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Zeichen des Gewaltverzichts

Ein Vierteljahrhundert nach Kriegsende bemühte sich die sozialliberale Bundesregierung unter Kanzler Willy Brandt um Entspannung und Zusammenarbeit im Verhältnis zur Sowjetunion. Am 12. August 1970 schlossen die BRD und die UdSSR schließlich den Moskauer Vertrag.

Von Otto Langels |
    Übertragung aus dem großen Kremlpalast, dem Katharinensaal. Parteichef Breschnew und Regierungschef Kossygin begrüßen die deutsche Delegation: Außenminister Scheel, rechts neben ihm Bundeskanzler Brandt.

    Am 12. August 1970 kamen die Vertreter der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion in Moskau zusammen, um den "Vertrag über Gewaltverzicht und Zusammenarbeit" zu unterzeichnen.Jahrzehntelang hatte die deutsche Außenpolitik im Zeichen des Kalten Krieges gestanden. Höhepunkt der Konfrontation war der Bau der Berliner Mauer im Jahr 1961 gewesen. Erst langsam setzte danach ein Umdenken ein, die Westintegration der Bundesrepublik durch eine neue Ostpolitik zu ergänzen, um das gespannte Verhältnis zu den Staaten des Warschauer Pakts zu entkrampfen. Nach dem Regierungswechsel im Jahr 1969 begann die sozialliberale Koalition, das von Egon Bahr, einem engen Vertrauten Willy Brandts, entwickelte Konzept eines "Wandels durch Annäherung" umzusetzen.

    Rüdiger von Wechmar, damals stellvertretender Regierungssprecher, erinnerte sich später an die Gespräche mit der Sowjetunion.

    "Dem Abschluss dieses Moskauer Vertrages waren monatelange Verhandlungen vorausgegangen, zunächst geführt von Staatssekretär Egon Bahr, und anschließend von Außenminister Walter Scheel, jeweils mit dem sowjetischen Außenminister Andrej Gromyko, dem damals dienstältesten Außenminister der Welt."

    Elf Tage verhandelten die beiden Außenminister im Sommer 1970, dann lag der Vertrag über Gewaltverzicht und Zusammenarbeit unterschriftsreif vor. Darin hieß es unter anderem:

    "Die Bundesrepublik Deutschland und die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken betrachten es als wichtiges Ziel ihrer Politik, den internationalen Frieden aufrechtzuerhalten und die Entspannung zu erreichen. Demgemäß werden sie ihre Streitfragen ausschließlich mit friedlichen Mitteln lösen."

    Kontrovers war vorher diskutiert worden, ob im Text von der "Anerkennung" oder "Unantastbarkeit" der Grenzen beziehungsweise von "unerschütterlichen" oder "unverletzlichen" Grenzen die Rede sein sollte. Die endgültige Fassung lautete dann:

    "Die Bundesrepublik Deutschland und die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken betrachten heute und künftig die Grenzen aller Staaten in Europa als unverletzlich, einschließlich der Oder-Neiße-Linie, die die Westgrenze der Volksrepublik Polen bildet, und der Grenze zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik."

    Um zu dokumentieren, dass die Bundesrepublik weiterhin an dem Wunsch nach einer Wiedervereinigung festhielt, übergab Außenminister Walter Scheel bei der Vertragsunterzeichnung einen "Brief zur deutschen Einheit". Das Schreiben akzeptierte die sowjetische Seite als Bestandteil des Ratifizierungsprozesses.
    Nach der Zeremonie im Kreml erklärte Bundeskanzler Willy Brandt noch am selben Abend im deutschen Fernsehen:

    "Es entspricht im Interesse des ganzen deutschen Volkes, die Beziehung gerade zur Sowjetunion zu verbessern. Sie ist nicht nur eine der großen Weltmächte, sie trägt auch ihren Teil der besonderen Verantwortung für Deutschland als Ganzes und für Berlin."

    Innenpolitisch war der Moskauer Vertrag umstritten. Die Opposition sprach von "Verzichtspolitik" und beklagte den "Ausverkauf deutscher Interessen". Der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Rainer Barzel vermisste konkrete Verbesserungen für die Bürger beider deutscher Staaten und Berlins:

    "Zunächst besteht das Bedenken darin fort, dass wir für die Menschen keinen Fortschritt sehen. Wir sehen in Berlin nichts, wir sehen entlang der Zonengrenze nichts Besseres, wir sehen keine Freizügigkeit."

    Nach dem Vertrag mit der Sowjetunion werde es leichter werden, auch mit der DDR sowie anderen osteuropäischen Ländern normale Beziehungen aufzunehmen, hielt Willy Brandt dem entgegen.

    "Mit diesem Vertrag geht nichts verloren, was nicht längst verspielt worden war. Wir haben den Mut, ein neues Blatt in der Geschichte aufzuschlagen."

    Tatsächlich schuf der Moskauer Vertrag die Voraussetzungen für Verhandlungen mit der DDR, Polen und weiteren Ostblockstaaten. Er legte die Basis für "gutnachbarliche Beziehungen", wie es später im deutsch-deutschen Grundlagenvertrag hieß. Für sein entspannungspolitisches Engagement und die neue Ostpolitik erhielt Willy Brandt 1971 den Friedensnobelpreis.

    Der Bundestag ratifizierte den Moskauer Vertrag am 17. Mai 1972, die CDU/CSU-Opposition enthielt sich der Stimme. Nach dem Austausch der Urkunden trat er am 3. Juni 1972 in Kraft.