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Zentralrat der Muslime
Mazyek: Rassismus benennen und offen damit umgehen

Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek, beklagt eine fehlende Debatte über Rassismus in Deutschland. Das Problem werde verharmlost, sagte er im Dlf. Doch es könne kein normaler Zustand sein, dass Betroffene an bestimmten Orten mit Diskriminierung rechneten.

Aiman Mazyek im Gespräch mit Philipp May | 06.06.2020
Aiman A. Mazyek ist Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland bei einer Pressekonferenz in Berlin im Februar 2020
Aiman A. Mazyek ist Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland (dpa/picture alliance - Abdulhamid Hosbas / Anadolu Agency)
Nach dem Tod des Afroamerikaners George Floyd bei einem brutalen Polizeieinsatz in Minneapolis gibt es in den USA und inzwischen auch in Deutschland Demonstrationen gegen Rassismus und Polizeigewalt. In einem ZDF-Interview wurde auch Bundeskanzlerin Angela Merkel zu den Ereignissen in den USA befragt. In ihrer Antwort drehte Merkel den Fokus auf Deutschland: "Rassismus hat es in allen Zeiten gegeben, aber leider gibt es ihn auch bei uns. Und jetzt kehren wir mal vor unserer eigenen Haustür."
Aiman Mazyek ist Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland. In dem Fernsehfilm "Die Frau des Schläfers" von 2010 spielte er in einer kleinen Nebenrolle einen fremdenfeindlichen Polizisten gespielt.
Dossier: Rassismus
Philipp May: Herr Mazyek, kennen Sie solche Polizisten, wie Sie ihn damals gespielt haben?
Aiman Mazyek: Ja, in einer Behörde und anderswo finden wir immer wieder einen gewissen latenten Rassismus oder Vorurteile, das kumuliert zusammen im Rassismus endet. Das gibt es leider und das ist etwas, was leider auch zum Alltag gehört. Wenn wir beispielsweise vom sogenannten Alltagsrassismus sprechen, dann ist das genau dieser. Bekämpfen tun wir ihn nur, indem wir jetzt nicht nur Betroffenheitskultur zeigen oder mal ein Hashtag gegen Rassismus teilen, sondern wir müssen wirklich eine echte Debatte führen. Insofern bin ich der Kanzlerin dankbar. Ich fand das gar nicht ein elegantes sozusagen Weggucken von den USA - da müssen wir natürlich hinschauen und da müssen wir das kritisieren -, sondern wir müssen tatsächlich die Frage stellen, was passiert denn bei uns? Und wir haben hier viel aufzuräumen, wir befinden uns auch heute immer noch nicht in einer echten Debatte, einer echten Debatte um dieses Phänomen Rassismus. Wir verharmlosen oft, wir blenden aus oder wir tun so, als wäre es nur ein Thema von Rechtsextremismus. Das ist richtig, wir haben leider sehr alarmierende Zahlen von steigendem Rechtsextremismus, teilweise auch gewaltaffin, da gibt es eine Korrelation auch zu Rassismus. Aber wir haben leider auch einen Rassismus, der sich immer mehr Bahn bricht in die Mitte der Gesellschaft. Und das hat etwas damit zu tun, dass die Debattenkultur hier nicht richtig funktioniert dem Thema gegenüber.
Rassismusexperte - "Niemand will darüber reden"
Der Rassismusexperte Karim Fereidooni vermisst das Thema Rassismuskritik in der Pädagogik. Eigene Betroffenheit werde oft geleugnet, sagte er im Dlf. Doch es sei wichtig, sich mit unbewussten Denkmustern zu beschäftigen.
"Es passiert immer wieder"
May: Dann schauen wir erst mal direkt ganz konkret auf Deutschland, schauen wir auf Sie. Hatten Sie schon mal Angst vor der Polizei in Deutschland ganz konkret?
Mazyek: Ja, das passiert bisweilen und spürt man auch darin, dass die Wortwahl vielleicht so gewählt ist, wie man sie vielleicht vermutet von jenen, die eben kaum oder gar keine Beziehung oder kein Verhältnis zu Menschen haben mit beispielsweise Migrationshintergrund oder Muslimen.
May: Was sagen die?
Mazyek: Ich kann jetzt keine einzelne Aussage hier wiederfinden, aber ...
May: Aber es passiert häufiger?
Mazyek: Ja, es passiert, natürlich, es passiert immer wieder. Und man hat ja auch schon im Kopf das eingeplant. Beispielsweise eine Frau mit Kopftuch, jetzt unabhängig von Polizei oder nicht, will von A nach B fahren, sie hat die Möglichkeit, mit dem Auto oder der U-Bahn das zu machen, und sie tut das mit dem Auto, obwohl das andere klimafreundlicher ist. Sie tut es deswegen, weil sie weiß, die Wahrscheinlichkeit, angegriffen, diskriminiert zu werden, ist da größer, also tut sie das. Und in ihrem Alltag ist das schon mit eingepreist. Und das ist etwas, was wir diskutieren müssen, das ist kein Zustand, der normal ist.
Sensibilisierung notwendig
May: Bleiben wir zunächst noch mal kurz bei der Polizei, die veranstaltet derzeit verstärkt Razzien in Shisha-Bars. Die einen sagen, eine längst überfällige Strategieänderung zur Bekämpfung von Clankriminalität, die anderen sagen, das ist rassistische Schikane, zumindest in Teilen. Wer hat hier recht?
Mazyek: Ich glaube, hier geht es weniger um Recht, sondern es geht darum, dass wir einfach sensibilisieren müssen. Wir brauchen zum Beispiel, das sagen wir seit Langem, eine Diskussion darüber, dass dieses Phänomen, antimuslimischer Rassismus beispielsweise oder anderswo, wissenschaftlich diskutiert wird im Bundestag. Wir brauchen Mitarbeiter in den Strafverfolgungsbehörden, der Justiz, Pädagogen, die besser ausgebildet sind, sensibilisiert werden. Es ist gut, dass wir beispielsweise vor einigen Jahren als Straftatbestand eingeführt haben Erfassung, auch bei dem Rassismusphänomen, Islamfeindlichkeit, aber wir müssen die Justiz und Polizei auch mit dem Instrumentarium versehen, das genau zu erkennen. Ich glaube, wenn das erfolgt und wenn da auch eine Sensibilisierung erfolgt, dann diskutieren wir auch nicht, ist es jetzt sinnvoll oder nicht, wenn Gefahr im Verzug ist, Shisha-Bars oder anderes zu durchsuchen, dann gehört das eben mit dazu.
May: Wenn Polizisten zum Beispiel intern von nordafrikanischen Intensivtätern, den sogenannten Nafris sprechen, ist das problematisch?
Mazyek: Ja, racial profiling passiert da und dort immer wieder. Auch hier gilt nicht nur die Mäßigung in der Sprache, sondern eben ein Verhalten, was gleichberechtigt und gerecht ist. Bei der Diskussion um Rassismus passiert ja etwas vor allem im Hintergrund: Wir fangen an mit Beschwichtigungen, Relativierung von Zahlen, die "Maischberger"-Redaktion hat das ja diese Woche bestens wieder dargestellt. Nach großem Druck wird eine Quotenschwarze dann eingeladen – und sie darf dann aber sich über den linksextremistischen Widerstand in den USA äußern und eben nicht als Betroffene zum Thema Rassismus. Wir müssen weg von diesem Dominanzverhalten, von diesen Ja-aber-Diskussionen, Beschwichtigungen, sondern wirklich die Themen auf den Tisch legen. Wenn es Muslime sind, die extremistisch oder rassistisch sind, dann müssen das klar benennen und eben nicht herumschwurbeln, wenn es Weiße oder andere Religionen oder keine, dann müssen wir das auch tun. Wir haben eine Diskussionskultur mit einem ja, aber, mit Beschwichtigungen, teilweise mit Dominanzbestreben und -verhalten. Und ich glaube, das muss weg, ich glaube, das ist das Entscheidende. Ich fand – wie gesagt – die Reaktion gut von unserer Kanzlerin, dass sie sagt, okay, lass uns doch vor unserer eigenen Haustür kehren. Auch der kanadische Premier hat da, finde ich, sehr vorbildlich reagiert auf die Frage, ob er das kommentiert, was in den USA passiert. Und er hat lange geschwiegen und dann ist er direkt eingestiegen in die Thematik, wir haben hier in Kanada aufzuräumen. Und das Gleiche gilt ebenso für Deutschland.
WESTDEUTSCHER RUNDFUNK KÖLN
maischberger.die woche - Sandra Maischberger
Gastgeberin und Moderatorin Sandra Maischberger.
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TV-Produzent verteidigt Auswahl von Talkshow-Gästen
Eine "Maischberger"-Talkshow-Ausgabe stand in der Kritik, weil sie zum Thema Rassismus und Polizeigewalt keine Betroffenen auf der Gästeliste hatte. TV-Produzent Markus Heidemanns sagte im Dlf, es hänge davon ab, worüber genau man sprechen wolle.
"Das Virus Rassismus bekämpfen"
May: Also ist das vor allen Dingen ein rhetorisches Problem?
Mazyek: Nein, das ist eine Frage des Erfassens. Uns wird kein Zacken in der Krone abfallen, wenn wir zugestehen, ja, es gibt Rassismus in unserer Gesellschaft. Es gibt Rassismus in jeder Gesellschaft, unter Arabern, unter Türken, unter Deutschen, unter Europäern und so weiter. Wir müssen einfach nur erkennen, wenn wir über das Virus Corona reden, dann gibt es eben auch ein Virus Rassismus. Und wir können es nicht vollständig eindämmen, aber wir können es benennen und offen damit umgehen, richtig auseinandersetzen. Und das ist schmerzhaft, wir erkennen das selber oft, dass wir vielleicht Vorurteile haben oder vielleicht eben dieses Dominanzbestreben, was dazu führt, am Ende das zu relativieren. Das müssen wir bekämpfen, das ist das Virus, das wir zu bekämpfen haben, darum geht es. Das ist viel mehr als Rhetorik.
May: Gibt es eigentlich in Deutschland No-go-Areas, wo man sich als Mensch mit nicht weißer Hautfarbe wohl fühlt, meiden Sie bestimmte Gebiete?
Mazyek: Ja, leider, leider. Also, ich weiß, dass wir beispielsweise viele Veranstaltungen in bestimmten Regionen Deutschlands haben, wo beispielsweise unsere muslimischen Frauen grundsätzlich nicht hingehen. Und bei mir zum Beispiel, ich sage, okay, aber ab 20 Uhr ist das für mich tatsächlich eine sogenannte No-go-Area. Das darf nicht sein. Es ist all das, es ist nicht etwas, das normal ist, das ist völlig anormal. Und das werden wir als Betroffene, aber ebenso als demokratischer Staat, als Staat der Vielfalt, der Freiheit, werden wir das niemals zulassen beziehungsweise werden damit niemals d'accord gehen.
Corona-Fälle nach Zuckerfest in Göttingen
May: Sie haben gerade dieses ja, aber angesprochen. Da fällt mir ein aktuelles Beispiel jetzt aus der Coronakrise ein: Göttingen. Dort gibt es 120 Coronainfizierte, Hunderte Personen sind in Quarantäne, das öffentliche Leben ist wieder stark eingeschränkt worden. Das alles, weil muslimische Großfamilien unter Missachtung der Abstandsregeln das Zuckerfest gefeiert haben. Und jetzt hört man eben viele sagen: typisch. Ist das berechtigter Ärger oder schwingt da auch schon Rassismus mit?
Mazyek: Das ist ein interessanter Fall, dass der einfach so abgetan wird, das wären muslimische Familien. Diese muslimischen Familien haben sich ja dazu sehr dezidiert und sehr differenziert geäußert. Und man muss feststellen, dass die Situation anders ist, als sie anfänglich dargelegt haben. Aber selbst, wenn das so wäre, wieso wird bei diesem Fall eben die Religion als Stigma herangezogen, aber bei den Fällen, die wir vor zwei Wochen oder einer Woche hatten, wo in Kirchen bei Gottesdiensten eine Missachtung klar stattfand und auch zugegeben und nachgewiesen worden ist, wird hier kein religiöses Stigma gemacht. Ich empfehle, das nicht zu tun, sondern einfach zu fragen, wie verhalten sich die Menschen beispielsweise muslimischen Glaubens. Und da können wir zum Beispiel sagen, gerade in der Coronazeit haben sie nicht nur die Aussage, wir sind solidarisch mit unserer Gesellschaft, für uns gilt Menschenleben und Gesundheit als oberste Priorität, wir schließen unsere Moscheen, wir müssen uns einschränken, insbesondere im vergangenen Ramadan, das war nicht nur ein Lippenbekenntnis, das war praktiziert. Das heißt, hier wird Solidarität, hier wird Zusammenhalt dargestellt, darüber müssen wir reden. Leider wird es immer schwarze Schafe geben, aber hier dann das religiöse Stigma … oder das mit Migrationshintergrund betiteln, bei dem anderen Fall, dem Kirchenfall, aber nicht, das geht nicht. Wir müssen sagen, okay, es wird immer Menschen geben, die sich an diese Regeln nicht halten, und da gilt es, denen zu sagen: Passt mal auf, hier ist eine ernste Gefahr da, wer sich daran nicht hält, missachtet das, gefährdet andere und sich – und das darf nicht sein.
May: Sehen Sie eigentlich einen typisch deutschen Rassismus?
Mazyek: Nein, kann ich nicht so … Natürlich haben wir unsere eigenen geschichtlichen Hintergründe. Wir haben eine schreckliche Erfahrung mit der Shoa, wir haben eine Katastrophe hinter uns, die uns ein besonderes Augenmerk auf den Zusammenhalt, insbesondere mit unseren jüdischen Bürgerinnen und Bürgern angeht. Das müssen wir einhalten, das müssen wir vor allen Dingen stark beachten, weil hier Deutschland beziehungsweise unser Land in jeder Hinsicht total versagt hat, da ist eine besondere Verantwortung und Augenmerk nötig. Und Antisemitismus ist Menschenverachtung, ist gruppenspezifische Menschenfeindlichkeit und ist eine ganz schreckliche spezifische Form des Rassismus, leider in Deutschland eben organisiert in großem Maße.
Schatten von Menschen, Text: Rechtsextremismus
Rechtsextremismus - das Dossier zum Thema (dpa / Martin Schutt)
Frage nach der Herkunft - "der Ton macht die Musik"
May: Herr Mazyek, ich habe mit einer persönlichen Frage das Interview gestartet, ich würde mit einer persönlichen enden: Sie sind in Aachen geboren, haben einen syrischen Vater. Wenn wir uns jetzt zum ersten Mal treffen würden, und ich würde Sie anhand Ihrer dunkleren Hautfarbe und Ihrer Haarfarbe fragen, wo Sie denn ursprünglich herkommen. Empfinden Sie das als Rassismus oder als Empathie?
Mazyek: Ich würde es wirklich von der Art der Fragestellung abhängig machen. Das heißt, der Ton macht die Musik. Sehr oft sind das Fragen, die wirklich reinste Neugier sind im Sinne von: Ich möchte gerne von dir mehr erfahren. Andere Fragen gehen in die Richtung, Menschen in Schubladen zu stellen. Deswegen mache ich mir manchmal einen Spaß und erkläre meinen Migrationshintergrund anhand der Familiengeschichte meiner Mutter, die ist nämlich Deutsche. Und deren Vor-Vor-Vorfahren, die Hugenotten, sind vor Hunderten von Jahren nach Deutschland eingewandert. Und dann erzähle ich das breit, breit, breit, bis die anderen richtig nervös werden und mich fragen, ja wo kommen denn die schwarzen Haare jetzt verdammt noch mal her. Und dann erkläre ich, mein Vater ist ursprünglich Syrer. Und dann hört man richtig geradezu eine fast schon Erleichterung. Und da muss man dann schon hinterfragen: Ist man wirklich interessiert an Migrationsgeschichte – und die ist hoch interessant in Deutschland, von vielen, vielen Deutschen, einschließlich mir selber – oder will man eben nur einfach sozusagen in Schubladen einsetzen oder nicht. Und das ist die entscheidende Situation. Das heißt, die Frage als solches würde ich nicht immer abtun als eine Frage, die vielleicht falsch gestellt ist, sondern das ist eine Frage der Tonation. Der Ton macht die Musik.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.