Heinlein: Die Entscheidung über den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr wird zur Zerreißprobe für Rot-Grün. Ende August noch stimmten 19 SPD- und fünf grüne Bundestagsabgeordnete gegen den Mazedonien-Einsatz der Bundeswehr. Eine herbe Niederlage seinerzeit für den Kanzler und seinen Außenminister. Die Koalition wackelte, aber sie zerbrach nicht. Noch nicht. Denn nun könnte Gerhard Schröder erneut dem Parlament bloßgestellt werden. Die eigene Mehrheit für den deutschen Beitrag zum Anti-Terror-Kampf, sie scheint fraglich. 16 Stimmen, die Mehrheit für Rot-Grün im Bundestag. Bei der gestrigen Fraktionssitzung der Grünen sollen über ein Dutzend Parlamentarier ihrem Außenminister die Gefolgschaft verweigert haben. Joschka Fischer soll darauf hin mit Rücktritt gedroht haben. Am Telefon ist jetzt die grüne Bundestagsabgeordnete Irmingard Schewe-Gerigk. Guten Tag.
Schewe-Gerigk: Guten Tag Herr Heinlein.
Heinlein: Frau Schewe-Gerigk, hat der Außenminister gestern mit seinem Rücktritt gedroht?
Schewe-Gerigk: Direkt nicht. Er hat gesagt, er klebe nicht an seinem Sessel und er werde auch eine Politik, die er für Deutschland für falsch halte, nicht vertreten. Das ist natürlich eine indirekte Rücktrittsdrohung, das muss man schon sehen. Wir hatten eine sehr intensive Debatte, und die war natürlich zum Schluss auch sehr emotional geführt, weil viele in der Fraktion überhaupt nicht erkennen können, welche Ziele die Amerikaner verfolgen, welche Strategie dabei ist und welche Einflussmöglichkeit überhaupt Deutschland in dieser ganzen Angelegenheit hat, sodass da viele offene Fragen auch bei den Fachpolitikern waren, sodass viele gesagt haben, wir sind noch nicht festgelegt, aber wir halten es derzeit für so kritisch, in einer solchen Situation einen deutschen Beitrag zu leisten, dass wir uns das bis zum nächsten Dienstag noch offen halten wollen.
Heinlein: Wenig Beifall für Joschka Fischer, wir haben es gehört, auch im Bundestag von den Grünen. Ist denn Joschka Fischer isoliert in seiner Fraktion?
Schewe-Gerigk: Isoliert würde ich nicht sagen. Er hat aus seiner Position heraus sicherlich eine ganze Menge ausgehandelt. Es ist ja in Deutschland heraus gestellt worden, die Frage, wie kann die Beteiligung sein, und da bin ich auch sicher, dass er versucht hat, die Beteiligung soweit wie möglich auf humanitäre und andere Dinge zu konzentrieren. Aber, wenn man die einzelnen Dinge ansieht, kann man ja sagen, so ein Flugzeug, das muss man akzeptieren. Es bedeutet allerdings, wenn die Deutschen sich mit 3900 Soldaten an der Kriegsführung der Vereinigten Staaten beteiligen, dass sie damit auch automatisch akzeptieren, was die Vereinigten Staaten tun und wie sie es tun, das heißt die Bombardierung auf Kabul, auf andere Städte, wo auch viele Zivilisten zu Tode kommen - das würde alles mit einem deutschen Beitrag auch noch mit akzeptiert.
Heinlein: Die Entscheidung bis zum kommenden Dienstag offen lassen wollen viele Ihrer Parlamentskollegen, haben Sie gesagt. Wie haben Sie persönlich sich denn entschieden?
Schewe-Gerigk: Ich persönlich bin entschieden: Ich gehöre zu denjenigen, die auch in Mazedonien schon Kritik angebracht haben. Ich habe damals, als es darum ging, ob der Bündnisfall eingetreten ist, dafür gestimmt, weil ich gesagt habe, wir haben internationale Verpflichtungen, wir gehören der NATO an, ich stimme da zu. Dann stand aber darin, dass natürlich über den deutschen Beitrag im Parlament zu entscheiden sei. Das werden wir jetzt tun. Ich hätte mir den deutschen Beitrag anders gewünscht. Ich hätte ihn mir auf humanitärer Ebene gewünscht. Ich glaube, auch das wäre möglich gewesen. Man kann da kritisch Solidarität üben und auch das unterstützen. Ich werden diesem Einsatz deutscher Soldaten nicht zustimmen.
Heinlein: Wie groß ist denn die Ablehnungsfraktion insgesamt in Ihrer Fraktion. Wir haben es gehört gerade von einer Kollegin aus Berlin: Sieben bis acht Grüne sind definitiv dagegen, eine ebenso große Zahl überlegt noch. Das wären zusammen 15.
Schewe-Gerigk: Die Zahl ist schon zweistellig, auf jeden Fall, aber sie wird sicherlich bis zum nächsten Dienstag noch reduziert werden. Da bin ich ziemlich sicher. Und man weiß auch nicht, wie es innerhalb der SPD aussieht. Da bin ich ja wirklich sehr verwundert, denn bei der Mazedonien-Sache, die in keinem Fall so gefährlich war wie das, was jetzt passiert, war ja eine große Anzahl der SPD-Abgeordneten auf der Neinsager-Liste. Offensichtlich hat das, was Herr Müntefering kurz danach gemacht hat, nämlich gesagt hat - "Ihr kommt alle nicht auf die Landeslisten und Eure Kandidaturen sind gefährdet" -, offensichtlich hat das Wirkung gezeigt.
Heinlein: Also Sie rechnen keinesfalls damit, dass von den Grünen und der SPD eine Regierungsmehrheit - sie ist ja nur 16 Stimmen - zustande kommt, in der kommenden Woche am Mittwoch oder Donnerstag?
Schewe-Gerigk: Ich kann nur spekulieren: Dass es knapp wird, glaube ich, kann man schon aussagen. Wie es letztendlich sein wird, weiß ich nicht, aber es ist auf jeden Fall sehr, sehr knapp.
Heinlein: Könnte denn die Koalition platzen, falls Rot-Grün in der kommenden Woche keine eigene Mehrheit zustande kriegt?
Schewe-Gerigk: Das wird darauf ankommen, ob es jetzt um ein oder zwei Stimmen gehen, die dem Kanzler jetzt fehlen würden. Wenn eine große Mehrheit der grünen Fraktion diesem Beschluss nicht zustimmt, dann wird es auch für die Koalition eng - gar keine Frage!
Heinlein: Was ist Ihnen denn wichtiger, der Erhalt der Koalition oder die alten Argumente, die Zweifel am Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr?
Schewe-Gerigk: Die Grünen stehen hier in einer ganz schwierigen Debatte. Wir sind ja nicht von uns heraus im Bundestag, sondern wir sind von denjenigen gewählt worden, die wir vertreten sollen, die in den einzelnen Gremien auch für uns arbeiten. Und wir sehen, dass auch innerhalb der Grünen eine ganz große kritische Situation da ist. Das heißt, wenn wir auf der einen Seite sagen, wir machen hier die Augen zu und durch und stimmen zu, dann retten wir die Koalition. Aber ich habe den Eindruck, dann wird es mit den Grünen ganz schwierig aussehen. Machen wir es umgekehrt, dann wird man wahrscheinlich die grüne Partei retten können, aber dann ist die Koalition am Ende. Also wir haben da keine besonders komfortable Situation und wir müssen uns jetzt entscheiden. Für mich ist es eine persönliche Entscheidung, hier jetzt nicht zuzustimmen, und ich glaube, der Kanzler wäre eigentlich gut beraten gewesen, in so einer einmalig historischen Situation zu sagen: Das ist eine Gewissensentscheidung, die Entscheidung wird freigegeben. Es ist ja eine große Mehrheit im Parlament für diesen Einsatz. Ich hätte das besser gefunden, aber es ist nicht so gelaufen.
Heinlein: Wagen Sie denn vor dem Hintergrund, den Sie gerade geschildert haben, die Zweifel auch bei den grünen Wählern an der grünen Basis, eine Prognose über den Verlauf des grünen Parteitages Mitte November.
Schewe-Gerigk: Also, wenn ich das sehe, was mich jetzt an Beschlüssen erreicht, dann habe ich den Eindruck, es wird auf dem Parteitag eine Mehrheit gegen eine Zustimmung erreicht werden. Man weiß es natürlich nicht - es sind jetzt noch 14 Tage hin - es kommt darauf an, wie die Vorlagen denn aussehen, über die abgestimmt wird, aber das Bild, das sich mir jetzt zeigt, und auch das, was über die Medien geht, sieht so aus, als wäre eine große Mehrheit in der Partei dagegen.
Link: Interview als RealAudio
Schewe-Gerigk: Guten Tag Herr Heinlein.
Heinlein: Frau Schewe-Gerigk, hat der Außenminister gestern mit seinem Rücktritt gedroht?
Schewe-Gerigk: Direkt nicht. Er hat gesagt, er klebe nicht an seinem Sessel und er werde auch eine Politik, die er für Deutschland für falsch halte, nicht vertreten. Das ist natürlich eine indirekte Rücktrittsdrohung, das muss man schon sehen. Wir hatten eine sehr intensive Debatte, und die war natürlich zum Schluss auch sehr emotional geführt, weil viele in der Fraktion überhaupt nicht erkennen können, welche Ziele die Amerikaner verfolgen, welche Strategie dabei ist und welche Einflussmöglichkeit überhaupt Deutschland in dieser ganzen Angelegenheit hat, sodass da viele offene Fragen auch bei den Fachpolitikern waren, sodass viele gesagt haben, wir sind noch nicht festgelegt, aber wir halten es derzeit für so kritisch, in einer solchen Situation einen deutschen Beitrag zu leisten, dass wir uns das bis zum nächsten Dienstag noch offen halten wollen.
Heinlein: Wenig Beifall für Joschka Fischer, wir haben es gehört, auch im Bundestag von den Grünen. Ist denn Joschka Fischer isoliert in seiner Fraktion?
Schewe-Gerigk: Isoliert würde ich nicht sagen. Er hat aus seiner Position heraus sicherlich eine ganze Menge ausgehandelt. Es ist ja in Deutschland heraus gestellt worden, die Frage, wie kann die Beteiligung sein, und da bin ich auch sicher, dass er versucht hat, die Beteiligung soweit wie möglich auf humanitäre und andere Dinge zu konzentrieren. Aber, wenn man die einzelnen Dinge ansieht, kann man ja sagen, so ein Flugzeug, das muss man akzeptieren. Es bedeutet allerdings, wenn die Deutschen sich mit 3900 Soldaten an der Kriegsführung der Vereinigten Staaten beteiligen, dass sie damit auch automatisch akzeptieren, was die Vereinigten Staaten tun und wie sie es tun, das heißt die Bombardierung auf Kabul, auf andere Städte, wo auch viele Zivilisten zu Tode kommen - das würde alles mit einem deutschen Beitrag auch noch mit akzeptiert.
Heinlein: Die Entscheidung bis zum kommenden Dienstag offen lassen wollen viele Ihrer Parlamentskollegen, haben Sie gesagt. Wie haben Sie persönlich sich denn entschieden?
Schewe-Gerigk: Ich persönlich bin entschieden: Ich gehöre zu denjenigen, die auch in Mazedonien schon Kritik angebracht haben. Ich habe damals, als es darum ging, ob der Bündnisfall eingetreten ist, dafür gestimmt, weil ich gesagt habe, wir haben internationale Verpflichtungen, wir gehören der NATO an, ich stimme da zu. Dann stand aber darin, dass natürlich über den deutschen Beitrag im Parlament zu entscheiden sei. Das werden wir jetzt tun. Ich hätte mir den deutschen Beitrag anders gewünscht. Ich hätte ihn mir auf humanitärer Ebene gewünscht. Ich glaube, auch das wäre möglich gewesen. Man kann da kritisch Solidarität üben und auch das unterstützen. Ich werden diesem Einsatz deutscher Soldaten nicht zustimmen.
Heinlein: Wie groß ist denn die Ablehnungsfraktion insgesamt in Ihrer Fraktion. Wir haben es gehört gerade von einer Kollegin aus Berlin: Sieben bis acht Grüne sind definitiv dagegen, eine ebenso große Zahl überlegt noch. Das wären zusammen 15.
Schewe-Gerigk: Die Zahl ist schon zweistellig, auf jeden Fall, aber sie wird sicherlich bis zum nächsten Dienstag noch reduziert werden. Da bin ich ziemlich sicher. Und man weiß auch nicht, wie es innerhalb der SPD aussieht. Da bin ich ja wirklich sehr verwundert, denn bei der Mazedonien-Sache, die in keinem Fall so gefährlich war wie das, was jetzt passiert, war ja eine große Anzahl der SPD-Abgeordneten auf der Neinsager-Liste. Offensichtlich hat das, was Herr Müntefering kurz danach gemacht hat, nämlich gesagt hat - "Ihr kommt alle nicht auf die Landeslisten und Eure Kandidaturen sind gefährdet" -, offensichtlich hat das Wirkung gezeigt.
Heinlein: Also Sie rechnen keinesfalls damit, dass von den Grünen und der SPD eine Regierungsmehrheit - sie ist ja nur 16 Stimmen - zustande kommt, in der kommenden Woche am Mittwoch oder Donnerstag?
Schewe-Gerigk: Ich kann nur spekulieren: Dass es knapp wird, glaube ich, kann man schon aussagen. Wie es letztendlich sein wird, weiß ich nicht, aber es ist auf jeden Fall sehr, sehr knapp.
Heinlein: Könnte denn die Koalition platzen, falls Rot-Grün in der kommenden Woche keine eigene Mehrheit zustande kriegt?
Schewe-Gerigk: Das wird darauf ankommen, ob es jetzt um ein oder zwei Stimmen gehen, die dem Kanzler jetzt fehlen würden. Wenn eine große Mehrheit der grünen Fraktion diesem Beschluss nicht zustimmt, dann wird es auch für die Koalition eng - gar keine Frage!
Heinlein: Was ist Ihnen denn wichtiger, der Erhalt der Koalition oder die alten Argumente, die Zweifel am Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr?
Schewe-Gerigk: Die Grünen stehen hier in einer ganz schwierigen Debatte. Wir sind ja nicht von uns heraus im Bundestag, sondern wir sind von denjenigen gewählt worden, die wir vertreten sollen, die in den einzelnen Gremien auch für uns arbeiten. Und wir sehen, dass auch innerhalb der Grünen eine ganz große kritische Situation da ist. Das heißt, wenn wir auf der einen Seite sagen, wir machen hier die Augen zu und durch und stimmen zu, dann retten wir die Koalition. Aber ich habe den Eindruck, dann wird es mit den Grünen ganz schwierig aussehen. Machen wir es umgekehrt, dann wird man wahrscheinlich die grüne Partei retten können, aber dann ist die Koalition am Ende. Also wir haben da keine besonders komfortable Situation und wir müssen uns jetzt entscheiden. Für mich ist es eine persönliche Entscheidung, hier jetzt nicht zuzustimmen, und ich glaube, der Kanzler wäre eigentlich gut beraten gewesen, in so einer einmalig historischen Situation zu sagen: Das ist eine Gewissensentscheidung, die Entscheidung wird freigegeben. Es ist ja eine große Mehrheit im Parlament für diesen Einsatz. Ich hätte das besser gefunden, aber es ist nicht so gelaufen.
Heinlein: Wagen Sie denn vor dem Hintergrund, den Sie gerade geschildert haben, die Zweifel auch bei den grünen Wählern an der grünen Basis, eine Prognose über den Verlauf des grünen Parteitages Mitte November.
Schewe-Gerigk: Also, wenn ich das sehe, was mich jetzt an Beschlüssen erreicht, dann habe ich den Eindruck, es wird auf dem Parteitag eine Mehrheit gegen eine Zustimmung erreicht werden. Man weiß es natürlich nicht - es sind jetzt noch 14 Tage hin - es kommt darauf an, wie die Vorlagen denn aussehen, über die abgestimmt wird, aber das Bild, das sich mir jetzt zeigt, und auch das, was über die Medien geht, sieht so aus, als wäre eine große Mehrheit in der Partei dagegen.
Link: Interview als RealAudio