"In Syrien haben die Menschen im Moment andere Sorgen und Probleme, als Versöhnung mit den Gewalttätern. Im Moment geht es in Syrien ums Überleben", sagt Martin Vehrenberg. Sein Kollege Jochen Neumann sieht das anders: "Es gibt auch in einer Situation, wie sie derzeit in Syrien herrscht, Unterstützungsmöglichkeiten. Das ist vielleicht nicht im Rahmen des Zivilen Friedensdienstes, weil die Bundesregierung dafür kein Geld geben würde, weil ihr das zu heiß ist. Aber wir sind ja zivilgesellschaftliche Organisationen, die nicht nur an das Programm des zivilen Friedensdienstes gebunden sind."
Friedenseinsätze kein naiver Traum
Beide arbeiten für Organisationen des Zivilen Friedensdienstes – ein Programm für Friedensförderung in Krisen- und Konfliktregionen, das 1999 ins Leben gerufen wurde. Neun Friedens- und Entwicklungsorganisationen sind die Träger des Zivilen Friedensdienstes, der von der Bundesregierung gefördert wird.
Martin Vehreberg ist für die katholische Arbeitsgemeinschaft für Entwicklungshilfe tätig, Jochen Neumann ist Geschäftsführer der Kurve Wustrow, der Bildungs- und Begegnungsstätte für gewaltfreie Aktion aus dem Wendland. Zum Friedendienst gehören zudem unter anderem das evangelische Hilfswerk Brot für die Welt, der internationale Christliche Friedensdienst Eirene, aber auch die staatliche Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, GIZ, und die Kurve Wustrow.
Während für die Syrer ein Leben ohne Angst in weiter Ferne scheint, erinnert Wiebke Hansen daran, dass Frieden kein naiver Traum ist.
"Ein besonders gelungenes Beispiel für einen Friedenseinsatz ist die Mission im westafrikanischen Sierra Leone."
Wiebke Hansen ist die Leiterin Analyse im ZIF, im Zentrum für Internationale Friedenseinsätze, einer Einrichtung der Bundesregierung.
"Man hatte lange das Gefühl, das könnte einer der größten Misserfolge der UNO werden und über einen langen Zeitraum hinweg ist hier ein Prozess entstanden, der letztlich dazu geführt hat, dass UNO-Truppen abziehen konnten."
"Das ist frustrierend"
Ein Bürgerkrieg, der ein Jahrzehnt lang dauerte und in dem Zehntausende starben, konnte in ein friedliches Miteinander transformiert werden. Aber Wiebke Hansen kennt auch die andere Seite. Sie war Assistentin des Leiters der UN-Mission im Sudan und maßgeblich daran beteiligt, dass die Unabhängigkeit des Südsudans 2011 in die Wege geleitet wurde. Doch nach dem Aufbrechen erneuter Konflikte seit 2013 gilt der Südsudan als gescheiterter Staat:
"Das ist frustrierend. Es bricht einem das Herz. Gleichzeitig ist es auch ein Zeichen, über wie lange Zeiträume man auch investieren muss in diese Länder, um eben Nachhaltigkeit zu erzeugen."
Um Nachhaltigkeit geht es auch in Kolumbien. Hier engagiert sich unter anderem die katholische Arbeitsgemeinschaft für Entwicklungshilfe mit zahlreichen Projekten. Deren Geschäftsführer ist Martin Vehrenberg. Er betont, dass in Kolumbien nach dem Friedensvertrag mit der einstigen Guerillaorganisation Farc die Probleme noch lange nicht gelöst seien:
"Ein Beispiel ist, dass wir in Kolumbien die paradoxe Entwicklung haben, dass wir nach dem Friedensvertrag einen Anstieg der Übergriffe gegen Menschenrechtsaktivisten haben und dass plötzlich Räume frei werden, dadurch dass die Farc entwaffnet wurde, die von anderen Gruppierungen genutzt werden, von kriminellen Banden, von einer anderen Guerilla-Bewegung und so weiter."
"Das Risiko ist deutlich gewachsen"
Wenn Konflikte wie in Syrien oder in der Ukraine noch virulent sind, dann blicken Friedensarbeiterinnen wie Wiebke Hansen vom Zentrum für internationale Friedenseinsätze schon in die Zukunft:
"Wenn Sie sich anschauen, dass einer der größten Risikofaktoren für einen Konflikt ein vorheriger Konflikt ist, dass die Rückfallquote von Ländern, die sich in einem Bürgerkrieg befunden haben, sehr hoch ist, dann muss man sagen, dass das peacebuilding, dass die Wiederaufbauarbeit, die Begleitung von Friedensprozessen in diesen Ländern, dass das auch Krisenprävention ist."
Mittlerweile arbeiten mehr als 300 Fachkräfte des Zivilen Friedensdienstes in 43 Ländern. Doch deren Arbeit wird immer schwieriger, sagt die Politikwissenschaftlerin.
"Ein Trend, den wir in den letzten Jahren beobachten, ist, dass die Einsätze auch für Zivilisten immer gefährlicher werden, gerade dadurch, dass es eine Vielzahl von nicht-staatlichen Gewaltakteuren gibt, und dadurch ist das Risiko deutlich gewachsen."
Die Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz der zivilen Kräfte mussten in den vergangenen Jahren ausgeweitet werden, aber sie erschweren zugleich die Arbeit der Berater am Ort. So werden auch die Kontakte zur einheimischen Bevölkerung schwieriger. Gewaltfreie Organisationen wie die Kurve Wustrow lehnen eine Kooperation mit Sicherheitskräften ohnehin ab.
"Diese Länder wie Afghanistan, da wäre das Bedingung gewesen, da hätten wir keinen guten Zugang gefunden ohne Zusammenarbeit mit der Bundeswehr, das lehnen wir ab. Wir sind pazifistisch eingestellt. Unserem Verständnis nach hilft das in den Konflikten nicht weiter, und wenn wir auch nur aus praktischen Gründen zu eng zusammenarbeiten würden, dann würden wir auch unsere Glaubwürdigkeit verlieren."
Die Räume werden kleiner
Ein anderes Problem, mit dem alle Gruppen immer öfter zu kämpfen haben, ist die Einschränkung der Bewegungsfreiheit – wie zum Beispiel in Russland oder der Türkei, sagt der Katholik Martin Vehrenberg:
"Wir erleben, dass der Raum, sich für sozial- und gesellschaftspolitische Veränderungsprozesse zu engagieren, immer geringer wird. Wir sprechen da von den shrinking spaces, das ist eines der zentralen Themen, die diskutiert werden, weil es uns und den Partnerorganisationen die Möglichkeit nimmt, Friedensprozesse zu unterstützen und zu betreiben."
Die internationale Arbeit der Friedens- und Entwicklungsorganisationen geschieht meist im Stillen fernab der Medien. Doch wenn man bedenkt, dass nur rund ein Promille der weltweiten Militärausgaben in die Arbeit der Friedensdienste fließt, kann man erahnen, welches Potential hier noch zur Verfügung steht.