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Ziercke: Müssen bei Kinderpornografie "deutliches Stoppzeichen setzen"

Jörg Ziercke, Präsident des Bundeskriminalamts, äußert sich im Deutschlandfunk zu drei Themenkomplexen: der Verlässlichkeit der DNA-Analyse nach der Panne im Fall des "Phantoms von Heilbronn", der Terrorabwehr in Deutschland und seinem eindeutigen Ja zur Sperrung von Kinderpornografie-Seiten im Internet.

Jörg Ziercke im Gespräch mit Christoph Heinemann | 27.03.2009
    Christoph Heinemann: "Das Phantom ist ein Phantom", titelt die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" heute. Eine unter anderem wegen des Heilbronner Polizistenmordes gesuchte Serientäterin existiert höchst wahrscheinlich nicht. Offenbar waren die Wattestäbchen, die die Fahnder zur Sicherung von DNA-Spuren verwendeten, schon vorher mit DNA-Material in Berührung gekommen. Der baden-württembergische Justizminister Ulrich Goll bemüht sich um Schadensbegrenzung.

    O-Ton Ulrich Goll: "Aber das ist dann sicher nicht ein Problem der Ermittler, sondern das wäre dann tatsächlich ein Problem des Herstellers und der mangelnden Qualität. Die Ermittler selber haben ja nichts falsch gemacht."

    Heinemann: An mindestens 40 verschiedenen Tatorten in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, dem Saarland und in Österreich wurden DNA-Spuren einer unbekannten weiblichen Person gefunden, nach der jahrelang als "Phantom" gefahndet wurde. – Jörg Ziercke ist der Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA). Guten Morgen!

    Jörg Ziercke: Guten Morgen!

    Heinemann: Herr Ziercke, ein Phantom ist eine Einbildung, eine Sinnestäuschung, ein Trugbild. Wie konnte das passieren?

    Ziercke: Ja, das fragen wir uns natürlich auf der einen Seite auch. Auf der anderen Seite muss man sagen, dass die Ermittlungen in einem Mordfall immer sehr breit angelegt werden, sehr komplex, sehr kompliziert sind. Man muss auch sagen, dass man natürlich aufgrund der Vielzahl der Fälle schon vor über einem Jahr zu der Erkenntnis gekommen war, dass hier möglicherweise eine Trugspur vorliegen könnte, hat auch umfangreiche Untersuchungen angestellt, Wattestäbchen waren auch damals schon als möglicher Verursacher identifiziert worden, aber unter Hunderten von Wattestäbchen gab es nicht eine einzige Kontamination. Unter Zehntausenden von Wattestäbchen mag man erkennen, wie schwierig es ist, die wenigen zu erkennen, die wirklich kontaminiert sind, mit denen ein Mensch vorher in Berührung gekommen ist, der dafür gesorgt hat, dass sich dann Spuren als so trügerisch erweisen, wie es im Moment der Fall ist.

    Heinemann: Was muss denn jetzt passieren, damit die DNA-Analyse ein taugliches Beweismittel bleibt?

    Ziercke: Die DNA-Analyse ist ein taugliches Beweismittel. Man muss unterscheiden zwischen dem Vergleich von Spuren, wo es noch nicht um Bezüge zu konkreten Tatverdächtigen und Personen geht. Sobald sie eine Person haben, haben sie so viel DNA-Material, dass minimale Kontaminationen wie auf Wattestäbchen zum Beispiel überhaupt keine Rolle spielen, so dass es deshalb keine Fehlverurteilung gegeben haben kann.

    Heinemann: Und die Ermittler fangen jetzt wieder bei null an?

    Ziercke: Die Ermittler müssen diese Spurenlage sich sehr genau noch mal ansehen, weil ja Tatzusammenhänge hergestellt worden sind, ohne dass man konkret einer Person das hat zuordnen können. Es sind einfach Fragen jetzt offen, wie welcher Fall in welcher Beziehung zu bestimmten Taten steht, nicht zu Personen.

    Heinemann: Wie schließt man solche Pannen in Zukunft aus?

    Ziercke: Wir werden natürlich versuchen, die Mittel, die bei der Spurensicherung eingesetzt werden, noch steriler zu machen, als sie eigentlich schon sein müssten. Medizinisch steril sind diese Wattestäbchen im Übrigen, aber die besondere Anforderung ist eben die, dass bei DNA-Spuren selbst die medizinische sterile Verpackung nicht ausreicht. Es gibt da spezifische Verfahren, um das noch besser zu machen, und das werden wir auch tun müssen.

    Heinemann: Das Bundeskriminalamt verfügt über eine DNA-Analysedatei. Wie verlässlich ist dieses Material?

    Ziercke: In dieser Datei sind ja sowohl Personen, die eindeutig identifiziert sind, gespeichert, aber nur von ihren alphanumerischen Daten her. In dem Moment, wo es an einem Tatort wieder eine Spur gibt, vergleichen wir diese eindeutig identifizierten DNA-Spuren mit dieser Spur am Tatort, und dann beginnen im Grunde die Ermittlungen.

    Heinemann: Herr Ziercke, Thema Kinderpornografie. Die Bundesregierung plant, die entsprechenden einschlägigen Seiten im Netz zu sperren. Aus Sicht der Ermittler: Sollte das passieren, oder sind diese Seiten, ist die Nutzung nicht eben auch ein Mittel, um Verbrechern, um Nutzern auf die Spur zu kommen?

    Ziercke: Ich bin unbedingt dafür, dass wir dem organisierten Verbrechen, das Millionengewinne macht mit missbrauchten Kindern (denn Kinderpornografie ist die schlimmste Form der Kindesmisshandlung), dass wir dort ein deutliches Stoppzeichen setzen und nicht nur symbolisch ein Stoppzeichen setzen, sondern dass wir denjenigen, die auf solche Seiten im Internet kommen, den Spiegel vorhalten, dass wir die Nachfrage im Grunde dadurch reduzieren, dass organisierte Kriminalität nicht Millionengewinne machen kann. Deshalb halte ich diese Art von "Access Blocking", wie wir sagen, Zugriffsverhinderung – mehr ist es ja nicht -, Erschwerung des Zugriffs für den Bereich derjenigen für erforderlich, die gelegentlich auf so etwas kommen, aber für die große Nachfrage auch mitverantwortlich sind, um deutlich zu machen, auf welchem Weg sie sich befinden.

    Heinemann: Aus Sicht der Ermittler: Geht Ihnen da kein Instrument verloren, wenn diese Seiten gesperrt sind?

    Ziercke: Nein, das geht uns nicht verloren, weil wir den Bereich derjenigen, die sich im Hardcore-Bereich sozusagen befinden, diese 15 bis 20 Prozent, von denen ich immer spreche, mit der Maßnahme auch nicht erfassen können. Wir werden bei unseren Ermittlungen auf die Vorratsdaten zurückgreifen müssen, auf die IP-Adressen zurückgreifen müssen, und können dann viel besser nachvollziehen, wer mit wem möglicherweise kommuniziert hat, oder aber wer worauf zugegriffen hat, und es gibt auch andere Ermittlungsansätze aus einer Vielzahl von Verfahren heraus, die dann greifen werden. Also, ich halte das für eine unverzichtbare Maßnahme, zumal viele Länder der Welt, 15, 20 insgesamt schon in Europa, Norwegen, Schweden, Dänemark, England, dieses "Access Blocking" bereits betreiben. Deutschland marschiert da bisher nicht an der Spitze.

    Heinemann: In den "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk sprechen wir mit Jörg Ziercke, dem Präsidenten des Bundeskriminalamtes. – In unregelmäßigen Abständen warnen Sie, warnen die Sicherheitsbehörden vor Terroranschlägen. Wie gefährdet ist Deutschland Ihrer Einschätzung nach im Augenblick?

    Ziercke: Wir sind als Deutschland, als Europa in einem weltweiten Gefahrenraum des islamistischen Terrorismus und wir müssen aufgrund der Vielzahl der Drohvideos gerade der letzten Monate feststellen, dass sich hier eine Entwicklung abzeichnet, die Deutschland stärker ins Visier nimmt. Stärker ins Visier nimmt heißt, dass wir bisher ja auch schon sieben schwere Anschläge in Deutschland verhindert haben. Ich erinnere nur an die Sauerland-Gruppe mit 730 Kilogramm Wasserstoffperoxid, die demnächst angeklagt werden. Ich erinnere an die verhinderten Kofferbomber aus dem Kölner Raum. Und wenn man die Gesamtsituation nimmt, dann treten immer mehr junge Deutsche auch in diesen Videos auf, die in Ausbildungslagern in Afghanistan, in Pakistan waren und die jetzt versuchen, in Deutschland weitere junge Menschen zu rekrutieren, Propaganda machen, sie religiös zu fanatisieren, um sie dann auch in diesen Dschihad zu führen. Aber ich sage auch, wir sind in Deutschland gut aufgestellt und wir werden alles tun, um solche Anschläge zu verhindern.

    Heinemann: Vermehrt deutschsprachige Drohvideos, ist das eine gezielte Strategie?

    Ziercke: Das ist für mich eine gezielte Strategie. Die Strategie besteht ja im Grunde darin, dass man dann Menschen hat, die sich in unseren Breiten, in unserer Gesellschaft bewegen können, die die Situation kennen, die das Land kennen und die deshalb gefährlicher sind, weil sie nicht so schnell erkannt werden können wie andere.

    Heinemann: Mit wie vielen deutschen oder deutschsprachigen potenziellen Gewalttätern rechnen Sie?

    Ziercke: Wir haben insgesamt 80 bis 85 Leute - die Zahl wechselt immer mal wieder – in Deutschland als so genannte "Gefährder" eingestuft, von denen sehr viele in Ausbildungslagern gewesen sind, von denen wir glauben, dass sie gefährlich sind, die wir beobachten (Verfassungsschutz, Polizei). Mit denen müssen wir uns auseinandersetzen und aus dieser Gruppe heraus kommen eben auch diejenigen, die dann Deutschland über Videos bedrohen und auch glauben, dass man im Wahljahr eine besondere Chance habe, um den Menschen hier Angst zu machen.

    Heinemann: Stichwort "Angst zu machen". Wird der Terrorismus eventuell oder die Furcht davor auch instrumentalisiert? Wir haben die Diskussion um die Online-Überwachung, wir haben den Plan, jetzt das Abhören von verschlüsselten Telefonaten noch vorher zu ermöglichen, wir haben die Homepage-Überwachung.

    Ziercke: Im digitalen Zeitalter benutzen Terroristen alle Möglichkeiten der neuen Technologien und wenn man heute etwas verschlüsselt auf der Festplatte hat, dann kann man es im Grunde nicht mehr entschlüsseln. Das heißt, Beweissicherung für den Staat in der Zukunft ist im digitalen Zeitalter nicht mehr so, wie es vor zehn oder 20 Jahren war, wo Polizei Beweismittel (Papiere, Akten) sichergestellt hat. Das muss man einmal feststellen.
    Wenn man heute verschlüsselt telefonieren kann, dann ist das etwas anderes, als was man früher über die Festnetztelefonie gemacht hat. Nein, die Gesellschaft, die Politik muss die Frage beantworten, was Beweissicherung im Strafprozess in Zukunft wert sein kann, uns wert sein müsste, und zweitens, wie nahe die Polizei bei der Gefahrenabwehr an einem Ereignis dran sein soll, denn das Problem ist ja, wenn sie nicht zeitnah entschlüsseln können, können sie erst die Gefahr in dem Moment feststellen, wo sie sich schon zu realisieren beginnt. Und diese Frage muss man beantworten.

    Heinemann: Die Gefahr ist das eine, die Abwehr das andere und ein drittes sind die Grundrechte. Sie kennen den Witz, Herr Ziercke: Wer gesund ist, ist nur noch nicht gründlich genug untersucht. Besteht die Gefahr, dass sich die Gefahrenabwehr zu einer Einschränkung von Grundrechten verselbständigt?

    Ziercke: Ich denke nicht. Das Bundesverfassungsgericht hat ja in seinen Entscheidungen zur Wohnraumüberwachung, aber auch zur Online-Durchsuchung, deutlich die Grenzen aufgezeigt. Innerhalb dieser Grenzen darf der Staat sich bewegen. Es hat dem Kernbereichschutz eine große Bedeutung beigemessen, hat klar postuliert, dass es um konkrete Gefahren gehen muss, wenn Polizei tätig wird. Polizei darf nicht im Vorfeld tätig werden. In dem Rahmen bewegen wir uns, den müssen wir einhalten. Das wird überwacht durch die Staatsanwaltschaft, durch die Richter. Das kann vor jedem deutschen Gericht überprüft werden. Also insoweit habe ich diese Befürchtung nicht. Aber was wir sehen müssen: Natürlich ist es richtig, dass neue Technologien dazu führen, dass der Staat sich diesen neuen Bedrohungen auch gegenüber wappnen muss, und das bedeutet dann auch, dass bestimmte Rechte eingeschränkt werden. Ich denke, das hängt mit der Entwicklung zusammen, die wir heute im digitalen Zeitalter haben.

    Heinemann: Jörg Ziercke, der Präsident des Bundeskriminalamtes. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Ziercke: Bitte.