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Zehn Jahre Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
Diskriminierung ist noch immer Alltag

2006 trat in Deutschland das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) inkraft. Seitdem haben Personen, die sich aufgrund ihrer Hautfarbe, Religion, ihres Geschlechts oder eines Handicaps diskriminiert werden, die Möglichkeit, gegen Benachteiligung zu klagen. Ein wichtiger Meilenstein, sagen die einen. Anderen geht das aktuelle Gesetz nicht weit genug.

Von Susanne Arlt und Peggy Fiebig | 18.08.2016
    Hellgrünes Schild einer Demonstrantin mit den aus einer Zeitung ausgeschnittenen und aufgeklebten Worten: "Gleiche Rechte für ALLE !"
    Schild einer Demonstrantin mit der Aufschrift: "Gleiche Rechte für ALLE!" (imago stock&people)
    Ein lauer Sommerabend in Hannover im Juli vor zwei Jahren. Die meisten Menschen sind in bester Stimmung, denn die Fußballnationalmannschaft hat gerade den Weltmeistertitel geholt. Auch Zacharias Schneider hat sich das Spiel mit Freunden im Fernsehen angeschaut, danach beschließt die Truppe spontan, den Sieg noch in der Diskothek Sansibar im Steintorviertel zu begießen.
    Gut gelaunt reihen sie sich in die Schlange vor dem Eingang ein. Alle tragen Deutschland-Trikots, machen Scherze. Bis Zacharias Schneider schließlich vor den beiden Türstehern angelangt.
    "Der Türsteher hatte meinen Freund, der vor mir stand, ohne weitere Bemerkung reingelassen, hat dann mich nur ganz kurz angeschaut und gesagt, ich möge es doch bitte an der anderen Tür probieren."
    Obwohl Zacharias Schneider zu diesem Zeitpunkt schon ahnt, worum es hier wirklich geht, nämlich seine Hautfarbe, versuchen er und seine Freunde es am anderen Eingang.
    "Und da ist auch wiederum der Kollege, hellhäutig, eingelassen worden ohne Probleme und mir hatte man mit den gleichen Worten bedeutet, ich möge es doch bitte an der anderen Tür probieren. Ich wurde von Tür zu Tür geschickt."
    Zacharias ist in Deutschland geboren, Deutsch ist seine Muttersprache, er hat erfolgreich Jura studiert. Seine Hautfarbe aber ist dunkler als die von vielen Deutschen, denn seine Mutter stammt aus Sri Lanka. Für die Türsteher offenbar ein Grund, ihn an diesem Abend nicht in die Diskothek zu lassen. Als seine Freundin nachhakte, warum denn nur Zacharias nicht hinein dürfe, lautete die lapidare Antwort: Das wisse er schon. Für Zacharias Schneider ein Schock.
    "Wenn man so von einem Hoch kommt, da wirklich mit allen Leuten aus allen Nationen den Deutschlandsieg feiert, unglaublich gut gelaunt, das holt einen schon sehr, sehr runter."
    Diskriminierung ist Alltag in Deutschland
    Diskriminierung vor Diskotheken, auf dem Wohnungsmarkt, im Fitnessstudio oder bei der Jobsuche: Alltag in Deutschland, sagt Vera Egenberger. Die Geschäftsführerin vom Verein "Büro zur Umsetzung von Gleichbehandlung" in Berlin begleitet Fälle wie den von Zacharias Schneider vor Gericht. Denn gegen Diskriminierung kann man sich rechtlich zur Wehr setzen, seit heute vor zehn Jahren das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, kurz AGG, in Kraft getreten ist. Ein gesellschaftlich wichtiger Schritt, sagt Egenberger.
    "Das sind in der Regel kurze und sehr schmerzhafte Situationen für die Betroffenen. Die fühlen sich wahnsinnig ausgeschlossen. Das ist so ein Schlag ins Gesicht. Der sagt: Du nicht, und bei den anderen ist es okay. Da gehen junge Männer sehr unterschiedlich mit um. Manche können dann sehr eloquent sagen, das ist ein blöder Klub, da will ich dann eh nicht rein. Andere beschäftigt das lange Zeit und manche nehmen das in der Tat auch als Signal, die Gesellschaft will mich nicht."
    Rot-Grün unter Gerhard Schröder feilte lange an der Umsetzung der EU-Richtlinien. In Kraft trat das Gesetz dann 2006 unter der schwarz-roten Regierung. Es gilt für das Arbeitsrecht und den Zugang zu Waren und Dienstleistungen, zum Beispiel für Verträge mit dem Fitnessstudio, dem Vermieter und in Gaststätten. Die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle, Christine Lüders hat bereits in der vergangenen Woche Bilanz gezogen und dabei die Einführung des AGG als Meilenstein bezeichnet.
    "Geregelt ist, dass Menschen, die einer Diskriminierung unterliegen, ganz klar das Recht haben, dagegen vorzugehen. Einmal sind das die Merkmale ethnische Herkunft, das ist Geschlecht, das ist Behinderung, das ist Alter, das ist sexuelle Identität. Das sind Themen, die sehr wichtig sind. Denn Menschen in ihrer Vielfalt haben immer wieder Probleme damit, dass sie diskriminiert werden."
    Ein heiß umstrittenes Gesetz
    Bevor das AGG endgültig verabschiedet wurde, war es heiß umstritten. Politiker von Union und Vertreter der Wirtschaft, aber auch Rechtsexperten waren anfangs strikt dagegen. Der damalige rechtspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jürgen Gehb, verglich den ursprünglichen Entwurf mit einem
    "übel riechenden Handkäse, der lange in der Sonne gegammelt hat."
    Die FDP lehnte den Entwurf bis zum Schluss ab, sie fürchtete, dass die Vertragsfreiheit beschädigt, und die Wirtschaft durch einen bürokratischen Aufwand und eine Vielzahl von Klagen belastet werden würde. Insbesondere im Arbeitsrecht sah das Gesetz Änderungen vor: Arbeitgeber müssen seitdem aktiv dafür sorgen, dass in ihren Unternehmen niemand benachteiligt wird. Wird doch diskriminiert, hat der Betroffene einen Schadensersatzanspruch. Allerdings ist es, auch wenn es zahlreiche Gerichtsentscheidungen insbesondere im Arbeitsrecht gibt, zu der befürchteten Klagewelle nicht gekommen. Die Berliner Rechtsanwältin Anja Mengel:
    "Wir beraten ja ausschließlich Unternehmen, dann geht es in der Regel darum, dass sie ihren Einstellungsprozess also Stellenausschreibung, Interviewprozess, auch Absage von Bewerbungen natürlich rechtskonform gestalten wollen und da hat das AGG durchaus auch Änderungen gebracht gegenüber der früheren Gesetzeslage und da versucht man natürlich, alles richtig zu machen."
    Entscheidende Veränderungen
    Aber beim arbeitsrechtlichen Diskriminierungsverbot des AGG geht es nicht nur um die Einstellung. So sind auch immer wieder Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen. Vor allem Regelungen, die an das Alter des Arbeitnehmers anknüpfen, beispielsweise die Dauer des Urlaubs oder die Gehaltsentwicklung wurden gekippt. Denn eine Diskriminierung kann auch Jüngere treffen, die gerade wegen ihres jungen Alters benachteiligt werden.
    "Es gibt gerade in dem Bereich auch Bundesarbeitsgerichtsentscheidungen, die wirklich auch Dinge verändert haben. Beispielsweise die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes zum Tarifvertrag im Öffentlichen Dienst, dem BAT, dass die dort vorhandenen Lebensaltersstufen beim Aufstieg, auch beim Vergütungsaufstieg und beim Beförderungsaufstieg etc., dass die reine Anknüpfung daran, wie alt jemand ist, unzulässig geworden war. Bevor das AGG das Diskriminierungsverbot Alter ausgesprochen hat, war das zulässig in Deutschland, da hatte man kein Störgefühl, Altersdiskriminierung zu betreiben. Gerade das Alter als Anknüpfungspunkt war ja im Arbeitsrecht sehr verbreitet."
    Christine Lüders, Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, spricht vor dem Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma in Berlin.
    Christine Lüders, Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. (picture alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka)
    Zehn Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes findet Ungleichbehandlung aber immer noch statt. Eine Umfrage der Antidiskriminierungsstelle ergab 2015: Fast jeder dritte Mensch in Deutschland erlebte in den vergangenen zwei Jahren Benachteiligung aufgrund seines Geschlechts, seiner Religion, seines Aussehens oder seiner sexuellen Orientierung. 15.000 Menschen suchten in den vergangenen zehn Jahren bei der Antidiskriminierungsstelle Rat. Weil trotzdem so selten Fälle vor Gericht landen, will die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Christine Lüders, das AGG reformieren. Eine von ihrer Behörde in Auftrag gegebene Evaluierung ergab mehrere Schwachstellen: So müsse die zweimonatige Klagefrist auf ein halbes Jahr verlängert werden, Antidiskriminierungsstellen ein Verbandsklagerecht erhalten und das Mandat ihrer Behörde ausgeweitet werden. Dazu zählt ein Akteneinsichts- und Auskunftsrecht.
    Das Deutsche Institut für Menschenrechte hat sich an der Diskussion um das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz während der parlamentarischen Beratungen intensiv beteiligt und beobachtet seit dem Inkrafttreten die Auswirkungen des Gesetzes. Die Direktorin des Institutes in Berlin, Beate Rudolph:
    "Es war ein großer Erfolg, dass das AGG verabschiedet worden ist vor zehn Jahren, weil mit dem Gesetz ganz klar gemacht wird, dass Diskriminierungen verboten sind. Der Staat darf nicht diskriminieren, aber auch Private dürfen nicht diskriminieren. Das AGG hat das ganz deutlich gemacht und es hat gleichzeitig den von Diskriminierung betroffenen Menschen etwas an die Hand gegeben, nämlich den Zugang zum Recht."
    Es ist eine Sache, vor Gericht Recht zu bekommen. Aber mit dem AGG sollte sich auch das gesellschaftliche Denken ändern. Es werde eine Signalwirkung angestrebt, hieß es in der Begründung zum Gesetzentwurf.
    "Denn ein wichtiger Aspekt des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes ist es, dass es der Anstoß war, dass Unternehmen und Betriebsräte sich mit Antidiskriminierung befassen und damit den Betroffenen helfen, dass die Diskriminierung abgestellt wird und es gar nicht zu Gerichtsverfahren kommt. Und das ist letztlich die beste Lösung.
    Klagerecht für Verbände gefordert
    Aber auch sie findet, das Gesetz sollte nachgebessert werden, so fordert sie mehr Beratungsmöglichkeiten. Noch nicht in allen Bundesländern gibt es Antidiskriminierungsstellen. Außerdem wünscht sich auch Beate Rudolph ein eigenes Klagerecht für Verbände. Das wäre beispielsweise sinnvoll, wenn es um diskriminierende Formulierungen in Tarifverträgen geht.
    "Bei einer Diskriminierung, die durch einen Tarifvertrag begründet ist - ist es wirklich der einzelnen Person zuzumuten, dass jeder einzelne klagt, gegen beispielsweise eine Lohnungleichheit zwischen Männern und Frauen, die durch den Tarifvertrag begründet wird. Oder wäre es nicht besser, wenn eine Organisation stellvertretend für alle betroffenen Frauen klagen könnte?"
    Damit steht Beate Rudolph nicht allein. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat vor wenigen Wochen im Bundestag einen Antrag eingebracht, der eine Reform des AGG fordert. Neben dem Verbandsklagerecht nennt Katja Keul, rechtspolitische Sprecherin der Fraktion, die zahlreichen Ausnahmeregelungen:
    "Um ein Beispiel zu nennen: Im Bereich des Arbeitsrechts ist der gesamte Kündigungsschutz herausgenommen, dort wird ausschließlich auf das Kündigungsschutzgesetz verwiesen. Das würden wir gerne ändern. Darüber hinaus haben wir den Bereich kirchliches Arbeitsrecht, die Ausnahmen wo wir fordern, dass auf den Verkündungsbereich, also den eigentlichen Glaubensbereich eingeschränkt wird und nicht auf alle Arbeitsverhältnisse Anwendung finden kann.
    Und es gibt auch im Mietrecht Einschränkungen, wonach ethnische Merkmale doch berücksichtigt werden können. Also man sieht - jede Menge Baustellen, wo es Zeit wird, die Einschränkungen von damals aufzuheben."
    Guter Kompromiss zwischen widerstreitenden Interessen
    Wirtschaftsverbände, der Arbeitgeberverband, aber auch der Verband der Familienunternehmer lehnen solche Veränderungen im AGG ab. Zu Recht, meint auch CDU-Politiker Hendrik Hoppenstedt. Der 43-jährige ist Mitglied im Bundestags-Rechtsausschuss und zuständiger Berichterstatter. Das Antidiskriminierungsgesetz sei ein guter Kompromiss zwischen widerstreitenden Interessen, meint Hoppenstedt. Leider werde die Debatte zu oft aus Sicht der potenziellen Diskriminierungsopfer geführt. Vor allem im Bereich Beschäftigung.
    "Das ist wichtig, dass wir das tun. Aber wir vergessen dabei immer völlig die andere Seite. Nämlich die Arbeitgeber beispielsweise, die ja auch über Rechte verfügen. Wenn wir also bei den Diskriminierungsopfern den Potenziellen, den allgemeinen Gleichheitssatz aus dem Grundgesetz Artikel 3 bemühen, dann muss man fairerweise sagen, es gibt auch etwas wie die allgemeine Handlungsfreiheit, die ergibt sich aus Artikel 2 des Grundgesetzes. Es ist mir grundsätzlich erst einmal gestattet mit wem auch immer, Verträge zu machen oder aber eben auch nicht."
    Er lehnt nicht nur die Verbandsklage, sondern auch die Idee einer Prozessstandschaft ab, also die Möglichkeit eines Vereins, das Recht einer diskriminierten Person im eigenen Namen geltend zu machen.
    Als Grundsatz der deutschen Rechtsordnung gelte: Wer sich in seinen Rechten verletzt fühle, der könne sie anzeigen, so der CDU-Politiker. Dazu bedürfe es keiner weiteren Person. Und wer sich eine Klage nicht leisten kann, der könne Prozesskostenhilfe in Anspruch nehmen.
    "Meine Sorge ist, wenn wir die Verbandsklagen hätten, dann würden nicht mehr die Interessen derjenigen, die sich diskriminiert fühlen im Vordergrund stehen, sondern würden möglicherweise – zumindest ist das nicht auszuschließen – die Verbände, die zum Teil auch immer eine eigene politische Agenda verfolgen, dieses auf dem Klageweg geltend machen."
    Deutliche Verlängerung der Rechtsunsicherheit befüchtet
    Auch dem Wunsch der Antidiskriminierungsstelle nach mehr Akteneinsicht bzw. Auskunftsrecht gegenüber dem Arbeitgeber kann Hoppenstedt nichts abgewinnen. Dass die Anzahl der Klagen so gering sei, liege wohl auch an der guten Beratung der Antidiskriminierungsstelle. Sie trage offenbar viel zur Aufklärung bei, ob es ein Diskriminierungsfall im Sinne des AGG sei oder nicht. Auch eine erweiterte Klagefrist lehnt der Politiker ab.
    "Wenn ich das jetzt auf sechs Monate ausweiten würde, dann würde das natürlich wiederum bedeuten, dass ich eine deutliche Verlängerung in der Rechtsunsicherheit habe. Und das Zweite wichtige Argument, je weiter ich mich zeitlich von einem Ereignis entferne, desto schwieriger ist es, den Nachweis zu führen. Deswegen ist die Zweimonatsfrist im Sinne der Rechtssicherheit eine gute Frist."
    Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes setzt beim Thema Gleichbehandlung aber nicht nur auf gesetzliche Vorschriften, sie will auch Impulse geben, die Gesellschaft zu Nachdenken anregen.
    Diskriminierungsfreies Bewerbungsverfahren
    "Ja ich kann es nicht lesen, ob ich etwas richtig geschrieben habe oder nicht, das ist mein Problem" ...
    Steffen Müller sitzt in seinem Büro in Celle. Vor ihm auf dem Tisch stehen zwei Bildschirme. Der eine ist mit seinem Computer verbunden, der andere ist ein Lesegerät.
    "Jetzt habe ich hier ein Schreiben, das kann ich so nicht lesen, aber dafür habe ich hier mein Lesegerät, damit kann ich das so vergrößern, dass ich das lesen kann und die Zahlen eingeben kann in die Tabellen, wo sie hin müssen."
    25 Jahre lang hat Steffen Müller als Metzger gearbeitet. Bis zu seinem Arbeitsunfall vor zehn Jahren, als Natronlauge sein rechtes Auge und sein Gesicht verätzte. Seitdem gilt der Endvierziger als schwerbehindert. Doch nur zu Hause bleiben und Trübsal zu blasen, konnte er sich nicht vorstellen. Also schulte er zum Verwaltungsfachangestellten um.
    Dann fing der Frust aber erst richtig an. Seine zahlreichen Bewerbungen endeten stets mit einer Absage. Bis er auf die Internetseite der Stadt Celle stieß und dort vom anonymisierten Bewerbungsverfahren las. Müller bewarb sich: ohne Porträtfoto oder ohne Angaben zu seinem Namen, Alter, Geschlecht, Familienstand oder seiner Herkunft - dafür aber mit einem überzeugenden Motivationsschreiben. Müller wurde zum Vorstellungsgespräch eingeladen und prompt eingestellt. Keine Selbstverständlichkeit, das muss auch Müller anerkennen:
    "Man hat schon den Mut, Veränderungen reinzubringen. Das muss man schon hoch bewerten. Weil, viele gehen nur den geraden Weg und sagen, das machen wir und nichts anderes. Mut und Lob demjenigen, der diesen Weg gegangen ist und hat gesagt, ich gehe auch andere Wege."
    Bewerbung: "Ich schaue auf das Foto"
    Die Idee für das anonymisierte Bewerbungsverfahren hatte allerdings nicht die Stadt, sondern die Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Sie wollte ein Pilotprojekt mit öffentlichen und privaten Arbeitgebern initiieren. Als Oberbürgermeister Dirk-Ulrich Mende davon erfuhr, war er gleich Feuer und Flamme.
    "Habe dann meinen Fachdienstleiter Herrn Birkholz dazu gebeten und habe gesagt, Herr Birkholz, da kümmern wir uns drum, das machen wir mit, um da überhaupt mal Erfahrung zu sammeln. Und da hat Herr Birkholz gesagt, das brauchen wir nicht."
    Jockel Birkholz, der seinem Chef im Oberbürgermeisterbüro gegenübersitzt, kommt kurz ins Stocken.
    "Na ja, einem Personaler vorzuwerfen, er würde diskriminieren, das grenzt ja schon fast an Beleidigung, nicht? Wir nehmen für uns in Anspruch, dass wir nach objektiven Kriterien aussuchen und wir konnten die richtigen Leute auswählen mit dem bisherigen Verfahren, wir haben alles beachtet, also warum sollten wir es ändern?"
    Dem Wunsch seines Oberbürgermeisters kam der Personalchef der Stadt Celle trotzdem nach. Nach einem Gespräch mit der Antidiskriminierungsstelle fing auch er an zu hinterfragen, wie Auswahlverfahren bisher eigentlich verliefen.
    "Ich schaue auf das Foto. Ich gucke auf das Geburtsdatum. Ich gucke auf den Lebenslauf und habe dann bestimmte Bilder im Kopf. Wenn ich dann in die Qualifikation gehe, dann schwingen die möglicherweise mit. Und dann habe ich mir den Personalstamm bei der Stadt Celle mal angeschaut. Und habe dann festgestellt, wer ist mit wem eigentlich verwandt? Also welche Einflüsse gibt es eigentlich?"
    Vordruck für eine anonyme Bewerbung ohne Foto, Name und Alter
    Eine Bewerbung ohne Foto soll vor Diskriminierung schützen. (dpa / picture alliance / Jens Büttner)
    Das Pilotprojekt war auf ein Jahr angelegt, die Stadt Celle blieb dabei. Innerhalb von fünf Jahren wurden 65 Mitarbeiter mittels dieses Verfahrens angestellt, vom Sachbearbeiter bis zum Geschäftsführer bei den Stadtwerken. Dass diesen Job ein Mann mit indischen Wurzeln bekam, wurde vor einigen Jahren auch über die Grenzen Celles hinaus als beispielhaft gefeiert. Außerdem sei es ein hervorragendes Mittel gegen Vetternwirtschaft betont Oberbürgermeister Mende.
    "Du wirst gefragt von deinen Parteifreunden, ach jetzt bist du doch dran, jetzt kannst du mal einstellen. Ich sage dann immer, nein, mache ich nicht, tue ich nicht, will ich auch nicht. Ich kann mich ganz entspannt zurücklehnen, kann, ihr wollt Einfluss ausüben, sagt denjenigen, der sich bewerben möchte, er möchte sich im anonymisierten Bewerbungsverfahren bewerben und gucken, ob er durchkommt."
    Urteil mit Signalwirkung
    Zurück nach Hannover und zu Zacharias Schneider. Wäre er damals nicht mit so vielen Freunden und Arbeitskollegen unterwegs gewesen, hätte er womöglich den Diskobetreiber nie wegen Diskriminierung verklagt, sagt der 34-Jährige heute rückblickend.
    "Man misst dem selbst irgendwann nicht mehr die Bedeutung bei dieser Diskriminierung zu, weil man es irgendwo schon gewohnt ist. Das ist tatsächlich traurig, aber man sagt, okay das kommt halt häufiger vor: Und hier war es in meinem Fall nur so, dass es so besonders deutlich auffiel, weil ein so besonderes Ereignis vorgelagert war. Aus dem Grund habe ich gesagt, diesen Fall lasse ich diesmal nicht so auf sich beruhen.
    Mit seiner Klage hatte er Erfolg. Die Amtsrichterin stellte fest, dass Zitat
    "in Ermangelung anderer Gründe die Dunkelhäutigkeit des Klägers der Grund für den verweigerten Eintritt war."
    Der Betreiber musste Zacharias Schneider ein Schmerzensgeld in Höhe von 1.000 Euro zahlen. Über das Urteil hat sich Schneider der heute als Anwalt und Steuerberater arbeitet, gleich doppelt gefreut.
    "Mir war wichtig, dass davon auch eine Signalwirkung ausgeht. Und wenn das ein sehr kleiner Betrag gewesen wäre, hätte das sicherlich auch nicht andere ermutigen können, ebenfalls ihr Recht dort geltend zu machen. Und es hätte der Diskothek auch schlichtweg nicht wehgetan."