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Zehn Jahre Homo-Ehe in Spanien
"Spanien ist das freieste Land der Welt"

Vor zehn Jahren am 11. Juli wurde die erste gleichgeschlechtliche Ehe im einst so traditionell-katholischen Spanien geschlossen. Das Land war damit der dritte Staat Europas, der das ermöglichte. Damals wurde dagegen auf den Straßen protestiert, inzwischen sind diese Proteste der Gegner längst verschwunden und Spanien gilt als das offenste Land weltweit gegenüber Homosexuellen.

Von Hans-Günter Kellner |
    Wehende Regenbogenflaggen auf einer Demonstration.
    Madrid hat den Ruf, eine der schwulenfreundlichsten Städte Europas zu sein. (picture alliance / dpa / Jens Kalaene)
    Die Gran Vía, die alte Prachtstraße in der Madrider Innenstadt. Wo sonst die Autos auf acht Spuren den Ton angeben, sind mehr als eine Millionen Menschen unterwegs. Es ist der "Día del Orgullo", der wichtigste Tag der Schwulen-, Lesben- und Transsexuellen-Szene. Aus der Ferne dröhnen die Bässe eines Open-Air-Konzerts, Männer in Leder kreuzen die Straße. Der Spanier Victor und sein lateinamerikanischer Freund Oscar tragen zu normaler Kleidung die Regenbogenfahne:
    "Auf der einen Seite geht es hier um unsere Rechte. Auf der anderen spült diese Fiesta aber auch Geld in die Stadt, wenn die Schwulen nach Madrid kommen."
    Denn trotz einer leichten Zunahme homophober Übergriffe steht Madrid im Ruf, eine der schwulenfreundlichsten Städte Europas zu sein. Das lohnt sich: Die Hotels sind zum Dia del Orgullo stets ausgebucht, die Party soll der Stadt diesmal 150 Millionen Euro einbringen, schätzen die Organisatoren.
    Spanien gilt weltweit als das offenste Land gegenüber Homosexuellen
    Es nerve ein wenig, dass die politische Demonstration für die Rechte von Schwulen, Lesben und Transsexuellen kaum noch wahrgenommen wird, klagen hingegen die beiden Aktivisten Manuel Ródenas und Javier Gómez in einem Beratungszentrum der Madrider Regionalregierung. Manuel leitet das Zentrum. Seit der Legalisierung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare vor zehn Jahren steht die Party im Vordergrund. Heterosexuelle feiern mit: Einer Studie des Pew Research Centers unter 40 Ländern zufolge ist das einst so katholisch-traditionelle Spanien weltweit das offenste Land gegenüber Homosexuellen. Manuel:
    "Seit der Demokratisierung im Jahr 1978 bis heute hat sich die spanische Gesellschaft so sehr verändert wie keine andere in Westeuropa. Die Leute sehen die Welt mit ganz anderen Augen als vor 20 Jahren. Vor wenigen Jahren waren Transsexuelle zum Beispiel noch unsichtbar. Sie wurden ignoriert. Heute organisieren sich die Eltern von transsexuellen Kindern in Verbänden, werden zu Aktivisten. Die Lust auf Veränderungen ist sicher eine der besonderen Eigenschaften der Spanier."
    Während Manuel spricht, sieht Javier ihn nachdenklich an. Vor zehn Jahren sah die katholische Kirche noch die traditionelle Familie bedroht und rief zu Demonstrationen gegen die Homoehe auf. Die konservative Volkspartei zog vor das Verfassungsgericht. Dabei gibt es auch konservative schwule Politiker. So etwa Javier. Er ist Mitglied der Volkspartei. Als er Manuel heiratete, protestierten seine Parteifreunde:
    "Das hat schon geschmerzt. Aber es hat mir auch Kraft gegeben, um meine Rechte zu kämpfen, mein Ziel zu erreichen, Manuel endlich heiraten zu können. Niemand sollte unsere Liebe infrage stellen dürfen. Ich hatte keine Angst. Am Ende haben wir es erreicht. Inzwischen bitten sogar Leute aus der Volkspartei um Verzeihung für ihren Widerstand gegen die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare. Ganz offen, im Fernsehen."
    Mehr als 3.000 schwule und lesbische Paare heiraten in Spanien jedes Jahr
    Einer von der Tageszeitung "El País" in Auftrag gegebenen Umfrage zufolge sprechen sich nur noch vier Prozent der Spanier gegen die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare aus. Etwas mehr als 3.000 schwule und lesbische Paare heiraten in Spanien jedes Jahr. Sie dürfen auch Kinder adoptieren, auch dagegen hat eine große Mehrheit der Spanier nichts. Javier und Manuel haben kein Kind und so viel Zeit zum Reisen. Auch dabei bleiben sie Aktivisten in der Frage der Gleichstellung von Schwulen und Lesben:
    "Wenn wir reisen, besuchen wir auch immer die Schwulenverbände in den entsprechenden Ländern. Wir berichten von unserer Erfahrung in Spanien und was ihnen helfen könnte. In Argentinien haben sie jetzt ja auch die Ehe für Schwule und Lesben ermöglicht."
    Argentinien bleibt damit in Lateinamerika jedoch eine Ausnahme. Viele lateinamerikanische Schwule und Lesben erhoffen sich eine ähnliche Strahlkraft Spaniens auch auf ihre Heimat. Denn dort, sagt eine Gruppe junger Männer und Frauen aus der Dominikanischen Republik bei den Fiestas in Madrid, sei noch viel zu tun:
    "In Lateinamerika sind die Leute gegenüber den Rechten von Homosexuellen immer noch sehr verschlossen. Da ist es nicht wie in Europa oder den USA, wo die gleichgeschlechtliche Ehe jetzt ja auch akzeptiert worden ist. Spanien ist das freieste Land der Welt. In der Dominikanischen Republik gibt es immer noch viel Machismus."
    Auf großes Unverständnis stößt bei den Feiernden in Madrid auch, dass ausgerechnet das fortschrittliche Deutschland bei der Gleichstellung Homosexueller noch nicht nachzogen hat.