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Zensur
Pop-Musiker in Ägypten unter Druck

Die Kulturszene in Ägypten leidet: Die Zensurbehörde prüft jeden Musiktitel, Radiosender spielen nur ausgewählte Lieder. Bands bekommen Auftrittsverbote, und eine Musikerin musste wegen "Anstiftung zu Unzucht" ins Gefängnis. Die Künstler selbst üben sich in Zweckoptimismus - und sehen sich dennoch als Sieger.

Von Anna Osius | 16.02.2018
    Zuhörer der libanesischen Gruppe Mashrou Leila halten beim Konzert am 22.09.2017 in Kairo (Ägypten) eine Regenbogenfahne in die Höhe. Wegen einiger Regenbogenfahnen bei einem Konzert in Kairo soll die wohl bekannteste Indie-Rockband der arabischen Welt nicht mehr in Ägypten auftreten dürfen. Das teilte der zuständige ägyptische Verband für Musiker am 25.09.2017 der Deutschen Presse-Agentur mit. (zu dpa "Wegen Regenbogen: Ägypten will bekannteste Indie-Rockband verbannen" vom 25.09.2017 - Bestmögliche Qualität) Foto: Benno Schwinghammer/dpa | Verwendung weltweit
    Die Regenbogenfahne ist tabu: Die libanesische Band Mashrou Leila hatte Ende 2017 Ärger mit den Behörden in Ägypten - genauso wie viele heimische Musiker (dpa)
    Mahmoud Youssef kennt die Musikszene gut. Der Manager betreut mehrere Independent-Bands und Sänger in Ägypten, wobei "independent", frei, unabhängig - vielleicht nicht mehr der richtige Ausdruck ist. "Über manche Themen darfst du nicht mehr sprechen. Sexuelle Themen oder Politik dürfen in den Liedern nicht mehr vorkommen. Es geht ausschließlich um den Inhalt." Eine große Konzertveranstaltung, bei der er mitwirkte, wurde erst kürzlich abgesagt. "Die Szene hat sich verändert. Ja, wir können uns immer noch ausdrücken - online. Aber das Problem sind die Konzerte, live, Publikum. Wir haben jetzt viele Hindernisse, wenn wir ein Konzert veranstalten wollen. Sicherheitskontrollen sind richtig. Aber das Problem sind die inhaltlichen Kontrollen. Einige der bekanntesten Bands in Ägypten haben jetzt Beschränkungen, was sie singen dürfen. Das ist das Problem der Szene."
    "Viele haben das Land verlassen"
    Vor allem bekommen die Musiker und Bands Probleme, die in ihren Texten politisch sind. So zum Beispiel Cairokee – eine ägyptische Band, die während der Revolution des so genannten arabischen Frühlings vor sieben Jahren bekannt wurde. Ihr Lied "Hurreya" – Freiheit – wurde einer der Ohrwürmer der Revolution.
    Doch seitdem hat sich viel verändert in Ägypten – und Cairokee spürt das. Vor einem Jahr sagte Band-Leader Amir Eid im Interview mit der ARD: "Das Leben geht zwar irgendwie weiter, mit seinen Höhen und Tiefen, aber man fühlt sich deprimiert. Manchmal überlegt man, ob man nicht zuhause bleibt und alles hinwirft. Fast alle in Ägypten sind verstummt, nur wenige sprechen über in die Situation im Land. Nur noch wenige Sänger trauen sich darüber zu singen, viele haben das Land verlassen."
    Für Cairokee hat sich die Lage weiter verschlechtert. Sie können seit Monaten nicht mehr auftreten. Hintergrund sei die Zensur, heißt es in der Branche: Eine Zensurbehörde prüft in Ägypten jeden neuen Musiktitel vor der Veröffentlichung.
    Erlaubnis für jeden Song
    Mahmoud Youssef: "Wir brauchen die Erlaubnis für jeden Song. Wenn manche Bands die Erlaubnis nicht bekamen, haben sie es online veröffentlicht. Und wenn sie dann damit live auftreten wollen, geht der Staat dazwischen. Rein rechtlich gesehen ist das richtig, aber die Frage ist, für welchen Inhalt werden die Bands gestoppt."
    Der Ablauf bei Cairokee sei seit Wochen immer gleich, schildern Insider: Konzerte der beliebten Band werden angekündigt, stark beworben, alle Tickets sind schnell ausverkauft – zuletzt 14.000 Karten für ein Konzert. Und dann – kurz vorher – werden die Konzerte ohne die Angabe von Gründen abgesagt. Immer wieder. Cairokee gibt jetzt keine Interviews mehr. Aber auf Twitter schreibt der Bandleader: "An diejenigen, die denken, dass sie schlau sind und ich den kürzeren ziehen werde: Mit jedem neuen Lied zeigt sich, dass ihr nur eine Gruppe von Provokateuren seid. Wir zahlen den Preis dafür - und trotzdem machen wir weiter!" Und später: "Der Druck ist enorm und die Umstände sind sehr schwierig. Aber wir werden all das überstehen."
    "Wir haben viele Schritte gemacht"
    Musik-Manager Mahmoud Youssef beobachtet Zensur und Selbstzensur in der Branche. Und trotz allem: Die Revolution vor sieben Jahren war nicht umsonst, sagt er: "Wir haben viel gewonnen. Vorher hatten wir noch nicht mal eine Idee von Freiheit, von Ausdruck, wie wir das erreichen könnten, oder wie auch nur einer eine Chance bekommen könnte. Jetzt haben wir eine laute Stimme. Wenn auch nur einen kleinen Vorfall gibt in der Szene, reden alle, alle darüber. Nein, wir leben nicht in der Freiheit, die wir gerne hätten, aber wir haben viele Schritte gemacht. Und das haben wir gewonnen, wir als Ägypter."