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Zollitsch: Wachsende soziale Ungleichheit für Gesellschaft "lebensgefährlich"

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, sorgt sich um eine zunehmende Kluft zwischen Arm und Reich in Deutschland. Zu ihrer Überwindung müssten Vermögende stärker herangezogen werden, meint der Erzbischof von Freiburg.

Robert Zollitsch im Gespräch mit Matthias Gierth | 31.03.2013
    Matthias Gierth: Herr Erzbischof, die Christen in aller Welt feiern heute das Osterfest. Hat das Fest auch denen etwas zu sagen, die die christliche Erlösungsbotschaft nicht teilen?

    Robert Zollitsch: Ostern zeigt uns, dass das Leben über diese Welt hinausgeht. Insofern ist es eine Perspektive, die für jeden Menschen etwas sehr Zentrales bedeutet. Und ich glaube, dass die Menschen heute das auch brauchen. Wir sind in Gefahr, uns einfach von den Tagesproblemen so in Beschlag nehmen zu lassen, dass wir auch nicht mehr darüber hinausschauen, dass wir da nur etwa über die Frage der Zypernkrise sprechen und nicht mehr überlegen: Wofür leben wir überhaupt? Was gibt uns am Leben Sinn und Ziel? Ostern reißt den Horizont auf über diese Welt hinaus. Insofern ist die Botschaft von Ostern – das Leben – das Entscheidende. Und es gibt ein Leben, das nicht endet. Das ist etwas, was die Menschen unbedingt brauchen. Und darum ist es auch so zentral, nicht nur für uns Christen zentral, auch für alle, die in dieser Welt leben.

    Gierth: Jetzt zeigen Umfragen ja immer wieder, dass auch sehr viele Christen mit der Geschichte vom leeren Grab wenig bis nichts anfangen können. Welche Konsequenzen müssen die Kirchen daraus ziehen?

    Zollitsch: Das ist tatsächlich eine gewaltige Herausforderung, sich vorzustellen: Ja, Jesus Christus, der am Kreuz gestorben ist, er lebt, er ist auferstanden. Wir müssen diese Botschaft den neuen Menschen verständlich machen. Und es zeigt sich ja auch, dass in jedem Menschen eine Hoffnung lebt. Das immer neu zu verkünden ist die entscheidende Herausforderung. Aber auch zugleich zu zeigen, dass im Tiefsten in jedem Menschen die Sehnsucht nach Leben steckt – die Sehnsucht nach einer Perspektive, die über den Tod hinausgeht.

    Gierth: Um das aufzuschließen, wie Sie sagen, hat der neu gewählte Papst Franziskus schon in den ersten Tagen seines Pontifikats vorgelebt, dass es weniger auf die dogmatische Seite des Glaubens möglicherweise ankommt als darauf, glaubwürdig aufzutreten. Er ruft nach einer "armen" Kirche an der Seite der Armen. Was ist das für Sie, eine arme Kirche?

    Zollitsch: Es ist tatsächlich entscheidend, dass das, was ich verkünde und lebe, in meinem eigenen Leben auch ein Stück Widerhall findet, dass ich es verkörpere. Der neue Papst Franziskus kommt aus Lateinamerika. Er erlebt dort die Not am Menschen viel stärker als wir es hier etwa in Europa erleben. Und er spürt, dass Jesus Christus, der sich der Armen angenommen hat, dass das die zentrale Aufgabe von uns Christen auch ist. Und das verkörpert er für mich in einer großartigen Weise, dass er einfach in Buenos Aires schlicht lebte, dass er etwa in den Bussen mitgefahren ist, dass er sich dort hinbewegt hat, wo die Brennpunkte der Not waren. Und insofern hat er das bisher vorgelebt. Und wenn er das nun verkündet und sagt: Wir müssen dieses Zeichen der Solidarität setzen, dann ist das für mich ausgesprochen glaubwürdig und es ist auch herausfordernd für uns alle.

    Gierth: In Deutschland fahren die Bischöfe gemeinhin nicht in Bussen, sie fahren häufig in Mercedessen oder anderen noblen Fahrzeugen vor. Die katholische Kirche in Deutschland ist alles andere als arm. Brechen mit der neuen Bescheidenheit im Vatikan schwere Zeiten für die geldverwöhnte deutsche Kirche an?

    Zollitsch: Wir leben in unserer Gesellschaft, und ich muss mich den Herausforderungen der Gesellschaft stellen, ich muss auch meine Aufgabe in dieser Gesellschaft wahrnehmen. Wir sind in Deutschland als Kirche in vielfältiger Weise auf der Seite der Armen. Oft wird, wenn etwa wie in Köln das Unglück passiert, dass jemand abgewiesen wird, kommt das groß in die Presse. Aber wie viel Gutes geschieht in unseren Krankenhäusern, wie viel Gutes geschieht in Sozialstationen, wie die Menschen, die ohne Aufenthaltsgenehmigung als Asylanten bei uns leben in kirchlichen Krankenhäusern behandelt werden, auch unentgeltlich behandelt werden, diese Dinge werden oft nicht gesehen. Denken Sie an die großen Werke, die von Deutschland ausgingen. Wie etwa das Werk Renovabis, das weltweit tatsächlich dort ist, wo Not ist. Oder Caritas International, oder wie wir in Lateinamerika auch helfen mit der ganzen Hilfe von Adveniat seit 50 Jahren. Es geschieht vieles, und ich bin immer wieder erstaunt und dankbar dafür, wie viele unserer Gläubigen, wie viel die spenden für die Armen in der Welt. Und wir machen uns allerdings auch zum Anwalt der Armen in unserer Gesellschaft wenn etwa die Schere zwischen Arm und Reich in Deutschland leider immer weiter auseinandergeht.

    Gierth: Was bedeutet dieser Ruf nach Armut dennoch für die Kirchensteuer, die ja in letzter Zeit sehr umstritten war? Wäre es nicht auch an der Zeit, da Abstand zu nehmen?

    Zollitsch: Wenn wir andere Wege der Finanzierung fänden, müssten wir tatsächlich überlegen, ob wir dann den Armen in aller Welt in der gleichen Weise helfen könnten. Jetzt sind wir in der Lage, dass wir die Spenden in die Dritte Welt geben, nach Lateinamerika. Dann bräuchten wir sie für uns. Die Kirchensteuer gibt uns die Möglichkeit, unser kirchliches Leben zu gestalten und zu leben, und wir sind deswegen in der Regel nicht auf diese Spenden selbst angewiesen und können das weitergeben. Wir würden weit mehr den Menschen in der Dritten Welt schaden, würden weit mehr denen schaden, die von der sozialen Fürsorge leben, denn wir müssten uns dann konzentrieren auf das eigene Leben der Kirche, auf die Gemeinden, wie das in vielen Kirchen der Welt ja auch geschieht – und hätten die große Chance, anderen Menschen zu helfen, nicht.

    Gierth: Sie haben die immer weiter auseinandergehende Schere zwischen Arm und Reich angesprochen. Aus dem jüngsten Armutsbericht der Bundesregierung wurde der Satz gestrichen "die Privatvermögen in Deutschland sind sehr ungleich verteilt". Teilen Sie die vielfach geäußerte Kritik, dass das Schönfärberei ist?

    Zollitsch: Ich persönlich bin sehr besorgt, dass die Schere immer weiter auseinandergeht zwischen Arm und Reich und dass wir eigentlich da nicht schauen, dass diejenigen, die entsprechende Vermögen haben, dass die sich dann entsprechend der Möglichkeiten, die sie haben, auch an der Finanzierung der gesellschaftlichen Aufgaben beteiligen – ja –, dass die auch an die denken, die fast kein Vermögen haben oder von der Sozialhilfe leben. Ich halte die Forderung für berechtigt, dass der, der Vermögen hat, sich beteiligt in der Sorge für die, die weniger haben. Das verlangt einerseits die Solidarität, das verlangt aber auch erst recht unser christlicher Glaube. Denn wenn ich von dem, was ich habe, nicht genügend entsprechend weitergeben will, wie es möglich ist, dann verstoße ich eigentlich gegen die christlichen Grundsätze.

    Gierth: Was bedeutet es denn für eine Gesellschaft, wenn diese Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinandergeht?

    Zollitsch: Es ist für die Gesellschaft fast lebensgefährlich, wenn so und so viele Menschen in dieser Gesellschaft leben, ja ganze Gruppen und Schichten, die dann in dieser Gesellschaft gewaltig benachteiligt sind, die damit auch an der Gestaltung der Gesellschaft nicht aktiv mitwirken können, weil sie nicht in der Lage sind finanziell. Denn, wenn die Gesellschaft auseinanderbricht, ist unsere Demokratie in Gefahr und es ist unser Staatswesen in Gefahr. Wenn die Gegensätze zu groß werden, dann bricht eine Gesellschaft. Wir müssen auch im Interesse der Gesellschaft sehr danach schauen, dass tatsächlich die Solidarität größer wird und dass wir zwischen Arm und Reich stärker ausgleichen.

    Gierth: Sie haben eine andere Tragödie dieser Tage auch angesprochen, die enormen Flüchtlingsströme, zurzeit vor allem aus Syrien, aber auch aus Afrika. Die Aufnahmebereitschaft in den reichen Staaten ist oft trotzdem eher gering. Was muss, was kann die Kirche angesichts der menschlichen Tragödien, die sich ja hier abspielen, tun – jenseits von wohlmeinenden Appellen?

    Zollitsch: Wir erleben tatsächlich, dass die Flüchtlingsströme immer mehr zunehmen. Einerseits sollte man nicht vergessen, dass wir mit Caritas International jedes Mal schon vor Ort sind, wenn die Flüchtlinge kommen, dass wir von der Kirche aus etwa durch die Kollekten, auch durch Kirchensteuermittel, dann jeweils helfen in der Situation – das, was uns möglich ist. Freilich, wir spüren, das allein kann das Problem nicht lösen. Und deswegen setzen wir uns auch ein, dass tatsächlich auch Flüchtlinge aufgenommen werden bei uns. Ich bin dem Bundesinnenminister dankbar, dass er diese Frage auch sieht.

    Gierth: Aber darf sich diese Aufnahmebereitschaft nach dem Gebetbuch richten? Der Bundesinnenminister hat ja angeregt, vorrangig etwa Christen aus Syrien aufzunehmen, weil auf ihnen ein besonderer Verfolgungsdruck laste.

    Zollitsch: Wenn eine Gruppe besonders verfolgt ist, dann ist es ein Zeichen der Solidarität, dass wir uns gerade um die kümmern. Und infolge dessen ist es richtig, auf die zu schauen. Zum Zweiten werden wir auch Menschen, die Christen sind, bei uns viel leichter integrieren als andere. Aber wenn nun Nichtchristen in der gleichen Notsituation sind, dann gilt es, auch ihnen zu helfen.

    Gierth: Die Kirche hat bei gesellschaftlichen Diskursen durchaus das Problem, ihre Argumente mehrheitsfähig zu machen. Woran liegt das?

    Zollitsch: Wir leben in einer Demokratie, und ich bin überzeugter Demokrat. Und in einer Demokratie muss ich dann für meine Sache auch werben, mit Argumenten dafür einzutreten. Und in der pluralistischen Gesellschaft, in der wir leben, konkurrieren viele Anschauungen miteinander. Es ist für uns wichtig als Kirchen, als Christen, ob katholisch oder evangelisch, die Werte des Evangeliums in die Gesellschaft immer neu einzubringen. Und diese Werte sind natürlich oft in einem bestimmten Gegensatz zu dem, was gesellschaftlich gerade "in" ist – denken Sie an die Frage nach dem Schutz des Lebens. Und es ist für mich auch so: Wir werden auch gehört, wenn es jetzt um die Diskussion der Frage geht: Wie helfe ich Leuten bei Suizid – Sterbehilfe. Wir bringen unsere Position ein. Oder wenn ich jetzt an den großen Wert von Ehe und Familie denke, da haben wir unsere Werte einzubringen. Darum bin ich auch dankbar, dass es hier eine Diskussion gibt.

    Gierth: Aber trotzdem kann sich Kirche bei diesen Positionen sehr oft nicht durchsetzen, denken Sie an das Thema "Homo-Ehe" beispielsweise. Da hat sie andere Positionen als die Gesellschaft. Liegt die mangelnde Möglichkeit, die eigenen Argumente mehrheitsfähig zu machen, auch daran, dass die Glaubwürdigkeit der Kirche doch von sehr vielen infrage gestellt wird, weil etwa Vorfälle wie in Köln – Sie haben es vorhin selber genannt: Abweisung eines mutmaßlichen Vergewaltigungsopfers in einem katholischen Krankenhaus – für Empörung sorgen, sodass inhaltliche Positionen gar nicht mehr vermittelt werden können.

    Zollitsch: Natürlich ist es schwieriger, wenn die Glaubwürdigkeit leidet, auch die Argumente herüberzubringen, aber wir werden trotzdem nicht aufhören, das einzubringen, weil es unsere Aufgabe ist. Und wir erleben doch, das, auch wenn wir aktuell uns nicht durchsetzen können, dass dann in der Reflexion nachher viele entdecken: Es war doch richtig und es ist wertvoll. Aber wir werden auch nicht nachlassen und wir werden deswegen kämpfen – für Ehe und Familie. Wir haben eine andere Vorstellung von der Frage dessen, was nun eben die Frage der gleichgeschlechtlichen Partnerschaft ist im Blick auf die Adoption und so weiter, das werden wir einbringen. Aber Sie erleben auch, wie in Frankreich, wie wirklich dort auch Hunderttausende für Ehe und Familie kämpfen.

    Gierth: Können Sie sich das in Deutschland auch vorstellen?

    Zollitsch: Wahrscheinlich nicht, weil wir Deutsche das gar nicht gewohnt sind, in dieser Weise zu kämpfen. Ich bedaure, dass das gar nicht in gleicher Weise bei uns möglich ist. Aber wir dürfen nicht nachlassen, den Menschen bewusst zu machen, was das eigentlich bedeutet. Denn es ist ja eine sehr kleine Gruppe, die das Adoptionsrecht für sich beanspruchen würde. Und darüber muss man diskutieren, was der Gesellschaft dient, was der Zukunft dient, was Gesellschaft wirklich aufbaut.

    Gierth: Sie hören das Interview der Woche im Deutschlandfunk, heute mit dem Erzbischof von Freiburg und Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch. Herr Erzbischof, wir haben über die enormen sozialen Gesellschaftsprobleme gesprochen, auch über Herausforderungen etwa im Bereich des Lebensschutzes, der Biomedizin. Sprechen diese vielfältigen Probleme nicht dafür, dass die Kirchen bei diesen Positionen im "Schulterschluss" auftreten?

    Zollitsch: Sie sprechen eine Frage an, die ich vonseiten der Politik oft höre, weil die mir sagen: Ja, wenn nicht die beiden Kirchen mit einem Tenor sprechen, woran sollen wir uns dann halten? Leider ist es so, dass wir in der Frage der Ethik uns nicht aufeinander stärker zubewegt haben – die katholische und evangelische Kirche in Deutschland –, sondern eher verschiedene Positionen vertreten. Da ist noch mehr Gemeinsamkeit notwendig. Allerdings ist auch wichtig, dass es oft nur kleine Fragen sind oder Einzelfragen, in denen wir nicht der gleichen Meinung sind. Aber gemeinsam in der Öffentlichkeit aufzutreten, das ist eine wichtige Sache. Etwa deswegen werde ich auch beim Kirchentag in Hamburg dabei sein, oder im vergangenen Jahr in Mannheim war auch Präses Schneider da, weil es auch um gesellschaftliche Dinge geht.


    Gierth: Aber der Eindruck täuscht nicht, dass es doch stärker ökumenische Differenzen in dieser Frage mehr und mehr gibt?

    Zollitsch: Ja, es ist richtig, dass wir uns nicht in all diesen Fragen immer so einig sind, wie das für die Gesellschaft wichtig wäre. Das ist für mich bedauerlich.

    Gierth: Das war ja mal anders. Man hat ja in diesen Fragen lange Zeit, beispielsweise in der Biomedizin, einen Kurs verfolgt.

    Zollitsch: Ja, bis vor zehn Jahren waren wir in der Biomedizin ziemlich ganz klar einer Meinung. Dann hat - das gilt nicht als Vorwurf, sondern als Feststellung - die evangelische Seite ihre Position zum Teil geändert und wir bleiben bei unserer Meinung und werben immer wieder dafür, das gemeinsam auch wieder zu stärken.

    Gierth: Müssen Katholiken und Protestanten sich darauf einstellen, dass ihre Kirchenleitungen in dogmatischen Fragen auf lange Zeit nicht zueinanderfinden werden?

    Zollitsch: Wir hatten sehr grundlegende Fragen, die uns trennen. Und man muss auch überlegen, wenn zwei Kirchen seit 500 Jahren getrennt sind, von denen wir fast 400 Jahre einander eher bekämpft haben als gemeinsam marschiert sind, dass das eine Zeit braucht, wie wir uns auch verstärkt wieder in den dogmatischen theologischen Fragen finden. Für mich ist ein schönes Beispiel, das in der Rechtfertigungslehre wir einen gemeinsamen Weg gefunden haben. Aber wir haben die großen Unterschiede in der Frage des Kirchenverständnisses, das Verständnis des Kirchenamtes. Das müssen wir einfach sehen. Da nun nach Wegen zu suchen, wie wir uns immer besser verstehen, das ist für uns wichtig. Und es ist aber auch wichtig, dass atmosphärisch wir uns besser zusammenfinden und wir schauen, in welcher Sprache wir miteinander sprechen. Mich hat es zum Beispiel durchaus geschmerzt, wenn ich jetzt in evangelisch.de einige Aussagen über den neuen Papst gelesen habe, wo ich mir sage, das ist nun nicht gerade das brüderliche Gespräch. Aber wichtig ist, dass wir tatsächlich spüren, welche gemeinsame Aufgabe wir in der Gesellschaft haben. Und je mehr wir gemeinsam Aufgaben wahrnehmen, desto stärker werden wir auch Wege finden, die theologischen Differenzen auszuklammern. Und ich bin froh, dass wir dieses Jahr etwa in Mannheim die Woche für das Leben gemeinsam eröffnen werden mit der Evangelischen Kirche.

    Gierth: Aber verstehen Sie, dass etwa konfessionsverschiedene Paare, denen es wichtig ist, am Sonntag gemeinsam Gottesdienst und auch Eucharistie zu feiern, sich vor allem von der katholischen Kirche allein gelassen fühlen?

    Zollitsch: Ja, ich kann das nachvollziehen, weil unser Verständnis von Eucharistie ein anderes ist, als das der Evangelischen Kirche und wir damit auch schauen müssen, dass der, der nun bei uns die Heilige Kommunion empfangen will, dass der auf dieser theologischen Basis zu stehen hat. Wir versuchen dann im Einzelfall auch noch mal zu klären, welches diese Basis dann auch ist. Und wir erleben die Trennung zwischen den Konfessionen besonders schmerzlich dort, wo es sich um evangelisch-katholische Partner innerhalb einer Ehe handelt und wo dann die Kinder das auch miterleben. Wie wir da nun Wege in Zukunft finden – wir sind an der Frage dran. Ich kann das Ergebnis noch nicht vorwegnehmen, aber ich spüre die Not und spüre auch das Bedrängende. Und ich erlebe vor allem viel ehrliches und großes Interesse an diesem gemeinsamen Weg.

    Gierth: Es wäre ja vielleicht schon viel gewonnen, wenn der Besuch eines evangelischen Gottesdienstes in einer konfessionsgetrennten Partnerschaft als vollwertiger Gottesdienst für den katholischen Partner am Sonntag gelten würde.

    Zollitsch: Wir haben hier mit der orthodoxen Kirche gemeinsam das Verständnis, dass seit 2000 Jahren zur Feier des Sonntags die Feier der Eucharistie gehört. Das ist eine so zentrale Frage, dass hier tatsächlich ein Dissens mit den evangelischen Christen besteht. Und das ist nicht ohne Weiteres dann zu sagen, gut, man geht ab und zu, weil es um wirklich zentrale theologische Verständnisse dessen geht, was Kirche ist.

    Gierth: Aber es wäre vielleicht barmherzig im Sinne dessen, was der neue Papst angesprochen hat.

    Zollitsch: Barmherzigkeit darf aber dann nicht zulasten dessen führen, was nun nach unserem Verständnis die Wahrheit und die Theologie ist. Aber Wege zu finden, da sind wir dran. Aber ich kann nicht alles so schnell mit Barmherzigkeit begründen.

    Gierth: In wenigen Jahren steht das große Reformationsjubiläum an. Die Vorbereitungen sind zwischen evangelischer und katholischer Kirche in den Gesprächen nicht ganz konfliktfrei. Wie würden Sie als katholischer Dialogpartner das Jubiläum gerne mit begehen?

    Zollitsch: Wir sind im Gespräch miteinander und haben bis jetzt noch nicht die notwendige gemeinsame Basis gefunden, um zu sagen, was bedeutet 2017 für die Evangelische Kirche und die Katholische Kirche gemeinsam. Wir sind auf dem Weg, miteinander zu überlegen, was etwa das Wort Gottes, die Heilige Schrift als gemeinsames Fundament für uns bedeutet, was das uns wert ist. Mir kam auch schon einmal der Gedanke, ob es nicht auch schön wäre, wenn wir nach vorne schauen, ob wir nicht auch einmal gemeinsam, diese Wurzel von der Heiligen Schrift her dadurch deutlich machen, meinetwegen, dass katholische und evangelische Christen oder Bischöfe gemeinsam sich ins Heilige Land zu einer Pilgerreise aufmachen, um möglichst nahe bei Jesus, bei der Heiligen Schrift zu sein.

    Gierth: Dem letzten Papst war die Situation der Ökumene, die Situation der katholischen und evangelischen Kirche in Deutschland aufgrund seiner Herkunft ja sehr vertraut. Beim neuen Papst Franziskus ist das anders. Er kommt aus einem anderen Kontext. Ist das für die Zukunft der Ökumene von Vorteil oder von Nachteil?

    Zollitsch: Wir haben natürlich in Deutschland die Situation, dass wir im Land der Reformation leben, wo die Glaubensspaltung im Blick ist, auf der die reformatorische Kirche ausging. Deswegen sind die Fragen der Ökumene mit der reformatorischen Kirche uns viel näher als für die Gesamtkirche. Denn für die Gesamtkirche liegen die Fragen der Ökumene mit der orthodoxen Kirche viel näher, weil das eine große weltweite Gruppe auch ist. Ich persönlich bin der Überzeugung, so wie ich bisher in den früheren Begegnungen Papst Franziskus erlebt habe, dass er sehr offen ist dafür. Wir werden allerdings auch die Aufgabe sehen als Katholische Kirche in Deutschland und Bischöfe, dann unseren Teil einzubringen, damit die Ökumene im Blick auf die Kirche der Reformation nach wie vor diese Bedeutung hält, die sie hat. Und ich bin überzeugt, dadurch, dass nun in Kardinal Koch, dem Präsident des Einheitsrates – er kommt aus der Schweiz, aber auch aus dem Land der Reformation – unbedingt der Mann da ist, der das im Blick haben wird. Insofern sehe ich da keine Gefahr, dass weniger geschieht als bisher.

    Gierth: Nach den fast revolutionären Zeichen, die der neue Papst Franziskus in den ersten Tagen seiner Amtszeit gesetzt hat, erwarten viele Katholiken auch inhaltliche Reformen. Sie auch?

    Zollitsch: Ja. Ich gehe davon aus, dass er nun tatsächlich aus seinen Erfahrungen heraus vieles in die Kirche einbringen wird. Wir haben vorhin von der Option für die Armen gesprochen. Er kommt nun von Argentinien, war früher mal Vorsitzender der Bischofskonferenz. Ich gehe davon aus, er wird noch mal neu schauen, wie ist nun die Präsenz der anderen Bischöfe der Welt, der Bischofskonferenz in Rom viel stärker zu verordnen. Wie kann viel stärker darauf Rücksicht genommen werden? Und ich setze große Hoffnungen auf ihn, weil er auch zeigt, ich will nahe bei den Menschen sein, will die Fragen der Menschen aufgreifen, will zeigen, dass ich solidarisch bin, und dass ich in dem Moment in dem Maße, wie ich in den Fragen der Menschen auch schon die Antworten aus dem Evangelium entdecken kann, bin ich nahe bei den Menschen. Insofern hoffe ich, dass auch wir eine neue Sprache finden für das Evangelium in der Weise, den Menschen nahezubringen, dass sie es verstehen, dass es dort ankommt. Da, glaube ich, wird er gute Wege weiter mit uns vorangehen.

    Gierth: Aber wie sieht es mit den dogmatischen Positionen aus? Kann, wer wie Franziskus zur Barmherzigkeit aufruft, wiederverheiratet Geschiedenen weiter die Zulassung zu den Sakramenten verweigern?

    Zollitsch: Wir sind alle davon überzeugt und das darf ich auch festhalten, dass die Ehe unauflöslich ist. Wir sind auch als Bischofskonferenz in Deutschland dabei zu schauen, wie gehen wir pastoral damit um, dass nun so und so viele Ehen scheitern, dass Menschen eine neue Partnerschaft gefunden haben, eine neue Perspektive. Da werden wir als Deutsche Bischofskonferenz das in unserer Kompetenz liegende Mögliche tun. Ich kann hier nicht genau sagen, was der Heilige Vater selber tun wird, denn er ist erst seit zwei Wochen gewählt und ich kann jetzt nicht die einzelnen Themen schon mit ihm verhandeln wollen. Das tue ich auch nicht. Aber hier ist, glaube ich, eine Perspektive, die wir sehen. Und Papst Benedikt sagte ja auch schon, dass so viele Menschen, die geschieden und wieder verheiratet sind, eigentlich nicht in die Kirche voll integriert sind, dass das das große Leiden in der Kirche ist. Und er sagte auch, dass sie voll und ganz zur Kirche gehören. Und da weiter zu denken, vom Gedanken auch des verzeihenden Gottes her, das lohnt sich und da bin ich zuversichtlich.

    Gierth: Aber unter Papst Benedikt haben Sie selbst sich ja für Änderungen im Umgang mit wiederverheiratet Geschiedenen ausgesprochen, und Sie sind doch vom Vatikan relativ deutlich ausgebremst worden. Wäre es nicht richtig, unter dem neuen Papst einen neuen Anlauf in dieser Frage zu unternehmen?

    Zollitsch: Ich habe selbst mit Papst Benedikt ausführlich darüber gesprochen und habe auch bei ihm viel Verständnis gefunden. Dass manche aus seiner Umgebung ein bisschen schnell reagiert haben, hat mich auch gewundert. Wir werden in der Deutschen Bischofskonferenz diese Frage sehr gut überlegen, wie wir pastoral damit umgehen, und dann selbstverständlich darüber auch das Gespräch mit der Glaubenskongregation und auch mit dem Papst suchen.

    Gierth: Eine weitere Forderung vieler Katholiken besteht darin, die Rolle von Frauen in der Katholischen Kirche neu zu würdigen. Können Sie mir drei Gründe nennen, warum Frauen heute in einer Kirche bleiben sollen, für die die Gleichberechtigung in der Kirchenleitung ein Fremdwort ist?

    Zollitsch: Wir haben in der Deutschen Bischofskonferenz im Frühjahr sehr ausführlich darüber gesprochen. Und es ist ganz klar, wir haben auch einiges getan, dass etwa Frauen zunehmend kirchliche Verantwortungsaufgaben wahrnehmen, etwa 19 Prozent in den Ordinariaten in dieser Form bestellt sind in führenden Positionen. Und wir wollen schauen, wie das, was jetzt nicht vom Amt her an den Mann gebunden ist, viel stärker für Frauen geöffnet werden kann. Und wir sind eine Kirche, die stark von Frauen getragen wird, und deswegen sollen Frauen auch viel stärker Mitverantwortung bekommen. Und wir haben auch überlegt und das mit Kardinal Kasper besprochen, wie wir auch neue Dienstämter schaffen, die für Frauen auch attraktiv sind in unserer Kirche. Ich bin dankbar, dass wir so viele Frauen haben, die unsere Kirche tragen. In Pfarrgemeinderäten sind etwa die Hälfte Frauen, sogar ein bisschen mehr. Das ist für mich ein Zeichen. Und ich muss sagen, mich hat der Studientag bei der Frühjahrsvollversammlung mit sehr viel Zuversicht erfüllt, dass wir auf einem guten Weg sind. Und wir werden jetzt in unserer Erzdiözese demnächst eine Ordnung verabschieden, wo es da um die Gleichstellung geht von Männer und Frauen in unserer Diözese. Und das macht mir Hoffnung, gibt Perspektiven.

    Gierth: Nicht zuletzt, weil die Gläubigen in Deutschland kirchliche Positionen wie zur Frauenordination nicht mehr verstehen, gibt es bis hinein in kirchentreueste Kreise eine tiefe Enttäuschung. Vor allem die letzte Sinusmilieustudie hat die Entfremdung von Kirchenvolk und Bischöfen aufgezeigt. Man hat oft nicht den Eindruck, dass diese Signale in der Kirchenleitung wirklich ankommen?

    Zollitsch: Ich habe nun die letzte Studie auch gelesen. Ich bin ein bisschen vorsichtig, dass nur 150 Leute befragt worden sind. Das ist für mich jetzt nicht gerade repräsentativ. Aber wir spüren schon, dass hier Sorgen da sind. Wir haben auch die vorausgehende Sinusstudie sehr intensiv studiert und wir haben in der Deutschen Bischofskonferenz auch einige Schritte unternommen, nicht zuletzt auch die Frage der Zusammenarbeit von Frauen und Männern in der Kirche, die wir angestoßen haben. Wir müssen theologisch klarlegen, dass nach katholischem Verständnis, orthodoxem Verständnis der Dienst des Priesters, des Bischofs dem Mann vorbehalten ist. Wie der Papst sagt, ich habe da keine Vollmacht, darüber zu urteilen. Aber es gibt viele andere Wege, und die werden wir gehen. Und ich nehme diese Ergebnisse einer gewissen Entfremdung sehr ernst zur Kenntnis. Ich spüre allerdings auch, und das ist in der Presse nicht durchgekommen, wie viele Erwartungen an die Kirche in dieser Studie stecken. Und diese Erwartungen, auf die möchte ich eingehen, weil die darauf schauen, wie gibt es eine Perspektive über diese Welt hinaus, wofür lohnt es sich zu leben, welche Werte sind entscheidend? Da haben wir als Kirche vieles einzubringen, und da gehen wir auch den Weg mit unseren Menschen.


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