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Zeh: "Keine Freiheit unter Beobachtung"

Allein durch das Wissen, dass im Internet intime Informationen ausgespäht werden könnten, verändere sich das Verhalten der Menschen, sagt die Autorin Juli Zeh. Es führe dazu, dass wir uns möglichst wenig exzentrisch verhalten, um nicht aufzufallen. So würden die Menschen gesteuert.

Juli Zeh im Gespräch mit Doris Schäfer-Noske | 23.07.2013
    Doris Schäfer-Noske: Viel mehr als wir über das Royal Baby wissen, weiß der amerikanische Geheimdienst offenbar über uns. Die NSA soll die Telefon- und Internet-Kommunikation in Deutschland im großen Stil überwacht haben und weiter überwachen. Wie eng da der Bundesnachrichtendienst mit der NSA zusammengearbeitet hat und zusammenarbeitet und was die Bundesregierung schließlich davon wusste, das will das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestags übermorgen von Kanzleramtsminister Pofalla erfahren. Angesichts der aktuellen Debatte stellt sich allerdings auch die Frage nach der Bedeutung der vielen gesammelten Daten. Frage an die Schriftstellerin Juli Zeh: Frau Zeh, inwieweit machen denn solche Daten den Menschen aus?

    Juli Zeh: Ich finde den Begriff Daten in dem Zusammenhang so ein bisschen problematisch, weil das immer suggeriert, es ginge da um etwas rein Virtuelles, was uns quasi fremd ist oder nicht so richtig zu uns gehört oder in einer abstrakten Sphäre angesiedelt ist. Wenn wir jetzt einfach mal Information sagen, also wenn wir einfach sagen, was da gesammelt wird, ist quasi die komplette Information über unser Leben, dann versteht man, glaube ich, doch sehr gut, dass uns das selbstverständlich ausmacht, weil wir sind ja nun viel mehr als die Summe dessen, was wir tun und denken, und wenn all das bekannt ist, dann ist sozusagen unser Innerstes nach außen gekehrt. Also das geht uns sehr wohl, finde ich, ganz konkret in unserem Sein an.

    Schäfer-Noske: Wird man denn Ihrer Meinung nach durch diese vielen gesammelten Daten oder Informationen irgendwann das Handeln von Personen und damit auch die Zukunft voraussagen können, wie das zum Beispiel in dem Film "Minority Report" geschieht?

    Zeh: Da reden wir, glaube ich, nicht mehr über eine Vision, sondern solche Versuche laufen konkret, und was man bestimmt niemals schaffen wird ist, tatsächlich die Zukunft vorherzusagen. Was aber sehr wohl möglich ist, ist bei einem Individuum einen gewissen Wahrscheinlichkeitsquotienten zu errechnen, mit dem der sich in die eine oder andere Richtung verhält. Das ist ganz verblüffend, was man da schon heutzutage und auch aufgrund von eigentlich recht wenigen Daten errechnen kann, und das ist ja auch der Zweck der gesamten Übung.

    Schäfer-Noske: Besteht denn da nicht auch die Gefahr, dass Menschen gesteuert werden, weil die Geheimdienste ihre Daten haben und dann ganz entsprechend nutzen?

    Zeh: Das ist eben das Problem, und die Steuerung beginnt ja schon in dem Moment, wo Daten überhaupt erhoben werden, weil viele sind sich dessen, glaube ich, nicht bewusst, oder haben immer das Gefühl, es betrifft sie nicht, weil man das alles nicht so richtig sehen kann. Aber man muss das nur mal selber probieren. Wenn man sich vor eine Kamera setzt, verhält man sich völlig anders. Das angeschaut werden, das beobachtet werden ist an sich schon eine Einflussnahme. Und was uns einfach suggeriert wird durch diese permanente Beobachtung ist im Grunde, dass wir uns normenkonform verhalten sollen. Wir sollen uns normal verhalten, weil diese ganzen Datenfilter registrieren ja immer die Abweichungen. Es gibt immer den Normalfall und dann werden Abweichungsfälle definiert, und wenn man da reinragt, bekommt man möglicherweise Ärger, und den dann auch ganz konkret. Dann kommt auch jemand vorbei. Dann kommt die Sicherheitspolizei und befragt einen dazu. Unser Unterbewusstsein – dessen bin ich mir sicher – registriert das und es erzieht uns einfach dazu, möglichst wenig exzentrisch zu sein, möglichst angepasst.

    Schäfer-Noske: Was hat das für Konsequenzen?

    Zeh: Da sehe ich einfach die homogene Gesellschaft ohne viel Raum für Persönlichkeitsentwicklung, weil der Mensch seine Freiheit ja nur dann nutzen kann, wenn er einen bestimmten Raum der Intimität zur Verfügung hat. Es gibt für mich in meinem Verständnis keine Freiheit unter Beobachtung. Das widerspricht sich existenziell. Das heißt, wenn wir diesen Weg weitergehen, auf dem wir jetzt gerade sind, müssen wir uns, glaube ich, klar machen, dass wir unser gesamtes Freiheitsverständnis, für das 250 Jahre lang in der Aufklärung blutig zum Teil gekämpft worden ist, opfern unter dem Vorzeichen dessen, was unser Innenminister das Supergrundrecht Sicherheit nennt, was es noch nicht mal gibt, was also eine völlige Schimäre ist, die aber zurzeit sehr großen Anklang findet.

    Schäfer-Noske: Warum ist es denn so lange so gewesen, dass sich da fast keiner drüber aufgeregt hat?

    Zeh: Ich verstehe es ehrlich gesagt auch nicht so richtig, weil ich habe wirklich eine emotionale Reaktion darauf. Erklären kann ich mir das eigentlich nur so, was Sie am Anfang schon sagten: Diese Datenkiste wirkt so abstrakt. Das ist, glaube ich, wesenhaft gar nichts Neues, aber jetzt durch die technische Kommunikation und so weiter haben die Leute vielleicht das Gefühl, das nicht zu verstehen oder so. Die fühlen sich, glaube ich, ein bisschen überfordert von dem ganzen Komplex.

    Schäfer-Noske: Gibt es denn noch eine Möglichkeit, sich dem Ganzen beobachtet werden zu entziehen?

    Zeh: Die gibt es natürlich! Man kann sich jetzt technisch hochrüsten. Man kann quasi sagen, wir spielen jetzt Kalter Krieg zwischen Bürger und Behörden und wir verstecken uns alle hinter Firewalls, wir verschlüsseln unsere E-Mails, wir benutzen kein Facebook mehr, wir benutzen alle Portale nicht mehr, von denen wir wissen, die liefern Infos an die zum Beispiel NSA. Aber ehrlich gesagt ist das nicht meine Wunschvision. Ich gehe ja auch nicht aus dem Haus in einer Ritterrüstung. Ich muss ja auch nicht, wenn ein Polizeiauto vorbeifährt, mir eine Kapuze übers Gesicht ziehen, weil ich sonst fotografiert werden von denen. Also wir haben doch eigentlich ein Verständnis davon, dass wir uns frei bewegen dürfen in öffentlichen Räumen, und das Internet ist ein öffentlicher Raum.

    Schäfer-Noske: Die Schriftstellerin Juli Zeh war das über Freiheit und Individualität vor dem Hintergrund der Späh-Affäre.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.