussteigen wolle aus der Berichterstattung. Warum machen das die deutschen Anstalten nicht?

    Brender: Weil wir nicht ankündigen wollen. Das heißt ja nicht, dass wir dann nicht entsprechend reagieren, aber wir werden angemessen reagieren auf das, was geschieht, und Vorankündigungen haben keinen großen Sinn, weil, sie müssten Einzelszenarien in die Öffentlichkeit geben, die so in der Regel nicht eintreffen werden. Natürlich haben wir uns ein Szenario auch intern überlegt und haben es auf dem Tisch und werden nach diesen Vorstellungen natürlich dann auch reagieren. Aber in der Öffentlichkeit eine Debatte zu führen über Dinge, die möglicherweise eintreten oder auch nicht, halte ich nicht für sehr zielführend.

    Spengler: Der Fairness halber sei erwähnt, dass ja nicht nur China da am letzten Montag aus Griechenland zensiert hat, sondern dass auch die öffentlich-rechtlichen griechischen Fernsehkameras auf die Zuschauerbühne geschwenkt haben, um den Protest nicht zu zeigen. Ist so etwas in Ordnung?

    Brender: Wir werden - und das wissen sowohl die Reporter als auch die Kameraleute -, wir werden nichts unterdrücken, sondern wir sind dazu da, die Wirklichkeit zu zeigen, auch die Wirklichkeit außerhalb der Stadien in China. Das heißt, wenn dort etwas geschieht, werden wir dies natürlich dokumentieren, das gehört mit dazu. Es ist übrigens nicht das erste Mal, es gab Proteste in Sydney, weil dort es Proteste gab gegen die Verletzung der Rechte der Ureinwohner, es gab in Atlanta Proteste, es gab sie überall, und das ist auch nichts Dramatisches beziehungsweise nichts Kriminelles, so wie teilweise die chinesische Regierung sich das so zurechtlegt. Wir werden das zeigen, was geschieht, und wir werden mit unseren Kameras, die wir dort aufgestellt haben, mit unseren Reportern werden wir das berichten, was wir sehen und was wir hören und von dem wir Kenntnis nehmen.

    Spengler: Herr Brender, wenn an der Übertragung der Olympischen Spiele im Funk und vor allem im Fernsehen fast die gesamte Finanzierung dieses Spektakels hängt, wie groß ist dann die Macht der Medien, und wie kann man diese Macht nutzen?

    Brender: Wir wollen ja keine Macht nutzen, sondern wir wollen, dass auch zu Zeiten der Olympischen Spiele - aber auch vorher und nachher - wir möglichst viele Informationen über China transportieren können, das ist unser journalistisches Interesse, möglichst viele Informationen über das Land, in dem ein solches Ereignis stattfindet. Dazu gehört aber auch eine saubere und sehr korrekte und sehr sorgfältige Berichterstattung. Ich glaube nicht, dass die Schlampereien, die RTL und n-tv in den letzten Wochen sich geleistet haben, dem dient. RTL hat sich ja entschuldigt, dass Bilder gezeigt worden sind, die im Zusammenhang falsch eingeordnet worden sind. RTL hat darüber berichtet, dass chinesische Militärs gegen Mönche vorgegangen seien, in Wirklichkeit waren das Ereignisse in Nepal. Das darf im Grunde nicht passieren, weil man den chinesischen Machthabern Vorwände liefert, die ein falsches Bild der westlichen Presse zeigt. Das heißt, wir müssen sehr sorgfältig vorgehen, aber wir müssen unsere Freiheit nutzen und unserer Verantwortung gerecht werden, die wir als öffentlich-rechtliche Medien, aber auch als Vertreter einer freien, westlichen Presse haben.

    Spengler: Nikolaus Brender, der Chefredakteur des ZDF. Herr Brender, danke für das Gespräch.

    Brender: Bitteschön.
    Nikolaus Brender, Chefredakteur des ZDF
    Nikolaus Brender. (AP)