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Zölibat
Gott liebt die Enthaltsamen - angeblich

Katholische Priester verpflichten sich zu Keuschheit und Ehelosigkeit. Dieses Versprechen wird beharrlich kritisiert - und ebenso beharrlich verteidigt. In den Begründungen des Zölibats erweist sich die Kirche als erfinderisch.

Von Mechthild Klein | 18.03.2020
Ein Keuschheitsgürtel, fotografiert vor schwarzem Hintergrund
Das Ideal der Keuschheit. Gott liebt die Enthaltsamen. (Laia Abril / Galerie Les filles du calvaire)
"Wir Priester und Leviten werden allesamt durch das unauflösliche Gesetz dieser Strafbestimmungen verpflichtet, dass wir vom Tag unserer Ordination an unsere Herzen und Körper der Enthaltsamkeit und Keuschheit hingeben, wenn wir in allem unserem Gott bei den Opfern gefallen, die wir täglich darbringen." (HW, Zölibat, S. 20)
Das verkündete Papst Siricius im Jahre 385. Bis es verbindlich wurde, dauert es noch einige Jahrhunderte. Meistens wird die Zölibatspflicht auf das Jahr 1139 datiert, dem Jahr des Zweiten Laterankonzils. Kirchenhistoriker wie Hubert Wolf arbeiten hingegen heraus, dass Ehe und Priesterweihe erst 1917 mit dem ersten kirchrechtlichen Codex, dem CIC, definitiv unvereinbar wurden.
Das Ideal der Keuschheit. Gott liebt die Enthaltsamen. Ein Feature von Mechthild Klein
Die Begründungen für den Zölibat änderten sich im Laufe der Jahrhunderte. Zunächst spielte die Sorge ums Erbe eine Rolle, dann gewannen theologische Begründungen an Gewicht. Zwei Gedanken sind zentral. Zum einen: Jesus habe zölibatär gelebt. Und zum anderen: Priester müssten nicht nur ehelos leben, sondern auf jegliche Sexualität verzichten, damit sie kultisch so rein werden wie die Engel im Himmel.
"Diese Vorstellung ist ursprünglich dem Christentum fremd"
"Diese Vorstellung, die im Alten Testament und auch außerhalb des Christentums in der heidnischen Antike verankert war, dass sexueller Umgang mit der kultischen Reinheit des betreffenden Priesters widerspricht, das hat sich über die Jahrhunderte immer stärker auch in der katholischen Kirche durchgesetzt, obwohl das ursprünglich dem Christentum fremd ist", sagt der Freiburger Moraltheologe Eberhard Schockenhoff.
Eberhard Schockenhoff, Theologe und Mitglied im Deutschen Ethikrat.
Eberhard Schockenhoff, Theologe und Mitglied im Deutschen Ethikrat. (picture alliance / dpa / Uli Deck)
In der ersten Generation der christlichen Gemeindegründungen gab es kein Verbot der Heirat für Gemeindeälteste bzw. Presbyter. Es gab auch keine generelle Geringschätzung der Sexualität. Die Jünger Jesu waren schließlich auch verheiratet. Die Frage ist, wie stand Jesus zur Keuschheit oder sexuellen Enthaltsamkeit? Und mit welcher Intention haben das die Überlieferungen festgehalten?
"Wir kriegen Jesus im Grunde immer nur indirekt mit aus einer Geschichte des geglaubten Gottes, aus einer Geschichte des überlieferten Jesus. Er hat asketisch gelebt in dem Sinne, dass er ein Übender war. Er hat sich in die Wüste zurückgezogen. Er hat sich mit sich selber konfrontiert. Er hat sich immer wieder neu versucht, auch in der Stille auf die Menschen einzustellen. Er hat immer wieder versucht, freundlich und zugewandt auf die Menschen zuzugehen", sagt Kirchenhistoriker und Theologe Hubertus Lutterbach von der Universität Duisburg-Essen.
In der spätantiken Zeit gab es eine Askese des Einübens und Jesus übte sich auf die Gottes- und Nächstenliebe ein.
"Jesus war aber kein Asket insofern, als dass er also der sexuellen Enthaltsamkeit eine bedeutende Rolle zugesprochen hätte oder dass er gar seine eigene, sein eigenes sexuell enthaltsames Leben - oder jedenfalls nicht verheiratetes Leben - so hoch gehängt hätte, dass er darüber irgendwie gesprochen hätte. Er war auch kein Asket insofern, als dass er sich als Fleisch-Verzichter als Vegetarier präsentiert hätte. Und er war auch keiner, von denen man sagen könnte, er sei nun per se ein Weinverächter gewesen. Er hat ja sogar Wasser in Wein verwandelt."
"Den Zölibat hat die Kirche im Lauf der Jahrhunderte geschaffen" / "Das gehört nicht zum Wesen des Priestertums"
Es gibt eine Stelle in der Bibel, im Matthäusevangelium 19, die immer wieder von Zölibatsanhängern als Beleg dafür angeführt wird, dass Jesus die Ehelosigkeit besonders gewürdigt habe. Da lehnt es Jesus nämlich ab, dass Männer sich von ihren Frauen scheiden lassen, damit sie eine andere heiraten können. Sofern die Gattin keinen Ehebruch begangen habe. Seine Jünger waren um IHRE sexuelle Freiheit besorgt, immerhin war die Scheidung eine akzeptierte Praxis. Sie fragen, ob es folglich besser sei, erst gar nicht zu heiraten.
"Jesus sagte zu ihnen: Nicht alle können dieses Wort erfassen, sondern nur die, denen es gegeben ist. Denn manche sind von Geburt an zur Ehe unfähig, manche sind von den Menschen dazu gemacht und manche haben sich selbst dazu gemacht - um des Himmelreiches willen. Wer es erfassen kann, der erfasse es." (Mt 19,11f)
"In der heutigen Bibelwissenschaft, in der Exegese wird dieses rätselhafte Wort Jesu im Allgemeinen als Legitimationswort verstanden, mit dem er seine eigene Lebensweise rechtfertigen möchte. Als ein prophetisches Zeichen seiner Hoffnung auf das Reich Gottes. Und darin halte ich auch für eine theologisch sinnvolle, auch geistig spirituell sinnvolle Begründung dieser Lebensweise. Aber da ist natürlich nichts damit ausgesagt, dass das eine für Kleriker, für Priester verpflichtende Lebensweise sein müsste. Dieses Junktim hat die Kirche später im Lauf der Jahrhunderte geschaffen. Das gehört aber nicht zum Wesen des Priestertums. Daran hält das Zweite Vatikanische Konzil ausdrücklich fest", sagt Eberhard Schockenhoff.
Enthaltsamkeit als nachträgliche Deutung
"Man muss sehr deutlich unterscheiden zwischen dem, was das Neue Testament sagt, und dem, was spätere Leserinnen und Leser, Theologinnen und Theologen daraus gemacht haben. Aus ihrem natürlich jeweils je eigenen Deutungshorizont. Und tatsächlich ist das so, dass man aus mancher neutestamentlichen Stelle aber ursprünglich gar nichts Asketisches im Sinne von Enthaltsamkeit ins Wort gebracht hat, dass man das später daraus abgeleitet hat. So hat man unter anderem daraus das Zölibat abgeleitet."
Nach dem Kirchenhistoriker Hubertus Lutterbach geht es in dem Jesuswort zur Ehe um die Vielgestaltigkeit von Begabungen. Es geht um die Charismen, die in den frühen Christengemeinden eine Rolle gespielt haben. Die Diskussion über die Ehescheidung wird vom Apostel Paulus in den frühen Gemeinden wieder thematisiert. Aber Jesus habe die Ehelosigkeit nicht gepredigt. Er sei nicht verheiratet gewesen, weil das mit seiner Wander-Existenz nur schwer zu vereinbaren gewesen wäre, deutet der Moraltheologe Eberhard Schockenhoff.
"Paulus fordert auch in seiner Gemeindeordnung, dass ein Bischof, ein Presbyter, mit einer Frau verheiratet sei", sagt Schockenhoff. "Nur wenn die erste Frau gestorben ist, dann darf ein Bischof nicht wieder heiraten. Da ist bei Paulus aber nicht eine grundsätzliche Abwertung des Sexuellen, sondern das hat zu tun mit seiner Vorstellung, die damals viele teilten, dass noch zu seinen Lebzeiten die Wiederkunft Christi stattfinden werde. Und das relativiert dann alle Lebenspläne, die auf Dauer angelegt sind."
Asketische Kontexte / Origenes entmannt sich
Die geistlichen Strömungen um das junge Christentum waren asketisch. Die Gnosis und der Manichäismus lehnten alles Körperliche ab, die materielle Schöpfung, die ohnehin von Satan regiert sei. Die grundsätzliche Abwertung des Sexuellen bildete sich im Christentum erst später aus und wanderte laut Schockenhoff dann auch in die Theologie der Kirchenväter ein.
Missverständnisse über den wahren Glauben und die richtige Nachfolge Jesu - das gab es immer wieder in der Kirchengeschichte. Kirchenlehrer Origenes etwa suchte in seinem Glaubenseifer als junger Mann das Martyrium und entmannte sich selbst. Selbst-Kastration aus Liebe zu Gott – das gab es in vielen Kulten der Spätantike. Diese Tat leitete Origenes aus diesem Gleichnis Jesu ab, dass manche sich selbst eheunfähig gemacht hätten.
Darstellung des Kirchenvaters Origenes (Jan Luyken)
Kirchenlehrer Origenes (imago images / Artokoloro / Quint Lo)
"Das ist tatsächlich richtig, denn er hat in einer späteren Schrift darauf Bezug genommen und hat das als einen schweren Fehler bezeichnet, dass er diese Stelle wörtlich aufgefasst habe", sagt Schockenhoff. "Aber man darf das natürlich nicht nur an dieser verunglückten Praxis des Origenes festmachen. Im Urchristentum hat sich auf breiter Front die pessimistische Anthropologie der griechischen Philosophie, vor allem des Platon, durchgesetzt oder auch gnostisch-manichäischer Strömungen. Das heißt, der Leib wurde nicht mehr als das Organ der Seele angesehen, sondern bei Platon gibt es das Wortspiel "Soma selma" als ihr Grab. Er wurde also abgewertet als Sitz des Bösen, der bösen, schlechten Begierden. Und das brachte natürlich eine entsprechende Abwertung der ganzen Sphäre des Sexuellen mit sich."
Auf der Synode von Elvira wurde bereits um das Jahr 300 angeordnet, dass Kleriker vor ihrem liturgischen Dienst keinen Sex mit ihren Gattinnen haben durften. Unklar ist bis heute, ob damit schon die Verpflichtung zu absoluter Enthaltsamkeit gemeint war oder nur die Abstinenz in den Tagen vor der Eucharistiefeier, dem sakral aufgeladenen Abendmahl.
"Aber als sich dann später der Trend zur täglichen Zelebration durchsetzte, war klar, dass damit auch mehr und mehr die Forderung nach einer absoluten Enthaltsamkeit der Kleriker verbunden war. Und das ist eine Vorstellung, die nicht neutestamentlicher Herkunft ist. Jesus hat keinen asketischen Rigorismus vertreten", sagt Schockenhoff.
Je mehr Verzicht, desto mehr göttliche Kraft
Sexualität wird in der Christentumsgeschichte später als so negativ behaftet gesehen, dass auch die Laien davon betroffen waren. Ehepartner durften sich nur noch der körperlichen Liebe erfreuen, wenn sie Nachwuchs zeugen wollten. Die Lustfeindlichkeit setzte sich mit den Wüstenvätern fort, die ab dem 3. Jahrhundert als Eremiten in die Wüste zogen. Auch in den neu gegründeten Mönchsbewegungen wird die Hochachtung vor Askese und Kasteiung eingeschärft.
Die neutestamentliche Grundhaltung, dass das Leben ein Geschenk von Gott sei, gerät immer mehr in den Hintergrund zugunsten einer Leistungsaskese, die betont, dass der Mensch sündig und unrein sei.
Hubertus Lutterbach ist Professor für Christentums- und Kulturgeschichte an der Universität Duisburg-Essen.
Hubertus Lutterbach ist Professor für Christentums- und Kulturgeschichte an der Universität Duisburg-Essen. (privat)
"Im Grunde vollzieht sich ein Paradigmenwechsel von ‚Ich lasse mich beschenken‘ hin zu ‚Ich leiste‘. Und das Leisten das vollzieht sich in unterschiedlichen Bereichen. Und es geht erst einmal darum, mit möglichst viel Leistung möglichst viel göttliche Kraft zu erwirken. Das ist im Grunde die Idee. Wenn ich viel rein gebe, kriege ich auch viel raus. Das sogenannte Do-ut-des-Prinzip", sagt Hubertus Lutterbach.
Das Do-ut-des Prinzip – Ich gebe, damit du gibst. Die Asketen verzichten auf Nahrung oder auf Schlaf. Manche stehen den ganzen Tag über, andere lassen sich sogar einmauern. Am höchsten aber wird die Enthaltsamkeit von der Sexualität bewertet.
Hochleistungsverzicht als Lebensentwurf
"Und je mehr ich hineingebe, je mehr Verzicht ich hineingebe, umso mehr Wunderkraft kann ich am Ende als Asket entweder als Asket in der Wüste oder auch als Mönch in einem Kloster erreichen. Die ich dann nach eigenem Gutdünken für die für die sozialen Mangelsituationen in meinem Umfeld einsetzen kann, indem ich damit Wunder wirken kann. Das war die Zielperspektive. Das ist im Grunde ein Lebensentwurf, ein asketischer Lebensentwurf, ein Hochleistungsverzichts-Lebensentwurf, der das Frühmittelalter auf jeden Fall, aber auch weite Teile des Hochmittelalters geprägt hat."
In den mittelalterlichen Buß-Büchern ist vermerkt, zu welchen Verboten diese leibfeindliche Sicht führte. Und die Beichtväter fragten sehr genau nach. So durfte ein Mönch sich nicht unbeaufsichtigt waschen, weil er sich ja kultisch verunreinigten könnte. Auch Eheleute durften nicht gemeinsam baden. Es gab praktisch keinen Bereich, der nicht reglementiert und kontrolliert wurde – als Aufseher verstand sich die Geistlichkeit.
Die sündigen Laien
Mit der Abwertung der Sexualität allgemein gibt es auch eine Abwertung der Laien, der Nicht-Kleriker im Katholizismus. Denn sie vermehren sich in Sünde.
"Man muss es deutlich sagen. Das Ideal, das frühmittelalterliche Ideal, bestand darin, ein Leben ohne Sexualität zu führen. Es gab keine Möglichkeit, unter diesem, unter diesem Verstehenshorizont so etwas wie Ehe am Ende wirklich positiv zu werten. Es wird auch in den Quellen immer wieder von "peccatum", von Schuld und Sünde gesprochen, im Blick auf Ehe", sagt Hubertus Lutterbach.
Was eine Hochschätzung der Askese zur Folge hatte, als Allheilmittel. Die ersten Jahrhunderte der Christentumsgeschichte waren davon geprägt. Der Kirchenvater Augustinus – gestorben 420 im heutigen Algerien - hatte eine Schlüsselstellung inne.
Skulptur des Heiligen Augustinus am evangelischen Augustinerkloster in Erfurt in Thüringen
Skulptur des Kirchenvaters Augustinus am evangelischen Augustinerkloster in Erfurt (dpa / picture alliance / Rainer Oettel)
"Augustinus hat ein sehr pessimistisches Bild der Sexualität. Das hängt auch mit seiner Erbsünden-Theologie zusammen. Weil er der Auffassung ist, dass die Erbsünde weitergegeben wird. Auf dem Wege der sexuellen Zeugung, der Fortpflanzung und sich dadurch über das ganze Menschengeschlecht verbreitet. Und das ist für ihn das Einfallstor der Sünde", so Schockenhoff.
Sexualität als Einfallstor der Sünde. Diese Vorstellung hat sich im Mittelalter weiter ausgebreitet. Ein Entkommen aus dieser lebensverneinenden Weltanschauung gab es kaum und Freigeister lebten gefährlich. Hinter der massiven Abwertung der menschlichen Natur und Fortpflanzung steht die Idee der kultischen Reinheit, sagt Hubertus Lutterbach:
"Die Vorstellung der kultischen Reinheit ist eine sehr urtümliche Vorstellung von Reinheit. Sie geht davon aus, dass der Kontakt mit Sexualität auch mit Körperstoffen verunreinigt. Das ist etwas ganz anderes als das, was Jesus vertreten hat. Und auch das, was die Propheten vertreten haben die alt-israelitischen Propheten, in deren Spur Jesus sich immer verstanden hat. Nämlich eine ethisch gesinnungsorientierte Reinheit. So sagt es das Evangelium, es hängt nicht davon ab, was in den Menschen hineinkommt, also was ich, was ich vielleicht an Speisen zu mir nehme, sondern hängt davon ab, was aus dem Herzen herauskommt."
Die unreine Frau / Wenn Sex, dann ohne Lustempfinden
Die äußeren Reinheitsregeln im christlichen Mittelalter gleichen einer Sexualneurose und bestimmen die vorherrschende Moral. Der Kontakt mit Sexualsekreten befleckt den Menschen. Die unwillkürliche nächtliche Ejakulation gilt als sündig. Besonders hart trifft die Verurteilung die Frauen, sie gelten bald schon per se als unrein. Während der Menstruation wird die Frau vom Abendmahl, der Eucharistie ausgeschlossen, manchmal sogar vom Kirchgang. Nach der Geburt eines Kindes muss sie erst eingesegnet werden, um wieder kultisch rein zu werden. Eine Praxis, die bis in die 1960er-Jahre in der katholischen Kirche ausgeübt wurde. Nur als Jungfrau wird sie akzeptiert oder als Ehefrau zum Kinderkriegen.
Die Verwirklichung des Ideals der kultischen Reinheit wirkte wie ein Keil. Sie trennte Priester und Mönche von den Laien, den einfachen Gemeindemitgliedern. Und der Klerus stand aufgrund seiner kultischen Reinheit hoch oben, über den Gemeindemitgliedern.
So stritt die Geistlichkeit im Mittelalter darüber, ob Ehefrau oder -mann im sexuellen Verkehr Lust empfinden dürften. Eines war klar: Wenn Sex, dann am besten ohne Lustempfinden, das galt als weniger sündig. Man erfand einen Terminus für die keusche Liebe in der Ehe - die hieß "reservierte Umarmung" und stand für Sex ohne Lust.
Übrigens auch Empfängnisverhütung galt als schwere Sünde, einschließlich der Praxis des coitus interruptus – sogar bis ins 20. Jahrhundert. Die mittelalterliche Literatur des Klerus ist voller Empfehlungen und Verurteilungen wie Sexualverkehr zu bewerten sei. Frauenverachtung inklusive.
Veränderung mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil?
Mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil von 1962 bis 1965 hat sich einiges gewandelt in der römisch-katholischen Kirche, nicht nur in der Liturgie und Religionsfreiheit. Im Vatikanum II stellte man fest, dass der Zölibat nicht "zum Wesen des Priestertums" gehört und daher jederzeit aufgehoben werden könne. Der Theologe Eberhard Schockenhoff dazu:
"Dass der Zölibat eine gesetzliche Verpflichtung ist, die die Kirche ohne Schaden für die Verkündigung, vielleicht sogar mit einem Zugewinn an Glaubwürdigkeit für die Verkündigung auch wieder revidieren könnte. Das ist heute allgemeiner Konsens."
Die feierliche Abschlusssitzung der dritten Arbeitsperiode des Zweiten Vatikanischen Konzils am 21.11.1964 im Petersdom. Das Konzil, welches zur Öffnung und Erneuerung der Kirche beitragen sollte, endete im Dezember 1965.
Die feierliche Abschlusssitzung der dritten Arbeitsperiode des Zweiten Vatikanischen Konzils am 21.11.1964 im Petersdom. (picture alliance / ANSA)
Konsens unter der Mehrheit der Theologen nützt jedoch nichts, wenn Päpste das anders sehen. Paul VI. pries den Zölibat, auch Johannes Paul II. Und der frühere Papst Benedikt XVI. schreibt in einem jüngst erschienen Aufsatz über das priesterliche Leben:
"Und dazu gehört eben dann auch dieses wirklich mit der Ganzheit des Seins für den Herrn zur Verfügung zu sein und so ganz für die Menschen zur Verfügung zu sein. Ich denke, der Zölibat ist ein fundamentaler Ausdruck dieser Totalität, schon dadurch ein großes Rufzeichen in dieser Welt, weil er nur Sinn hat, wenn wir wirklich an das ewige Leben glauben und daran, dass Gott uns beansprucht und wir für Ihn da sein können."
"Wir müssen diese Tradition aufarbeiten"
Sein Nachfolger, Papst Franziskus, enttäuschte mit seinem Schreiben zum Geliebten Amazonien alle, die eine Lockerung des Zölibats erwartet hatten. Kann Askese oder Eheverzicht den Menschen heiligen oder näher zu Gott bringen? Eberhard Schockenhoff ist selbst Priester.
"Das wäre aber ein verkehrtes Verständnis. Das Heil kann sich niemand verdienen, weder durch Enthaltsamkeit noch durch andere Art von asketischer Praxis. Das sagt ja Paulus auch, dass wir von Gott unverdient aus Gnade gerechtfertigt sind. Und das bestimmt auch die Verkündigung Jesu. Also einen solchen religiösen Leistungssport nenne ich es jetzt einmal - das hat im Christentum keinen Platz", sagt Schockenhoff.
Was macht man mit einer Tradition, die das ganze Mittelalter über bis in die Neuzeit immer wieder Sexualität abwertete und besonders auf die Frauen herabschaute, die als unrein galten?
"Wenn die Frau über 1.500 Jahre hinweg in der christlichen Tradition als ‚persona impura‘ gewertet worden ist, dann muss man sich natürlich fragen: Was ist denn von diesem Verdikt übriggeblieben? Sind wir da wirklich am Ende dieser Negativbewertung? Und wenn wir am Ende dieser Negativbewertung sind, dann müssen wir, finde ich, auch diese Tradition aufarbeiten", sagt Lutterbach. "Denn das ist keine unschuldige Tradition, sondern eine Tradition, wo sich Christen und Christinnen nun, musste man im Rückblick heute sagen, schuldig gemacht haben an der Tradition Jesu."