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Zeitungsmarkt in Schweden
Wenn der Roboter-Kollege berichtet

Ein Computerprogramm, das automatisch Artikel über Sport, Immobilien oder Wetter schreibt: Sogenannte Bots gehören beim schwedischen Medienunternehmen MittMedia längst zum Redaktionsalltag. Die Verantwortlichen sprechen dennoch von einem "Segen für Journalisten".

Von Carsten Schmiester | 26.07.2018
    Ein Beispiel für einen per Bot erstellten Artikel.
    Die schwedische MittMedia-Gruppe setzt auch auf computergenerierte Inhalte. (Deutschlandfunk / Michael Borgers)
    Mehr als 10.000 Berichte seit September vergangenen Jahres, viele Hundert neue Abonnenten allein des digitalen Services: Die schwedische MittMedia-Gruppe mit ihren 18 Tageszeitungen und zehn Internet-Newsportalen feiert den bisher größten Erfolg mit computergeneriertem Inhalt. Dabei geht es um der Schweden liebstes Kind: Die eigenen, aber auch fremden vier Wände. Das Programm heißt "Homeowners Bot", erklärt Robin Govik, CDO bei MittMedia, der Chief Digital Officer, zuständig für IT auch im journalistischen Bereich. "Dieser Bot schreibt Artikel über jeden einzelnen Immobilienverkauf in Schweden. Das ist wie ganz normaler Journalismus. Da wird nach dem interessantesten Aspekt geschaut und entsprechend berichtet. Eine Überschrift könnte lauten: 'Das in diesem Jahr teuerste Haus in Sundsvall verkauft.'"
    Und zwar im Niltorpsvägen 45 für 3,5 Millionen Kronen von Kjell Lindström an Lisa Johnsson. Ein Beispiel für weitere Informationen, die in diesen Berichten stehen und in der Nachbarschaft natürlich für viel Aufmerksamt sorgen. Wenn Kjells Haus so viel Wert ist, wie viel würde ich für meines bekommen? Und wer ist die "Neue", diese Lisa Johnsson? Wie alt, verheiratet, Kinder und was verdient sie im Jahr? All diese Infos gibt es dann auf anderen Seiten oder gleich beim Skatteverket, dem Finanz- und Meldeamt. Frei für jeden zugänglich, denn in Schweden gilt seit mehr als 250 Jahren das Öffentlichkeitsprinzip, das Bürgern weitgehenden Zugriff auf alle staatlich gesammelten und verwalteten Daten garantiert. Der "Homeowners Bot" ist so gesehen nur ein weiterer Dienst, der diese freien Daten aufbereitet, das aber in einer völlig neuen Form.
    Das Prinzip ist stets gleich
    "Wir sind es gewohnt, dass diese Informationen frei verfügbar sind. Es gibt sie seit Jahrzehnten in den Zeitungen, da aber bisher üblicherweise als Tabellen. Wir machen jetzt leichter lesbare Artikel daraus, denn die Nachfrage ist da. Die Leute interessieren sich so sehr für den Immobilienmarkt." Und weil sich da alles um Fakten dreht, um Namen und um Zahlen, macht es laut Govik nichts, dass der Bot an seine Grenzen stößt, wenn es um gedankliche oder sprachliche Brillanz geht. Vorsichtig ausgedrückt! Die Immobilienberichte bezeichnet er selbst als eher "simpel".
    "So ein Artikel ist sehr standardisiert. Wenn sie viele davon nacheinander lesen würden, würden sie das System dahinter schnell erkennen. Aber laut einer Untersuchung, die wir gemacht haben, merken zwei Drittel der Nutzer nicht, dass so ein Artikel maschinell entstanden ist. Obwohl wir immer am Ende der Texte darauf hinweisen, dass sie von Robotern geschrieben worden sind."
    Die längst zum Redaktionsalltag bei MittMedia gehören. Denn es gibt noch andere Bereiche, die sich ganz wunderbar elektronisch bearbeiten lassen. Immer dann, wenn größere Mengen an Zahlen und Ergebnissen zu melden sind oder es sich um wiederkehrende Formulierungen handelt. Das Prinzip ist stets gleich: Die Computer holen sich Daten aus öffentlich zugänglichen digitalen Quellen und wandeln sie dann in Fließtext um. "Wir haben Sport-Bots, dann welche für die lokale Geschäftswelt, da wird zum Beispiel über Neueröffnungen berichtet, es gibt Verkehrs- und natürlich Wetter-Bots, die sind besonders beliebt. Wir nutzen diese Technik sehr intensiv."
    Immer weniger Reporter und Redakteure?
    Spätestens beim Wort "intensiv" stellt sich natürlich die Frage nach dem tieferen, auch wirtschaftlichen Sinn des Ganzen. Wenn immer mehr Computer schreiben, tun das auf der anderen Seite dann immer weniger Reporter und Redakteure? Govik verneint, und zwar entschieden. Auch aus Sicht der Journalisten seien Bots ein Segen. "Wir müssen alles automatisieren, was nur automatisiert werden kann, um Journalisten mehr Zeit für die wirklich wichtige Arbeit zu geben. Wir sind schließlich die einzigen, die Reporter auch in kleinen Gemeinden haben und die brauchen wir für Geschichten, die ein Bot nicht schreiben kann. Diese Bots sind also dazu da, um Lokaljournalismus stärker zu machen."
    Dem steht allerdings ein kleiner Satz entgegen, den Li L’Estrade online über den Homeowner's Bot geschrieben hat. Sie ist Content-Entwicklungschefin bei MittMedia und meint, Zitat: "Wenn dieser Bot ein menschlicher Journalist wäre, er wäre unser mit Abstand effektivster Angestellter und das für einen Bruchteil der Kosten."