Dienstag, 07. Mai 2024

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Zehn Jahre nach der Katastrophe von Fukushima
Viele Fakten, wenig Kritik

Japanische Medien gelten als eher unkritisch und zurückhaltend, was von "Reporter ohne Grenzen" schon mehrfach kritisiert wurde. Dabei gebe es im Land durchaus kritischen Journalismus, sagt Martin Fritz, seit 20 Jahren Korrespondent in Japan. Das zeige sich auch an der Berichterstattung über Fukushima.

Martin Fritz im Gespräch mit Mirjam Kid | 11.03.2021
Die Cover der fünf großen japanischen Zeitungen Yomiuri, Asahi, Mainichi, Nihon Keizai und Sankei, alle mit Sitz in Tokio.
Die Cover der fünf großen japanischen Zeitungen Yomiuri, Asahi, Mainichi, Nihon Keizai und Sankei, alle mit Sitz in Tokio. (Imago / AFLO)
Nachdem Japan vor zehn Jahren von einem Erdbeben und einem Tsunami getroffen wurde, fielen damals in Fukushima in mehreren Atomreaktoren die Kühlsysteme aus und es kam zur Kernschmelze. 18.500 Menschen starben, 160.000 mussten evakuiert werden. Und selbstverständlich sind die Folgen dieser Katastrophe an ihrem zehnten Jahrestag in den japanischen Medien das beherrschende Thema.
"Dieser Jahrestag ist für die natürlich immer Anlass, alle Geschütze aufzufahren. Und da schicken die Medien ihre Reporter in alle möglichen Städte und Regionen und kommen auch mit sehr tollen, eindrucksvollen Berichten zurück", sagt Martin Fritz, der seit 20 Jahren Korrespondent in Japan ist, aktuell unter anderem für die "WirtschaftsWoche". Er erkennt in den japanischen Medien allerdings Unterschiede zur Berichterstattung in Deutschland.

Kritische Stimmen aus Ausland kaum präsent

"Es wird sehr faktenbasiert berichtet. Das heißt: Es wird die Situation vor Ort geschildert und auch die Fakten selber, aber es wird nicht so stark eingeordnet und kritisiert bei solchen Texten."
Während in Europa die Presse als "vierte Gewalt" betrachtet werde, die Regierungen, Parlamente und Justiz kontrolliert, sei die Presse in Japan doch eher Teil des Establishments und unterstütze die Belange der Elite in gewissem Maße, so Fritz. Kritische Stimmen aus dem Ausland kämen in der japanischen Presse selten vor.
Rauchwolke über Fukushima Daiichi am 14. März 2011
Die Lehren aus Fukushima
Zehn Jahre sind seit der Havarie im Kernkraftwerk Fukushima Daiichi vergangen. Im Vergleich zu Tschernobyl 1986 ist der Unfall glimpflich verlaufen – doch auch in Japan war die Wirkung auf Umwelt und Gesellschaft immens. Welche Lehren lassen sich ziehen?
Hinzu komme das System der "Kisha Clubs" - eine Form von Presseclubs, in denen beispielsweise Ministerien einem kleinen Kreis ausgewählter Journalistinnen und Journalisten exklusive Informationen zugänglich machen. So könne der Staat relativ effektiv kontrollieren, welche Informationen an die Öffentlichkeit kommen. "Wenn diese Journalisten dann etwas Kritisches schreiben, was vorher nicht genehmigt wurde, dann muss das Medium befüchten, aus diesem Club zu fliegen - und deswegen sind sie natürlich relativ zahm." Ein Beispiel dafür ist die "Yomiuri Shimbun", mit rund zehn Millionen Exemplaren täglich die meistverkaufte Tageszeitung der Welt. "Yomiuri Shimbun" gilt als regierungstreu, kritische Stimmen kommen dort kaum vor.

Zeitung "Asahi" kritisiert Regierung konsequent

Neben den "Kisha Clubs" prägt laut Fritz allerdings auch ein teilweise anderes Journalismusverständnis die japanische Medienlandschaft: "Die meisten Journalisten verstehen Journalismus als Beruf und weniger als Berufung. Sie legen eher eine Angestelltenmentalität an den Tag und halten ihre politische Meinung zurück. Die fassen dann die Fakten zusammen - fertig ist der Artikel."
All das bedeute allerdings nicht, dass es nicht auch eine andere Sorte von Journalisten gebe, die kritisch über die Regierung berichteten, betonte Fritz. Eine liberale Zeitung wie "Asahi Shimbun", die zweitgrößte des Landes mit einer Auflage mit einer Auflage von täglich rund sieben Millionen verkauften Exemplaren, kritisiere die Regierung seit Jahren konsequent.