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Zika-Virus
Virologe: Ausbreitung in Deutschland sehr unwahrscheinlich

In Südamerika grassiert das Zika-Virus, das möglicherweise für Fehlbildungen bei Ungeborenen verantwortlich ist. Der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Virologie, Thomas Mertens, hält eine ähnliche Ausbreitung in Deutschland für sehr unwahrscheinlich. Denn die einzig theoretisch denkbare Übertragungsmöglichkeit sei über die Tigermücke in Süddeutschland, sagte er im DLF.

Thomas Mertens im Gespräch mit Christiane Kaess | 01.02.2016
    Moskito der Art Aedes aegypti
    Moskito der Stechmückenart Aedes aegypti können das Zika-Virus übertragen. (AFP / Marco Garro)
    Die Weltgesundheitsorganisation entscheidet heute darüber, ob sie wegen des Zika-Virus einen weltweiten Gesundheitsnotstand ausruft. Mertens erläuterte, dass es darum gehe, die Gegenmaßnahmen zu organisieren und den Schaden durch das Virus zu minimieren.
    Der Zusammenhang zwischen der Erkrankung von Schwangeren und schweren Schädel-Fehlbildungen bei Ungeborenen sei noch nicht bewiesen. Das Problem sei, dass es wenige Fälle mit guten Daten gebe. Hauptindikator sei, dass in Brasilien die Anzahl der Kinder mit sogenannter Mikroenzephalie in den Regionen steigt, in denen auch die Zika-Fälle zunehmen.
    Mertens betonte, seit drei Jahren habe es in Deutschland einzelne Fälle gegeben. "Die Importfälle sind im Augenblick für Schwangere nicht gefährlich." Derzeit könne das Virus auch nicht übertragen werden. Das könne sich im Hochsommer in Süddeutschland ändern. Dort könne die Tigermücke als Verwandte der in Südamerika verbreiteten Stechmücke Aedes aegypti das Virus weitergeben. Der Virologe sprach aber von einem "recht konstruierten Fall." Er sei sich sehr sicher, dass es sich höchstens um Einzelfälle handeln könne.

    Das Interview in voller Länge:
    Christiane Kaess: Das sogenannte Zika-Virus breitet sich derzeit in Lateinamerika rasant aus. Bei den meisten Infizierten verläuft die Krankheit harmlos. Viele merken sie nicht einmal. Für Schwangere aber kann sie gefährlich werden. Man vermutet, dass das Virus die Ursache für Schädelfehlbildungen ist. Erkrankte Babys sind oft geistig behindert. Heute möchte die Weltgesundheitsorganisation, die WHO, beraten, ob sie wegen des Zika-Virus den globalen Gesundheitsnotstand ausrufen wird. Darüber möchte ich jetzt sprechen mit Professor Thomas Mertens. Er ist Präsident der Gesellschaft für Virologie und er ist jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr Mertens.
    Thomas Mertens: Guten Morgen, Frau Kaess.
    Kaess: Herr Mertens, rechnen Sie damit, dass die WHO reagieren wird und tatsächlich diesen globalen Gesundheitsnotstand ausrufen wird?
    Mertens: Das ist möglich, ja.
    "Für Deutschland bedeutet das nichts Aufregendes"
    Kaess: Weshalb? Auf welcher Grundlage?
    Mertens: Nun, wie Sie schon genau sagten, ist es ein Virus, das wir zwar seit Langem kennen, das sich aber derzeit sozusagen neue Geschäftsfelder eröffnet hat und sich in Südamerika dramatisch ausbreitet, und es kann sich überall da ausbreiten, wo die entsprechenden Überträgermücken da sind, auch weltweit. Und wenn im Augenblick die Vermutung stimmt, was noch nicht letztendlich bewiesen ist, dass das Virus die Ursache für diese schweren kindlichen Schädel- und Gehirnmissbildungen ist bei Infektionen einer Schwangeren, dann kann das natürlich auch weltweit erhebliche gesundheitliche Konsequenzen haben, und insofern tut die WHO gut daran, sich darüber Gedanken zu machen.
    Kaess: Über das Virus selbst können wir gleich noch genauer sprechen. Noch einmal zurück zu diesem globalen Gesundheitsnotstand, zu diesem Begriff. Was bedeutet das konkret für Deutschland, wenn es heute dazu kommen sollte, dass er ausgerufen wird?
    Mertens: Für Deutschland bedeutet das bei uns jetzt noch dazu im Winter eigentlich nichts Aufregendes. Es wird bei uns kaum jemand etwas davon merken. Es geht ja ganz wesentlich darum, dass die WHO versuchen wird, dann Gegenmaßnahmen in den betroffenen Ländern zu organisieren oder, sagen wir mal, zu koordinieren, und das bedeutet natürlich auch, dass allgemeine Verhaltenshinweise gegeben werden. Es geht darum, die weltweiten Aktivitäten zur Minimierung des Schadens, wenn man so will, zu koordinieren.
    Kaess: Aber es bedeutet konkret keine schärferen Sicherheitsvorkehrungen zum Beispiel für Reisende aus diesen Ländern?
    Mertens: Nein. - Nein.
    "60 bis 80 Prozent der Infizierten bemerken gar nichts von der Erkrankung"
    Kaess: Sie haben gerade schon kurz über das Zika-Virus gesprochen. Was ist es genau, dieses Virus?
    Mertens: Das Virus ist 1947 erstmalig in Afrika von einem Affen isoliert worden. Es handelt sich um ein sogenanntes Flavivirus. Das heißt, es ist ein Vetter des Gelbfiebervirus, des Dengue-Virus, auch letztendlich, wenn Sie so wollen, unseres FSME-Virus in Europa. Es ist ein Flavivirus, zu dem mehrere andere Viren gehören, die ähnlich übertragen werden wie Dengue und Gelbfieber. Das Virus, wie Sie auch sehr richtig gesagt haben, verläuft beim Gesunden milder als die Dengue-Virus-Infektion und auch viel milder als die Gelbfiebervirus-Infektion. Die meisten Betroffenen bedürfen ja auch gar keiner Krankenhausaufnahme und viele, vielleicht 60 bis 80 Prozent der Infizierten bemerken gar nichts von der Erkrankung. Aber natürlich ist die Krankheitslast selbst bei 20 Prozent der im sogenannten Gelbfiebergürtel der Welt lebenden Menschen doch erheblich, und wenn das natürlich sich weiter bestätigen sollte, die Frage der Missbildung durch das Virus, dann hat es natürlich schon erhebliche gesundheitliche Auswirkungen.
    Kaess: Warum ist das bisher noch nicht bestätigt?
    Mertens: Das ist nicht so einfach, weil letztendlich die Fälle, wo man gute Daten hat, sprich wo entweder das Virus aus Fruchtwasser der Schwangeren oder das Virus von einem gerade geborenen Kind isoliert worden ist beziehungsweise die RNA des Virus nachgewiesen worden ist, das sind doch noch relativ wenige Fälle. Was jetzt der Hauptindikator ist, ist die Tatsache, dass man jetzt in Brasilien festgestellt hat, dass die Anzahl dieser mit Mikrozephalie geborenen Kinder gerade in den Regionen Brasiliens, in denen auch das Zika-Virus sich besonders stark ausgebreitet hat, vorgekommen sind. Das heißt, es ist, wenn Sie so wollen, auf der Landkarte eine Überlappung der Zonen der Ausbreitung des Virus und des vermehrten Auftretens dieser Mikrozephalie.
    "Keine großen Ausbrüche hier bei uns zu erwarten"
    Kaess: Herr Mertens, gab es in Deutschland schon Importfälle und wie gefährlich könnten die für Schwangere hier werden?
    Mertens: Ja. Die Importfälle - bisher sind es wenige, ganz wenige Einzelfälle, die schon seit drei Jahren etwa hier mal beobachtet worden sind. Die Importfälle sind eigentlich jetzt im Augenblick für Schwangere nicht gefährlich. Denn die Übertragung erfolgt ja, abgesehen von vereinzelten Berichten, über sexuelle Übertragung bei Leuten, die gerade sich in der Infektion befinden. Ansonsten aber ja relevant nur über die Mücken, und diese Mücken, Aedes Aegypti zum Beispiel, gibt es bei uns nicht. Bei uns gibt es in Süddeutschland etwas, die sogenannte Tigermücke. Die ist auch eine verwandte Mücke von Aedes Aegypti. Es ist wahrscheinlich, dass diese Tigermücke auch in der Lage wäre, bei uns im Hochsommer das Virus zu übertragen. Stellen Sie sich vor, wenn im Hochsommer jemand gerade mit einer Virämie, das heißt mit Virus im Blut, eine relativ kurze Phase von vielleicht zwei Wochen, nach Süddeutschland käme und dort wäre ein sehr heißer Sommer und wir hätten dort ausreichend Tigermücken, Albopictus, dann wäre es theoretisch denkbar, dass ein solcher Infizierter von einer solchen Mücke gestochen wird und das Virus dann hier bei uns auf jemand anders überträgt. Aber wie Sie an meiner Schilderung merken, ist das Ganze schon ein recht konstruierter Fall. Ich bin eigentlich sehr sicher, dass es sich dabei höchstens um Einzelfälle handeln könnte, aber dass davon keine großen Ausbrüche hier bei uns zu erwarten sind.
    Kaess: Die Einschätzung von Professor Thomas Mertens. Er ist Präsident der Gesellschaft für Virologie. Danke für das Gespräch heute Morgen, Herr Mertens.
    Mertens: Ja, bitte schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.