
Bastian Brandau: Beobachter und Analysten rechnen seit Monaten damit, dass die US-Notenbank, die Fed, die Leitzinsen erhöhen würde. Viel sprach in ihren Augen dafür, unter anderem die robuste Konjunktur und die geringe Arbeitslosigkeit. Doch vor gut drei Stunden kam die Entscheidung, es wird nicht erhöht.
Über die Zinspolitik der Fed habe ich vor der Sendung mit Henrik Müller gesprochen. Er ist Volkswirt und Professor für Wirtschaftsjournalismus an der TU Dortmund. Ich habe ihn zuerst gefragt, ob die Fed in seinen Augen richtig entschieden hat.
Henrik Müller: Ob es die richtige Entscheidung ist, das wird man erst im Nachhinein beurteilen können. Interessant ist, dass die große Mehrheit der Fed Bordnumbers, die heute diese Entscheidung gefällt haben, nach wie vor der Meinung ist, dass es in diesem Jahr losgehen soll mit den Zinserhöhungen. Das hat die Fed heute so kommuniziert. 13 von 17 Mitgliedern des Governing Boards sind der Meinung, dass es dieses Jahr noch weiter überhaupt steigende Zinsen geben soll, und das wird dazu beitragen, dass die Unsicherheit aus den Märkten nicht herausgehen wird. Was die Fed damit gewonnen hat am Ende, das wissen die Governors am besten selbst.
"Inflation ist immer noch sehr niedrig"
Brandau: Das heißt, da wird immer wieder angeführt, dass die Bedingungen für eine Zinswende in den USA jetzt gegeben seien. Das Wirtschaftswachstum wird dort angeführt, eine geringe Arbeitslosigkeit. Aber das hat diesmal noch nicht gereicht?
Müller: Nein, das hat nicht gereicht. Wahrscheinlich war der entscheidende Punkt, dass die Inflationsraten im Moment tatsächlich sehr niedrig sind. Die liegen ja nur ganz knapp über null Prozent. Das liegt aber vor allem daran, dass der Ölpreis so niedrig ist. Diese sogenannte Headline-Inflation, die Steigerungsrate der Verbraucherpreise ist sehr stark zurückgegangen zuletzt. Was aber nicht zurückgegangen ist und was auch vollkommen eigentlich im Erwartungshorizont der Fed liegt, ist die Kerninflationsrate, also die Preissteigerungsrate, die sich ergibt, wenn man diese kurzfristig schwankenden Faktoren, insbesondere die Energie herausrechnet. Es hat sich nicht wirklich viel getan und auch in früheren Zeiten, wenn die Inflationsraten sehr niedrig waren, hatten wir nie Nullzins. Wir hatten auch in den 80er-Jahren Zeiten in Deutschland, wo wir mal kurzzeitig negative Inflationsraten hatten. Da waren die Zinsen nie unter zwei Prozent.
Brandau: Also halten Sie auch nichts von der These, die es ja auch gibt, dass wir auf Dauer ewigen Nullzins haben werden, dass es nie wieder eine wirkliche Zinssteigerung geben wird?
"Der große Unterschied ist die Überschuldung"
Müller: Na ja. Nie und auf Dauer sind natürlich sehr langfristige Sichtweisen. Was wir tatsächlich haben - und das ist der große Unterschied zur Zeit früher, zu den 80er-Jahren, zu den 90er-Jahren -, sind inzwischen sehr, sehr hohe Schulden, und zwar nicht nur in den USA, da sogar relativ wenig, sondern natürlich in vielen europäischen Ländern, aber inzwischen auch in Ländern wie China. Weltweit haben sich die Verschuldungsgrade gerade über die 2000er-Jahre enorm gesteigert, und das macht Volkswirtschaften natürlich sehr anfällig für jede Art von Zinssteigerung. Solange die Schulden so hoch sind - die Weltwirtschaft insgesamt, ist mit dem unglaublichen Betrag von 200 Billionen Dollar verschuldet; das sind Staatsschulden, aber auch private Schulden von Unternehmen und privaten Haushalten und Finanzinstituten -, solange die Schulden so hoch sind, kann man tatsächlich damit rechnen, dass die Zinsen nicht nachhaltig steigen werden, weil wir einfach sonst mit vielen Pleiten zu tun haben, mit Staatspleiten, aber auch mit den Pleiten von privaten Wirtschaftsunternehmern, insbesondere auch von Unternehmen.
Brandau: Und wie könnte dieses Schuldenproblem angegangen werden?
Müller: Typischerweise geht man das an, indem man Inflation schafft und damit über die Zeit die hohe Verschuldung abbaut. So war es nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Staatsverschuldung sehr hoch war in Ländern wie den USA und Großbritannien. Da gab es dann über doch eine ganze Reihe von Jahren, eigentlich über zwei Jahrzehnte nicht nur relativ hohe Inflationsraten, sondern auch ein sehr solides Wirtschaftswachstum, und so baut man dann über die Zeit Schulden ab. Davon ist aber im Moment nichts zu sehen und das war ja die Hoffnung, als man die Zinsen so weit gesenkt hat, dass man die Wirtschaft wieder zum Laufen kriegt, dass man auch die Inflation jedenfalls auf moderaten Niveaus wieder zum Laufen kriegt, sodass sich die Schulden dann über die Zeit abbauen. Davon sehen wir aber im Moment weltweit nichts und solange diese Konstellation so ist, werden wir weiterhin mit sehr niedrigen Zinsen auch leben müssen.
"Jede Leitzinsänderung bringt Wechselkurse ins Schwanken"
Brandau: Weltweit ist ein gutes Stichwort, denn die Frage ist ja auch: Können nationale Notenbanken wie die Fed heute überhaupt noch national reagieren, oder spielt da immer das Internationale mit rein?
Müller: Es ist eigentlich eine absurde Situation, in der sich gerade auch die Fed befindet als die Notenbank, die ja die wichtigste Weltwährung steuert. Sie ist per Gesetz nur darauf verpflichtet, die Wirtschaft in den USA im Blick zu haben, die Beschäftigung hochzuhalten und die Preissteigerungsraten im Rahmen. Tatsächlich ist sie aber inzwischen so eine Art Weltnotenbank geworden und das, was jetzt diese Entscheidung natürlich vor allem getrieben hat, ist die Unsicherheit gerade über Märkte wie China, wo wir ja in den letzten Wochen einen Börsen-Crash erlebt haben und wo die Unsicherheiten über den weiteren Fortgang der wirtschaftlichen Entwicklung sehr groß sind. Es sind neuneinhalb Billionen Dollar gerade in den Schwellenländern an Unternehmen verliehen worden in Dollar, sodass jede Leitzinsänderung in den USA die Wechselkurse ins Schwanken bringt und dann auch diese Schulden aus Sicht der Schuldner in den Schwellenländern noch mal erhöht. Die Fed ist in der Situation, dass sie eigentlich fast die ganze Welt im Blick haben muss, und damit ist eine solche Institution eigentlich überfordert.
Brandau: … sagt Henrik Müller, Volkswirt und Professor für wirtschaftspolitischen Journalismus an der Technischen Universität Dortmund. Das Gespräch mit ihm haben wir vor der Sendung aufgezeichnet.
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