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Zoff ums Hirn
Mediator soll Konflikte um Human Brain Project schlichten

Noch nicht einmal ein Jahr nach dem Start muss sich das Human Brain Project schon grundlegend in Frage stellen lassen, es geht um viel Geld. Namhafte Neurowissenschaftler forderten spürbare Änderungen. Die Kommission, die das Projekt mit 650 Millionen Euro auf zehn Jahre verteilt finanziert, hat einen Mediator eingeschaltet.

Von Katrin Zöfel |
    Eine ordentliche Summe Geld in die Hand nehmen, in einzelne wissenschaftliche Großprojekte stecken, und damit ihre langfristige Finanzierung sichern – das war Anfang 2013 das erklärte Ziel, als die EU-Kommission zwei von 21 Bewerbern zu Flaggschiffen der europäischen Wissenschaft erklärte: das Graphen-Projekt und das Human Brain Projekt. Doch während das Erste vergleichsweise geräuschlos arbeitet, sorgt das Zweite für Ärger.
    "Die Projektinitiatoren sagen, dass sie bis 2023 eine vollständige Computer-Simulation des menschlichen Gehirns liefern wollen. Das ist einfach unrealistisch."
    Alexandre Pouget, Neurowissenschaftler an der Universität Genf hatte mit Kollegen zusammen im Juli einen offenen Brief an die EU-Kommission initiiert. Ihre Kritik ist scharf. Die Projektziele seien unklar definiert, oder gar nicht erreichbar. Die Projektleitung fälle einsame Entscheidungen und kommuniziere schlecht bis gar nicht. Am Schluss des Briefes heißt es, die Unterzeichner würden sich, wenn sich nichts ändert, nicht an weiteren Ausschreibungen des Projekts beteiligen. Ein Boykottaufruf, den inzwischen mehr als 600 Wissenschaftler unterschrieben haben.
    Und damit nicht genug. Diese Woche hat das Human Brain Project zur Tagung nach Heidelberg eingeladen. Eigentlich wollten die Wissenschaftler ihre Ergebnisse und Pläne für die Zukunft besprechen, doch das Thema Kritik schiebt sich in den Vordergrund. Karlheinz Meier, der als Physiker von der Universität Heidelberg neben Henry Markram und Richard Frackowiak das Human Brain Project leitet:
    "Vielleicht haben wir nicht genug gemacht, um die Community zu überzeugen. Das müssen wir jetzt nachholen. Man kann so was nicht machen, mit einem großen Teil der klassischen neurowissenschaftlichen Community als erklärtem Gegner, das macht keinen Sinn."
    Andere Töne als noch vor wenigen Wochen
    Das sind andere Töne als noch vor wenigen Wochen oder Monaten. Im Mai war der Konflikt eskaliert, als die Leiter des HBP für die Begutachtung bei der EU-Kommission ein überarbeitetes Konzept einreichten. Darin waren sämtliche Bereiche, die sich mit kognitiven Neurowissenschaften beschäftigen, in sogenannte Partner-Projekte ausgelagert worden, was sie in puncto Finanzierung schlechter stellt, als die Projekte im sogenannten Core. Alex Pouget:
    "An diesem Punkt hatten wir das Gefühl, wir müssen reagieren und die Öffentlichkeit, unsere Kollegen und die EU-Kommission darauf aufmerksam machen, dass da 500 Millionen Euro in ein Projekt gepumpt werden, das von der großen Mehrheit der europäischen Neurowissenschaftler nicht gut geheißen wird."
    Die Reaktion von Vertretern des Human Brain Projects auf diese Vorwürfe klang bisher eher nach Beschwichtigen oder nach: "Ihr habt uns nur noch nicht verstanden". Jetzt allerdings stehen die Zeichen auf Kompromisssuche. Nicht zuletzt, weil die EU-Kommission vor zwei Wochen das überarbeitete Projektkonzept evaluiert hat. Die Noten der EU-Kommission für die wissenschaftliche Qualität fielen zwar sehr gut aus, aber im Bereich governance, also für die Projektleitung, gab es nur 3,5 von fünf Punkten. Thierry van der Pyl fasst die Forderungen der EU-Kommission zusammen:
    "Wir wollen erstens, dass die kognitiven Neurowissenschaften wieder ins Core-Projekt integriert werden. Zweitens, dass klar gemacht wird, wie sich die Partnerschaft zwischen den verschiedenen Forschungsdisziplinen weiter entwickeln soll. Und drittens braucht es ein klares, neues Konzept, wie das Projekt in Zukunft geleitet werden soll. All diese Fragen müssen jetzt die Wissenschaftler unter sich klären."
    Mediator soll Gespräche organisieren
    Es gibt also Gesprächsbedarf. Diese Gespräche organisieren soll jetzt ein Mediator: Wolfgang Marquardt, der Leiter des Forschungszentrums Jülich. Der Tenor: Das Projekt darf sich nicht mehr nur auf sich selbst beziehen.
    "Wir wollen ein erfolgreiches Projekt haben, und Erfolg bedeutet auch die Neuro-Community ins Boot zu bekommen."
    "Wenn man die nicht ins Boot bekommt, dann ist das Projekt ein Misserfolg."
    Ein Misserfolg, den sich keiner leisten will. Doch die Zeit, die Wolfgang Marquardt zum Schlichten bleibt, ist knapp. Im Januar 2015 will die EU das Projekt wieder begutachten, bis März/April sollen detaillierte Pläne für die Jahre bis 2023 vorliegen. Karlheinz Maier betont, persönlich habe er mit vielen der Kollegen, die so deutlich Kritik geübt hatten, schon gesprochen.
    "Ich halte das nicht für hoffnungslos, aber es erfordert natürlich von unserer Seite einen gewissen Aufwand."
    Das Projekt soll jetzt Workshops ausrichten, in denen Kritiker und Projektvertreter miteinander reden. Die bisherige Projektleitung soll neu strukturiert werden, die Kommunikation nach innen und nach außen soll transparenter werden.
    Bis sich entscheidet, wer in welches Boot mit einsteigt, wird es dauern. Aber dass das Human Brain Project dringend eine Kurskorrektur braucht, ist offenbar angekommen.