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Zimmer

Kleinschmid: An diesem Wochenende haben die sogenannten Regionalkonferenzen der PDS begonnen. Sie dienen der Vorbereitung des Bundesparteitages in Cottbus in knapp vier Wochen, auf dem Sie, Frau Zimmer, zur neuen PDS-Vorsitzenden gewählt werden sollen. Solche Kontakte mit der Parteibasis in schwieriger Situation hat auch Angela Merkel Anfang dieses Jahres aufgenommen, bevor sie zur neuen CDU-Chefin gekürt wurde. Gilt für Sie in bezug auf die Regionalkonferenzen die Losung: "Von Frau Merkel lernen heißt siegen lernen"?

Harald Kleinschmid |
    Zimmer: Also, wenn siegen lernen so einfach wäre, würde ich das auch von Angela Merkel tun. Und außerdem muss ich noch hinzufügen, haben wir mit dem "siegen lernen "auch schon schlechte Erfahrungen gemacht - in DDR-Zeiten -: "Von der Sowjetunion lernen heißt siegen lernen". Das ist ja nun gründlich in die Hose gegangen. Die Regionalkonferenzen sind für mich aber schon ein wichtiger Punkt, um die Debatte in der PDS herauszufordern. Ich möchte mich vorstellen, das, was ich mit dieser Partei erreichen möchte, warum ich kandidiere - und ich erwarte eigentlich eine offene und spannende Debatte. Insofern gehe ich davon aus, dass sowohl Magdeburg als auch die in wenigen Tagen folgenden neun weiteren Regionalkonferenzen uns auf den Weg nach Cottbus einfach weiterbringen werden.

    Kleinschmid: Lassen wir mal den Spaß ein bisschen beiseite, Frau Zimmer. Der Cottbuser Parteitag, Ihre Wahl und die Ihres zukünftigen Parteivorstands werden ja kein Spaziergang. Der Parteitag wurde vorgezogen, weil sein Vorläufer, der im April in Münster, ziemlich in die Hose ging - ich formuliere das einmal so salopp. Die Aushängeschilder - Parteichef Bisky und Fraktionschef Gysi - haben ihren Rückzug angekündigt. Das hat sich - so hat man den Eindruck manchmal - wie Mehltau über die Partei gelegt. Von Aufbruch ist nicht allzu viel zu spüren. Die PDS ist innerlich tief gespalten. Zumindest war das das Bild, was der Münsteraner Parteitag vermittelte. Und Lothar Bisky hat ja dieser Tage diagnostiziert, Teile der Partei seien "psychisch krank". Teilen Sie diese Diagnose?

    Zimmer: Diese Diagnose teile ich in dieser Formulierung so nicht. Ich sehe, dass es einen enormen Bedarf gibt an Verständigung in der PDS, welchen Weg wir weiter gehen werden, wollen: Dass die PDS jetzt zu Beginn ihres zweiten Jahrzehntes für sich feststellen muss, die Zeit, als es nur darum ging, sich selbst zu behaupten, sich selbst zu verteidigen, ist vorbei - jetzt müssen wir auch sagen, warum wir da sind und warum wir als Partei meinen, dass wir in dieser Bundesrepublik Deutschland notwendig sind. Das ist die Debatte, die jetzt zu führen ist. Und insofern verspüre ich eigentlich mit dem Blick auf Cottbus, auf die Regionalkonferenzen, eine sehr große Erwartungshaltung. Was kann, was soll ein künftiger Bundesvorstand erreichen, wie will die PDS in öffentliche Auseinandersetzungen eingreifen, welche Angebote unterbreitet sie, wie gelingt es uns, uns als bundesweite sozialistische Partei zu profilieren und nicht nur darauf zu reduzieren und darauf zu vertrauen, dass wir im Osten unsere Stärke haben. Denn die könnte schnell verlorengehen, wenn wir hier nicht an Substanz gewinnen, wenn wir hier nicht in die Öffentlichkeit kommen und wenn wir nicht diesen Schritt in die Bundesrepublik Deutschland selber tun.

    Kleinschmid: Bleiben wir noch ein bisschen bei der Partei, Frau Zimmer. Wenn Sie sich zutrauen, die widerstrebenden Flügel, die es ja offenbar in der Partei gibt, zusammenzuführen, was dem alten Vorstand ja offensichtlich nur schwer gelungen ist - siehe Münster -: Welche Rolle beispielsweise wird dann die ,kommunistische Plattform' spielen. Ich spiele auch ein bisschen auf die Formulierung an, dass Sie ja als Nachfolgerin von Lothar Bisky, dem ,Integrationsopa' nun die ,Integrationstante' sein sollen.

    Zimmer: Sein sollen - aber nicht sein werde. Das ist für mich ein großer Unterschied. Lothar Bisky hat sich ja selbst als Integrationsonkel oder -opa mal bezeichnet. Ich glaube, man kann nach mehreren Jahren Erfahrung in der PDS auch zu einem solchen Schluss für sich kommen und sagen: ,Mein Gott, das nervt'. Und schon allein, weil ich das nicht sein möchte, werde ich mich auf diesen Weg nicht begeben. Das heißt, es muss uns gelingen - und dazu will ich auch die Partei auffordern -, dass wir einen Vorstand wählen, in dem die Partei nicht nach Flügeln, nicht nach Plattform, nicht nach Gruppierungen vertreten ist, sondern danach, welche Menschen welche Politikerfahrung auf welchen Politikebenen gesammelt haben. Ich will praktisch die unterschiedliche Situation, in der sich die PDS befindet, die will ich in den Vorstand reinholen. Ich will, dass dort Politik gemacht wird, gebündelt wird, die Landeserfahrungen reinkommen. Ich möchte, dass dort Menschen mitarbeiten, die bewiesen haben, dass sie in der Lage sind, einen Landesverband zu führen, dass sie in der Lage sind, aus Opposition heraus konkrete politische Angebote zu entwickeln, dass sie in der Lage sind, auch in Zusammenarbeit mit anderen Parteien in Regierungsbeteiligung oder in Tolerierungssituationen sich dort zu behaupten.

    Kleinschmid: Ich frage trotzdem noch mal nach: Sie hätten gegen ein Mitglied der ,kommunistischen Plattform' im Vorstand nichts einzuwenden?

    Zimmer: Ich würde nicht danach urteilen, ob jener oder jene sich als Mitglied der KPF versteht, sondern welche konkreten politischen Erfahrungen jemand hat und was jemand bisher getan hat, um sich dafür auszuzeichnen, in den Vorstand gewählt zu werden. Ich denke, die Besten gehören in den Vorstand - jene, die wirklich Politik machen. Und mir ist jede Gruppierung in der PDS recht, die zur Politikbildung beiträgt. Das wird mein Maßstab sein, und den stelle ich auch der KPF, den stelle ich dem Marxistischen Forum, der Ökologischen Plattform - allen, die sich aus meiner Sicht da doch noch ein bisschen zu sehr herausgehalten haben.

    Kleinschmid: Kommen wir von der Partei erst nochmal ein bisschen weg zu den Personen. Gregor Gysi, der mit Abstand bekannteste PDS-Politiker - sein Rückzug würde die Partei ein Drittel ihrer Wählerstimmen kosten, hat André Brie vorhergesagt, einer der Vordenker und strategischen Köpfe Ihrer Partei. Sehen Sie das auch so dramatisch?

    Zimmer: Lothar Bisky hat André Brie für diese Prognose als ,Amateursoziologen' bezeichnet. So weit will ich nicht gehen. Ich halte das schon für ein Problem, wenn jemand wie Gregor Gysi sich privatisieren würde, das heißt, wenn er sich aus der Politik zurückzöge. Das wird aber nicht eintreten, da bin ich felsenfest überzeugt. Das, was wir tun können, wird darin liegen, wie wir deutlich machen, dass wir diesen Kurs der PDS zur weiteren Erneuerung, zur Demokratisierung der Partei, aber vor allem als sozialistische Partei in dieser Bundesrepublik weiter fahren können, weiter führen können - also praktisch jetzt nicht irgendwo wieder zurückfallen, irgend etwas tun und festmachen, was letztendlich ein Zurück zu alten Positionen bedeuten würde, sondern das weiter ausbauen und selber hier kritisch auch hinterfragen. Ich glaube, dann kann man auch Leute wie Gregor Gysi oder Lothar Bisky weiter für die Partei halten - und sie sind nach wie vor unverzichtbar für diese Partei. Aber - und das sage ich auch deutlich - es wird einen Wechsel an der Parteispitze, an der Fraktionsspitze geben. Es wird eine neue Generation sich präsentieren, gar nicht mal so sehr vom Alter her, aber möglicherweise mit anderen Erfahrungen in der Politik bisher. Und das halte ich einfach jetzt für den entsprechenden Zeitpunkt, das zu tun, und das werden wir als etwas Selbstverständliches auch angehen.

    Kleinschmid: Das Halten von Gregor Gysi ist ein Stichwort für mich. Sollte Gregor Gysi 2002 wieder für den Bundestag kandidieren oder gar als Kandidat für den Posten eines Regierenden Bürgermeisters von Berlin 2004?

    Zimmer: Erstens wäre beides möglich. Zweitens muss es nicht auf dieser Ebene sein - während für 2002 zu den Bundestagswahlen, da möchte ich ihn schon ganz vorne mit haben. Aber ich glaube, da müssen wir noch ein bisschen miteinander reden, so wie ich Gregor verstanden habe. Aber ich glaube, es gibt auch noch eine ganze Reihe weiterer Aufgaben, die höchst spannend und interessant sein können, zumal für jemanden wie Gregor Gysi, der ja nicht nur in Deutschland einen Namen hat, sondern auch auf der internationalen Ebene bei den Linken ein ungeheures Ansehen genießt. Ich konnte mich vor kurzem erst bei einem Treffen der neuen europäischen Linken in Stockholm überzeugen. Da gab es auch sehr viele Fragen, welche Akzente wird Gregor Gysi jetzt künftig noch in Politik und Bildung - gerade der internationalen Linken - mit einbringen. Und ich glaube, da gibt es auch weitere interessante Aufgaben.

    Kleinschmid: Ich darf da gleich nochmal anknüpfen. Ein PDS-Kandidat Gysi für Berlin - das impliziert ja noch etwas anderes, nämlich das Verhältnis der PDS zur SPD. Das funktioniert auf Kommunal- und Landesebene im Osten Deutschlands schon ganz gut - Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern beispielsweise. Jetzt werden auch auf Bundesebene Fühler ausgestreckt, Ressentiments abgebaut - Beispiel Steuerreform und Rentenkompromiss. Aber man hat doch den Eindruck, dass die PDS ihren oppositionellen, basisdemokratischen, antikapitalistischen Grundansatz und ihre diesbezüglichen Grundsätze relativ rasch wieder über Bord wirft, wenn sie von den Herrschenden - sage ich mal - nur aus der Schmuddelecke hervorgeholt wird, in die sie Anfang der 90er Jahre gesteckt wurde.

    Kleinschmid: Ich sage da ganz deutlich: In einer Schmuddelecke möchte ich auch nicht bleiben, möchte ich auch nicht sein. Aber ich möchte nicht, dass Akzeptanz in der Gesellschaft verwechselt wird mit Akzeptanz bei den Herrschenden und sich beliebig machen. Das wird mit mir nicht passieren. Ich weiß sehr wohl die Unterschiede zu bezeichnen zwischen einer sozialdemokratischen Politik, wie sie die SPD betreibt und einer Politik, wie wir sie wollen. Wir gehen in vielen Fragen viel weiter. Und ich sehe im übrigen auch deutlich die Gefahren, die bestehen, wenn die PDS sich weiter in der Bundesrepublik Deutschland mit einer großen Wähler-Erwartungshaltung auch konfrontiert sieht. Das ist ja nicht nur etwas Schönes für uns, das ist ja vor allem eine Herausforderung. Und viele in der PDS machen sich ja auch Sorgen darum, dass wir den Weg der Grünen gehen könnten. Manchmal ist das so etwas wie ein Deckmäntelchen für die Angst, ,Ihr könntet Euch sozialdemokratisieren'. Und die ist einfach nicht vom Tisch zu wischen, diese Angst. Aber ich finde, wenn man eine Herausforderung kennt, wenn man eine Gefahr kennt und sich ihr stellt, ist es doch immer noch was anderes, als wenn man sagt: ,Wir tun mal so, als würde uns das überhaupt nicht passieren'. Also, die PDS wird - weil Sie gerade Steuerreform und Rentenreform ansprachen - beispielsweise nach wie vor ganz deutlich erklären, dass wir zur Steuerreform andere Positionen haben. Es gibt durchaus auch kritische Positionen in der PDS zur Zustimmung von Mecklenburg-Vorpommern im Bundesrat. Das ist ein Punkt, über den wir einfach weiter auch diskutieren müssen. Und es wird nicht zwangsläufig daraus folgen, dass nun jedesmal, wenn Schröder erklärt, ,ansonsten suche ich mir die Mehrheit mit der CDU', dass wir dann ganz schnell sagen: ,Na, dann geben wir unsere Stimme, damit Ihr nicht mit der CDU den Konsens herstellen müsst' - das wird so nicht passieren können. Und das, was ich von der Rentenreform kenne, da sind die Positionen mit dem Riester-Konzept eigentlich völlig konträr gegenübergestellt. Sie sind allerdings so, dass man zu diesem Riester-Konzept tatsächlich jetzt andere Alternativen beschließen könnte, wenn man sie denn politisch wollte. Einige der Gewerkschaften haben ja bestimmte Positionen von uns aufgegriffen, und ich halte es nach wie vor für modern und ich halte es für innovativ, zu sagen: Soziale Sicherungssysteme müssen nach wie vor solidarisch gestrickt sein, sie müssen alle einbeziehen, und sie beruhen auch auf der paritätischen Finanzierung durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer - allerdings bei den Arbeitgebern eben nicht mehr einfach nur auf den Lohnfond beruhend, sondern in bezug auf Wertschöpfunsabgabe. Das ist ein völlig neues Instrument, das wir einbringen.

    Kleinschmid: Das Problem, Frau Zimmer, erscheint mir aber doch, dass gerade diese Positionen einfach in der Öffentlichkeit nicht wahrgenommen werden - und vor allen Dingen im Westen überhaupt nicht wahrgenommen werden. Der Einzige, der im Westen wahrgenommen wurde - und damit auch die gesamt PDS -, das war Gregor Gysi, ist Gregor Gysi. Und ausgerechnet der nach Westen gerichtete Münsteraner Parteitag ist ja auch so gut nicht gelaufen. Wie wird denn die PDS in den alten Bundesländern aus den Niederungen einer Splitterpartei herauskommen?

    Zimmer: In allererster Linie, indem wir versuchen, Politik zu machen, und zwar dort Politik zu machen, wo wirklich die Probleme der Leute bestehen - also, dass wir nicht einfach aus ideologischen Positionen heraus die Themen bestimmen, sondern dass wir in die Gesellschaft reinsehen und schauen, welche Erwartungshaltung es eigentlich an die Politik gibt und dass wir uns diesen Fragen stellen. Also ich denke mal zuerst zu solchen Fragen, wie beispielsweise existenzsichernde Arbeitsplätze zu schaffen, was ist zu tun, um Diskriminierung und Ausgrenzung - sozialen Ausgrenzungen, politischen Ausgrenzungen, ökonomischen Ausgrenzungen - von Menschen zu begegnen. Und das geht dann hin bis zur Frage ,Kampf gegen Rechtsextremismus'. Das hat ganz ursächlich etwas damit zu tun. Wir werden Akzeptanz gewinnen, wenn es uns gelingt, konkrete Alternativen zu unterbreiten, Politikangebote zu unterbreiten, die wirklich auf einen sozial-ökologischen Umbau zielen . . .

    Kleinschmid: . . . aber das machen Sie doch eigentlich schon seit Jahren . . .

    Zimmer: . . . ja, wir bemühen uns. Aber ich glaube, dass wir hier genau unsere Defizite haben. Das ist eigentlich der springende Punkt, wo die PDS in den nächsten Jahren unwahrscheinlich zulegen muss. Und dafür haben wir nicht mehr viel Zeit. 2002 werden wir das erste Mal jetzt wieder daran gemessen, wie es uns gelungen ist, unsere Position zu halten bzw. auszubauen. Und mit einem einfachen ,weiter so', so wie wir bisher zum Teil ,gewurschtelt' haben, wird es nicht gehen. Das heißt, wir brauchen einen anderen Arbeitsstil. Wir müssen uns als PDS insgesamt öffnen. Ich habe immer mit Sorge auch darauf hingewiesen, dass es ja nicht sein kann, dass wir unsere inhaltliche Substanz oftmals aus Kreisen beziehen, die eigentlich nicht mehr in den direkten Auseinandersetzungen drinnen stecken, die draußen sind, die nicht im Wissenschaftsbereich, im Hochschulbereich, die nicht im Bildungsbereich, die nicht im Arbeitsprozess direkt stehen, sondern oftmals ja mit ihrem Wissen, das teilweise schon 10,15 Jahre brach liegt, zu uns kommen und die auch ganz wichtig für uns sind. Aber wir brauchen diese Generation der 35- bis 51jährigen. Das sind die, die jetzt voll und ganz im Leben stehen, arbeiten oder arbeiten wollen, und die uns unheimlich mit Substanz auch unterstützen können.

    Kleinschmid: Noch einmal da nachgefragt, Frau Zimmer. Dieser Personenkreis im Westen, den Sie ansprechen, den Sie brauchen für Ihre Arbeit, der existiert ja kaum. Und wenn er existiert, dann sind das vielfach - beispielsweise in Hamburg, aber auch in anderen Landesverbänden - doch eher sektiererische Gruppen. Kann denn das die Basis sein, mit der Sie den Aufbruch schaffen?

    Zimmer: Wir haben jetzt vor kurzem das 4.000ste PDS-Mitglied im Westen aufgenommen. Darunter sind sehr viel junge Leute; das wird bei Bewertungen der PDS im Westen oftmals übersehen. Ich bin dafür, sich erstens auf die jungen Leute zu konzentrieren, konkrete Qualifizierungsangebote auch zu vermitteln. Ich bin zweitens dafür, dass die PDS aus den Erfahrungen, die sie in Ost und West gesammelt hat, dass sie lernt, damit umzugehen - und vor allem, dass sie eines für sich endlich annimmt: Dass es eine tiefe kulturelle Differenz, einen tiefen kulturellen Unterschied gibt, mit dem wir klarkommen müssen. Bisher haben dann immer beide Seiten übereinander geurteilt. Wir brauchen also auch praktisch den innerparteilichen Dialog wieder zwischen Ost und West. Der ist in den letzten Jahren eingeschlafen. Und da sehe ich eine große Chance für uns drin, dass wir das hinkriegen.

    Kleinschmid: Es ist ein breites Feld von Opposition frei geworden durch Rot-Grün. Rot-Grün ist immer weiter in die Mitte gegangen - geht noch weiter in die Mitte. Die PDS - so hat man den Eindruck - ist nicht in der Lage, dieses Feld auszufüllen. Woran liegt das?

    Zimmer: Unsere Wahlchancen 2002 werden wesentlich davon abhängen, wie weit uns genau das jetzt gelingt - a) zu konstatieren: Wir haben hier Defizite zugelassen und wir haben hier schleunigst etwas zu tun, um hier an unseren Positionen zu arbeiten, und b) deutlich zu machen, dass wir sehr wohl Vorstellungen haben, was wir denn diesem Leitbild, was ja durch die Konservativen und jetzt auch durch Rot-Grün, durch die SPD/Grünen-Bundesregierung ja mit besetzt wird, teilweise nur etwas abgeschwächt, nämlich dass der Mensch als Einzelwesen nur noch gesehen wird, als Unternehmer der eigenen Arbeitskraft und Daseinsvorsorge - und ich glaube, für uns ist es wichtig, ganz deutlich zu machen: Es gibt eine Alternative dazu. Wir stellen uns dem verantwortlichen Menschen, der solidarisch sich verhält - unabhängig von seiner sozialen Stellung, der sich in diese Gesellschaft einbringt und der auf der Grundlage einer sozialen Sicherung frei von jeden sozialen Ängsten sich auch entfalten kann, alle seine Anlagen und seine Kräfte zur Entfaltung bringen kann. Das ist unsere Vorstellung. In dem Zusammenhang möchte ich, dass wir in der PDS darüber diskutieren und uns daran dann auch messen: Wie stellen wir uns denn die Bundesrepublik Deutschland in 10 bis 15 Jahren vor? Was ist da auch für uns die Herausforderung? Was bedeutet das, wenn wir dieses Deutschland mitgestalten wollen, wenn wir in die Zukunftsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland eigene Akzente einbringen wollen, die dazu führen, dass diese Bundesrepublik sich verändert, dass ein wirklicher Politikwechsel möglich wird? Welche Herausforderung bedeutet das für uns als PDS? Das ist die zentrale Frage, die ich auch in Cottbus stellen werde.

    Kleinschmid: Kommen wir von der Zukunft nochmal gleich zurück auf die Gegenwart bzw. auf die Vergangenheit. Zehn Jahre Deutsche Einheit - wie sehr ist das heute Anlass für Sie, zu feiern? Gibt es nicht inzwischen doch auch ,blühende Landschaften' im Osten?

    Zimmer: Ich gehöre nicht zu denjenigen, die ein Schwarz-Weiß-Bild von der deutschen Einheit malen. Und ich sage auch ganz deutlich, dass es zehn Jahre nach der Herstellung der deutschen Einheit auch Zeit ist, festzustellen, dass es zum jetzigen Zeitpunkt - darüber kann man orakeln wie man will - die DDR aufgrund ihrer wirtschaftlichen Schwächen - mindestens aufgrund dieser - nicht mehr gegeben hätte. Insofern gibt es zu diesem Prozess der deutschen Einheit keine Alternative. Allerdings zu dem, wie er zustande gekommen ist: Das ist ja wohl unbestritten, und das haben wir als PDS auch immer wieder erklärt. Das ist nicht der Punkt. Und ich erkenne sehr wohl Chancen, die in diesem Prozess stecken, aber eben auch Probleme. Zu den Chancen, die ich sehe und worüber wir in der PDS auch eine Debatte führen müssen, weil die sehr umstritten sind, gehören aus meiner Sicht Fragen der Rechtsstaatlichkeit, die Fragen der Demokratisierung dieser Gesellschaft, weil natürlich mit den eigenen subjektiven Erfahrungen, mit denen die Leute kommen, sie oftmals den Eindruck haben: Das ist kein Rechtsstaat, das ist keine Demokratie. Und dennoch sage ich: Jawohl, es ist eine Demokratie. Sie ist vielleicht nicht so, wie sie wünschenswert wäre. Und hier haben wir gemeinsam auch eine Verantwortung, dazu beizutragen, dass diese Demokratie sich weiter entfaltet, dass alles sich einbringen können und nicht nur Politiker, die alle 4-5 Jahre gewählt werden und dann teilweise im Prinzip ja nur in Wahlperioden denken. Also, insofern hat für mich der Prozess der deutschen Einheit vieles gebracht, aber er hat eben viele Defizite offen gelassen. Zu diesen Defiziten gehören nach wie vor, dass die Verhältnisse zwischen Ost und West nicht angeglichen sind, dass es auch noch nicht einmal einen Fahrplan dafür gibt, wie man sich denn eine solche Angleichung vorstellen würde. Es gehört für mich zu den Defiziten, dass das, was an Potential im Osten da ist, nach wie vor nicht genutzt wird, nach wie vor nicht nach vorne gehend eingebracht wird. Wenn ich mir anschaue, dass in Thüringen - und ich weiß, in Sachsen-Anhalt ist es ähnlich - dass dort der Direktor des Landesarbeitsamtes erklärt: ,Wir werden den jungen Leuten empfehlen, sie sollen sich eine Ausbildung in den Altbundesländern suchen, und wir werden sie zur Arbeit auch in Altbundesländer vermitteln' - ist das für mich ein Ausdruck dafür der Hilflosigkeit und dass Politik hier auch völlig versagt hat. Das ist ein Bankrott.

    Kleinschmid: Ein anderes Stichwort, das wir schon angedeutet haben - ,Rechtsextremismus'. Bis weit in die 90er Jahre hinein hatte es sich die PDS als Verdienst angerechnet, jegliches extremistische Protestpotential an sich zu binden und damit zu neutralisieren. Diese Fähigkeit hat sie inzwischen eingebüßt. Vor allem unter der Jugend haben ihr die Rechten längst den Rang abgelaufen.

    Zimmer: Die Frage des Rechtsextremismus ist ja eine sehr schwierige. Viele versuchen sich heute in der Ursachenforschung, und ich gehe davon aus: Wir brauchen eine ganz differenzierte Sicht darauf, was hier eigentlich wirklich abläuft. Ich bin manchmal furchtbar enttäuscht darüber, wie schnell jetzt wieder Schuldzuweisungen auch ablaufen. Da sagt die eine Partei zu der anderen: Ihr seid daran Schuld, dass . . ., Ihr habt das nicht gemacht - und vergessen dabei, dass sie selbst im wesentlichen über Jahre hinweg durch schludrigen Umgang mit der Sprache und durch Verantwortungslosigkeit mit dazu beigetragen haben, dass hier bestimmte Bilder auch geprägt wurden. Die Rechten bzw. Rechtsextremisten tragen sehr wohl einen Teil des Protestpotentials mit weg - teilweise, weil sie auf Ängste setzen, auf Ängste von Menschen setzen, die insbesondere soziale Sicherheit bzw. die Angst vor dem Absturz betreffen. Das müssen nicht Leute sein, die schon arbeitslos sind. Allein die Angst vor dem Absturz in Arbeitslosigkeit sorgt bei vielen dafür, dass ein vermeintlicher Ausweg gesucht wird, indem vermeintlich Schwächere genutzt werden als die Schuldigen, und die eigenen Sorgen darauf projiziert werden. Die PDS ist gut beraten, wenn sie für sich nicht in Anspruch nimmt, zu glauben, dass das, was in der Gesellschaft abläuft, in den eigenen Reihen nicht passieren würde, sondern dass sie genau in den eigenen Reihen, in der Wählerschaft, in der Öffentlichkeit alle Möglichkeiten nutzt, um aufzuklären, konkrete Initiativen zu unterstützen, sich politisch in Bündnisse einzubringen und nicht etwa irgendwie zu glauben, man hätte ein Teil für sich gepachtet, sondern wirklich auch trotz aller politischen Unterschiede danach zu suchen, dass eine Mehrheit gegen Rechtsextremismus aus der Mitte der Gesellschaft die Mehrheit der Gesellschaft dann letztendlich tragen kann. Dazu müssen wir beitragen. Und insofern sehe ich uns auch vor einer ganz großen Aufgabe, der wir uns zu stellen haben und wo wir überhaupt keinen Anlass haben, selbstgerecht zu urteilen, wie toll wir doch seien. Es gibt Umfragen, die halten uns den Spiegel vors Gesicht.

    Kleinschmid: Zum Schluss noch, Frau Zimmer, zwei etwas - ich sage mal - ,schräge' Fragen. Die eine geht so: Im Leitantrag zum Cottbusser Parteitag, den Sie ja mit unterzeichnet haben, da heißt es, dass die Partei den Bruch mit der undemokratischen Praxis der SED unumkehrbar gemacht hat. Könnten Sie sich vorstellen, zur künftigen Leiterin der Gauck-Behörde, zu Marianne Birther, und zur Behörde selbst, die sich ja mit Hinterlassenschaften der Stasi befasst, ein anderes Verhältnis zu haben?

    Zimmer: Ich komme ja aus Thüringen, habe dort meine speziellen politischen Erfahrungen bisher gesammelt. Wir haben dort versucht, den Dialog sowohl mit Opferverbänden, mit Opfervereinen, aber eben auch zum Beispiel mit dem Thüringer Landesbeauftragten für die Gauck-Behörde anzuschieben. Da sind erste Kontakte zustande gekommen. Also, insofern habe ich nicht mal die Befürchtung, dass nicht wir angenommen werden würden - immer in kritischer Auseinandersetzung zueinander. Also, das werden dann keine Liebeskontakte werden, um Gottes Willen. Aber ich denke schon, dass das möglich ist, und ich hätte da überhaupt erst einmal keine Berührungsängste, sich diesem Thema zu stellen und sich auch den Personen zu stellen.

    Kleinschmid: Ostdeutsche Frauen, Frau Zimmer, sind immer stärker im Kommen. Wenn Sie Mitte Oktober gewählt werden, dann stehen schon zwei Frauen an der Spitze zweier Bundestagsparteien - Frau Merkel und Sie, beide zumindest mit ähnlicher Sozialisation in der früheren DDR. Könnte das das Verhältnis zwischen Ihnen und zwischen den beiden Parteien auch verändern?

    Zimmer: Das wird sich zeigen. Ich habe Frau Merkel eigentlich aufgrund ihres Mutes bewundert, sich in dieser doch sehr durch alte Herren geprägte Partei, der CDU, da an die Spitze zu stellen, sich dort durchzubeißen. Ich werde natürlich auch beobachten, wie es ihr gelingt, diese Position zu behaupten. Und ich denke mal, manches an der Art und Weise von Auseinandersetzungen ist dann möglicherweise auch zwischen CDU und PDS gar nicht mal so allzu weit entfernt. Das ist ein Problem von Parteien selbst. Und wenn Sie darauf aufmerksam machen, dass dann zwei Frauen an der Spitze von Parteien stehen, dann möchte ich nur drauf hinweisen: Ich will nicht dazu beitragen, als Aushängeschild benutzt zu werden, auch nicht für die PDS, weil nämlich das Problem in der PDS und in anderen Parteien besteht, dass immer mehr Frauen sich zurückziehen, sich sowohl in der Gesellschaft zurückziehen als auch in den Parteien selbst. Das merken wir an ganz verschiedenen Dingen. Und wenn Frau Merkel dazu beiträgt, dass in ihrer Partei Frauen sich aktiv und stärker beteiligen und wir in unserer Partei, dann glaube ich nicht, dass sich dann politische Unterschiede verwischen werden. Aber vielleicht wird die politische Kultur eine andere. Das könnte ich mir schon vorstellen, und ich glaube, das wäre ein ungeheurer Gewinn für diese Bundesrepublik Deutschland.