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Ziehen bis es reißt

Die Seilprüfstelle der Deutschen Montantechnologie (DMT) ist weltweit gefragt. Ob für Bergwerke in China, Goldgruben in Südafrika oder Offshore-Plattformen auf hoher See - sie alle lassen bei der Bochumer Firma ihre Stahlseile auf Belastbarkeit und Sicherheit testen.

Von Klaus Deuse |
    "Im Prinzip sehen wir hier unsere 2000-Tonnen-Prüfmaschine, haben jetzt ein Seil für eine Winden-Anwendung im Offshore-Bereich eingespannt. 124 Millimeter Durchmesser. Da wird jetzt im entspannten Zustand einmal der Durchmesser gemessen. Und dann noch mal bei zwei Laststufen, wie weit sich der Durchmesser unter Last verringert, bevor wir das Seil endgültig zerreißen,"

    erläutert der leitende Ingenieur Friedrich Dürrer.

    In der Zwischenzeit überprüfen zwei Mitarbeiter mit geübten Griffen die Verankerung des armdicken Seiles in der fast 20 Meter langen Zugmaschine. Unter der Decke der Halle, die spielend drei Dutzend Lkw-Gespannen Platz bietet, schwebt an einer Laufschiene eine massive Metallabdeckung, die millimetergenau auf das eingespannte Seil abgesenkt wird. Zum Schutz vor herumwirbelnden Bruchstücken, wenn das Seil reißt.

    Mit zunehmender Zugkraft schwillt der Lärm in der Halle an. Für das Prüfteam wird es nun Zeit, sich zurückzuziehen:

    "Wir müssen jetzt, da der Kollege anfängt zu ziehen, auch in den Schutzraum reingehen."

    An diesem Bunkerstand aus grauen Stahlplatten und kleinen bruchfesten Glasscheiben prallen im Fall der Fälle geschossartig losgelöste Splitter des zerborstenen Seiles ab. Ein Computer zeichnet auf, wie sich der Zustand des Seiles bei steigender Belastung verändert. Nach wenigen Minuten ertönt ein erster Knall.

    Doch noch hat das Seil gehalten. Das Team von Friedrich Dürrer erhöht unter aufmerksamer Beobachtung des Vertreters des italienischen Seilherstellers den Zugdruck weiter. Bis das Prüfstück mit einem ohrenbetäubenden Geräusch endgültig reißt.

    Das Produkt ist zwar kaputt, hat aber den Test für die Belastung bestanden. Erst mit dem erteilten Zertifikat der Seilprüfstelle in Bochum können die Seile an ihrem vorgesehenen Bestimmungsort eingesetzt werden.

    Auch wenn 2018 die letzte deutsche Steinkohlenzeche stillgelegt wird, so bleibt deutsches Bergbau-Know-how weltweit gefragt. Vor allem in puncto Sicherheit. Die Seilprüfstelle der Deutschen Montantechnologie, DMT, ist für Hersteller aus aller Welt die erste Adresse, wenn es darum geht, die Belastbarkeit ihrer Seile zu testen. Ob für Bergwerke in China, Goldgruben in Südafrika, Offshore-Plattformen auf hoher See oder für gigantische Riesenräder wie das London Eye am Themseufer. Die Wurzeln dieser Seilprüfstelle reichen nach den Worten ihres Leiters Friedrich Dürrer zurück bis ins Jahr 1903:

    "Das hat also ursprünglich angefangen als Sicherheitsinstitut für den Bergbau. Und dieses Know-how, was für die Förderseile entwickelt worden ist, ist dann auf andere Bereiche übertragen worden."

    Entsprechend lang ist die Kundenliste. An jedem Wochentag steht in Bochum ein Zerreißtest von bis zu sechs Meter langen Probestücken auf dem Programm.

    "Die Hersteller kommen ja aus ganz Europa. Aus England, Norwegen, Italien, Frankreich. Um mal die größten zu nennen, die es in Europa gibt."

    Mit den Prüfaufträgen erzielt das DMT-Unternehmen mit seinen 19 Mitarbeitern einen Umsatz von über fünf Millionen Euro im Jahr. Die meisten der aus Zighundert einzelnen Metalldrähten bestehenden Seile besitzen einen größeren Durchmesser als der Bizeps von Arnold Schwarzenegger zu dessen besten Bodybuilder-Zeiten. Aber sie müssen auch für enorme Lasten ausgelegt sein. So wie die einige 100 Meter langen Seile für das mächtige Riesenrad London Eye, die im Bochumer Labor auf den Prüfstand kamen. Friedrich Dürer nennt weitere Beispiele:

    "Viele Autobahnbrücken hier in Deutschland. Dann von den Bauwerken sehr viele Fußballstadien. Also auch für die letzte Fußballeuropameisterschaft haben wir viel gemacht. Das Olympiastadion in London, da haben wir Seile für geprüft ... Dann ist ja noch mal der Singapur-Flyer gebaut worden, der noch etwas größer ist als das London Eye selber."

    Die quer über den Globus gefragte Kompetenz endet übrigens nicht hinter der Labortür in Bochum. Die 15 Ingenieure des DMT-Unternehmens sind weltweit im Einsatz, um vor Ort die Stabilität von Seilen in unterschiedlichsten Bauwerken zu überprüfen. Dazu gehören Autobahnbrücken in Argentinien ebenso wie Zugseile auf Flughäfen in Saudi Arabien oder auf Offshore-Öl- und Gas-Bohrplattformen in der Nordsee. Da sich Schäden im Inneren eines Seiles, verursacht durch Korrosion oder durch dynamische Belastungen, nicht mit bloßem Auge erkennen lassen, führen die Experten aus Bochum hochempfindliche Messapparaturen im Gepäck.

    "Das wird also heute über Seltene-Erden-Magneten gemacht, dass man also auch den Befund über den inneren Zustand des Seils bekommt, den man außen visuell nicht erfassen kann."

    Auch wenn der Steinkohlenbergbau in Deutschland keine Zukunft mehr hat: Das in langen Jahrzehnten erworbene technische Sicherheits-Know-how zahlt sich heute weltweit aus.