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Zoologie
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Um endlich grundlegende Fragen der Evolution beantworten zu können, beschlossen drei renommierte Genetiker vor fünf Jahren ein einzigartiges Projekt: Das Erbgut von 10.000 Wirbeltierarten sollte binnen weniger Jahre entziffert werden. Jetzt diskutieren Wissenschaftler aus aller Welt den Fortschritt des Vorhabens.

Von Michael Stang | 10.06.2014
    Ein Eisvogel sitzt mit einem kleinen Stichling im Schnabel auf einem Ast.
    Ob Vögel, Säuger, Amphibien, Fische oder Reptilien: Das Genome-10k-Projekt will die ganze zoologische Vielfalt erfassen. (picture alliance / dpa / Patrick Pleul)
    2009 startete das Genome-10k-Projekt mit großem Optimismus. 10k – kurz für 10 Kilo beziehungsweise 10.000 Wirbeltierarten. Das Ziel ist, dass damit nicht nur das Erbgut von Tierarten erforscht wird, für die ein Wirtschafts- oder Forschungsinteresse besteht, etwa Labortiere, Honigbienen oder Menschenaffen; vielmehr soll die ganze Vielfalt von Vögeln, Säugetieren, Amphibien, Fischen und Reptilien genetisch erfasst werden. Nach dem Start stellten das US-Gesundheitsinstitut NIH und die National Science Foundation ihre Förderung ein. Sie hätten nicht an das Projekt geglaubt, so Gründer Stephen O'Brien. Das Ende der 10k-Genome-Idee stand im Raum. Doch dann kam die Rettung wie aus heiterem Himmel, so der US-Genetiker.
    "Das große Beijing Genomic Insitute, kurz BGI, meldete sich bei uns. Dort waren gerade mehr als 100 sehr teuere Sequenziermaschinen angeschafft worden und man bot uns eine Kooperation an. So kam es, dass binnen kurzer Zeit die ersten 100 Tierarten sequenziert wurden."
    Bisher 330 Wirbeltierarten sequenziert
    Die neue Kooperation mit China brachte alsbald auch europäische und US-amerikanische Partner ins Boot. Seither habe das Projekt an Fahrt gewonnen, so O'Brien, der an der staatlichen Universität in St. Petersburg forscht.
    "Wir haben jetzt ungefähr 330 verschiedene Wirbeltierarten sequenziert – vor fünf Jahren waren es gerade einmal 30 Spezies."
    330 von geplanten 10.000. Obwohl sie nach fünf Jahren noch immer vergleichbar wenig Tiergenome vorliegen haben, seien sie ihrem Ziel einen wichtigen Schritt näher gekommen. Die geplanten 10.000 Arten stehen stellvertretend für die rund 60.000 heute lebenden Wirbeltierspezies.
    Trotz dieser eingeschränkten Auswahl soll von jeder Gattung mindestens eine Art erfasst werden. Demnach würde zum Beispiel für das grundlegende Verständnis der genetischen Evolution die Sequenzierung einer Großkatzenart reichen – etwa Leopard, Löwe, Tiger oder Jaguar, denn all diese Tiere gehören zur Gattung Panthera. Im Vergleich mit all diesen Genomen können zukünftige Genetikergenerationen dann sehen, wie sich bei einzelnen Tieren die Fähigkeit zum Fliegen entwickelt hat, was das Gebiss eines Raubtiers genetisch von dem eines Pflanzenfressers unterscheidet oder welche Erbgutabschnitte für die Bildung von Haaren, Haut und Federn wichtig sind.
    "Auf einmal können wir das große Experiment der Natur, das täglich stattfindet und als natürliche Selektion bezeichnet wird, im Detail verstehen. Die Daten liegen vor uns. Denn alle Eigenschaften einer Tierart, die diese haben überleben lassen, sind im Erbgut niedergeschrieben und wir können sie nun nachlesen."
    Ziel: alle Genomdaten online abbilden
    Doch viele Hürden gilt es erst noch zu überwinden, räumt Stephen O'Brien ein, etwa die Ausarbeitung von Standards. Das sei auch der Grund des Treffens diese Woche in Puerto Rico.
    "Wir würden gerne ein einfaches Format haben, in das sich alle Genomdaten fassen lassen und dann würden wir das alles in einer Datenbank zusammenfassen. Wir arbeiten daran, aber so weit sind wir noch nicht."
    Ziel ist, eines Tages die Daten online in einem Browser anklicken und direkt nach Gemeinsamkeiten oder Unterschieden bestimmter Tierarten suchen zu können. Lange werde es nicht mehr dauern, gibt sich Steve O'Brien optimistisch.
    "Ich denke, realistisch betrachtet werden wir in fünf bis zehn Jahren unser Ziel erreicht haben."