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Zu den Ergebnissen der OECD-Studie

Lange: Wenn die Abkürzung OECD fällt, werden Bildungspolitiker aus Deutschland in den letzten Jahren immer etwas nervös, denn wann immer die OECD ihre Statistiken zum Vergleich der Bildungssysteme veröffentlicht hat, Deutschland liegt bestenfalls im unteren Mittelfeld. PISA hat seinerzeit einen nationalen Schock ausgelöst. Inzwischen hat man sich fast schon daran gewöhnt, dass unser Bildungssystem in seiner derzeitigen Verfassung nicht das Gelbe vom Ei ist. Das zeigt auch die neue Studie "Bildung auf einem Blick 2003", die gestern veröffentlicht wurde. Die bietet viel Gesprächsstoff für die Konferenz der europäischen Bildungsminister morgen in Berlin, und natürlich interessieren auch uns Ursachen und Perspektiven. Am Telefon ist nun Karin Wolff, sie ist Kultusministerin in der CDU-Regierung von Hessen und zur Zeit die Vorsitzende der Kultusministerkonferenz. Frau Wolff, sitzen Sie eigentlich morgen mit am Konferenztisch oder ist es ausschließlich die Bühne von Frau Bulmahn, der Bundesbildungsministerin?

    Wolff: Nein, die Länder sind mit am Tisch. Ich bin leider nicht dabei, weil wir in Hessen im Landtag tagen, aber die Länder werden durch die Kollegin Erdsiek-Rave in Schleswig-Holstein vertreten.

    Lange: Wie bewerten Sie denn die Ergebnisse dieser neuen Studie?

    Wolff: Die haben positives und negatives. Sicherlich ist damit ganz offensichtlich, dass, was viele schon lange wussten, Bildung ein wesentlicher Faktor für eine wirtschaftliche Kraft in unserem Lande ist. Was ich jetzt bedaure, ist, dass es natürlich mit einer wirtschaftlichen Schwäche aus vielen unterschiedlichen politischen und wirtschaftlichen Gründen zusammentrifft und das nun unmittelbar mit der aktuellen Lage vermischt wird. Man kann sicherlich nicht die aktuelle Lehrstellensituation ganz kurzschrittig damit verbinden, dass nun die Bildung allein schuld sei. Wir sind auf sehr gutem Wege, und ich glaube, dass man das auch honorieren sollte, und gestern ist auch vorgetragen worden, dass etliches in den letzten Jahren seit PISA geschehen ist und außerordentlich schnell geschehen ist.

    Lange: Zur Zeit beginnen 32 Prozent eines Jahrgangs ein Studium, war in dieser Studie zu lesen. Vor drei Jahren waren es nur 28 Prozent. Das haben Sie als Erfolg gewertet. Ist das nun wirklich ein Erfolg oder nur der Effekt eines schwachen Arbeitsmarktes, der dazu führt, dass junge Leute quasi aus Verlegenheit mit dem Studium anfangen?

    Wolff: Die Gefahr besteht durchaus. Es ist einerseits positiv, dass die Studierendenzahlen wachsen, insbesondere im Bereich der Naturwissenschaften und des Ingenieurwesens. Dort ist ja auch ein offenkundiger Bedarf vorhanden. Wir sollten allerdings nicht vertauschen die Studienanfängerzahlen und die Zahl derer, die auch ein Studium abschließen. Der Wirtschaft ist sicherlich nur mit denen gedient, die auch tatsächlich einen hochwertigen Abschluss machen und dementsprechend auch in der Wirtschaft eingesetzt werden können, das heißt, es kommt auf die Abschlüsse und die Anschlussfähigkeit im Beruf an. Dann in der Tat brauchen wir hochqualifizierte junge Menschen, die aber nicht nur über das Abitur ausschließlich kommen, sondern durchaus auch über eine Ausbildung. Die meisten Länder wie etwa auch Hessen machen Anstrengungen, dass an beruflichen Schulen etwa auch aufbauend auf einer dualen Ausbildung jeder weitere Bildungsgang und auch jeder weitere Abschluss möglich ist, auch die Hinführung zum Studium.

    Lange: Haben Sie den Eindruck, dass die Bildungspolitik nun tatsächlich den Stellenwert bekommt, den alle fordern, oder was davon sind, sagen wir, die üblichen Lippenbekenntnisse?

    Wolff: Also ich glaube, wenn Sie wirklich in die Länder hineinschauen und demnächst auch den KMK nationalen Bildungsbericht lesen werden Ende des Jahres, dann werden Sie sehen, welch große Anstrengung die Länder seit PISA vollzogen haben, auch vorher schon. Das zieht sich etwa von der Sprachförderung von Kindern nichtdeutscher Herkunft hin bis zu der Lehrerausbildung, die deutlich verbessert werden soll und muss. Da sind die Anstrengungen durch PISA außerordentlich beschleunigt worden, und es ist vieles erleichtert worden, was mancher vorher schon wusste, aber jetzt sehr viel schneller umsetzen kann. Insofern glaube ich, dass wir durchaus auch als Länder sagen können, in den 16 Bundesländern ist die Bildung Priorität. Sie ist in den letzten Jahren finanziell auch stark ausgeweitet worden, und ich gehe davon aus, dass auch jetzt die Kürzungen, die allenthalben notwendig sind, zuletzt bei der Bildung angesetzt werden.

    Lange: Nun steht in den Schulen eine gigantische Pensionierungswelle an. Neue Lehrer werden gebraucht, aber die öffentliche Hand kann sie kaum bezahlen, von den Pensionslasten mal ganz abgesehen. Kann das wirklich zusammengehen mit diesen hehren Zielen, die Bildung so zu fördern, wie sie es verdient?

    Wolff: Ja, das muss zusammengehen. Es geht ja im Wesentlichen auch um dem Ersatzbedarf bei leicht sinkenden Schülerzahlen, aber wir werden damit auch ausreichend zu tun haben, dass wir so viele Lehrerinnen und Lehrer ausbilden, dass sie in den jeweiligen Fächern auch dann einsteigen können für die, die pensioniert werden. Das ist ja auch in der internationalen Studie festgestellt worden, dass in zahlreichen anderen Ländern dann eben bis zu 20 Prozent Fachfremde oder Berufsfremde unterrichten. Wir wollen alles daran setzen, dass wir auch die Lehrerinnen und Lehrer, die pensioniert werden, in ihren Fächern ersetzen können.

    Lange: Nun gibt es Bildungsexperten, die sagen, mit Blick auf die Defizite, die in den Jahrzehnten aufgestaut worden sind, die Kultusministerkonferenz ist nicht das Instrument zur Lösung der Probleme, sie ist ein wesentlicher Teil der Ursache dieser Misere. Wie sehen Sie das?

    Wolff: Die Kultusministerkonferenz hat sich, glaube ich, in den letzten fünf bis sieben Jahren sehr weit fortentwickelt insofern, als sie nicht mehr der Bremsklotz ist, der immer auf den kleinsten gemeinsamen Nenner schielt, sondern dass sie auch Dinge erleichtert und ermöglicht, dass einige Länder vorpreschen und auch etwas an neuen Modellen zeigen, die dann andere nachmachen können, und dass sie sich auch sehr schnell geeinigt hat auf die sieben Handlungsfelder einerseits nach PISA, aber als eines eben auch auf die Bildungsstandards. Und wenn Sie mal sehen, mit welchem Tempo innerhalb von zwei Jahren diese ersten Bildungsstandards erarbeitet worden sind, die noch in diesem Jahr beschlossen werden können, dann, glaube ich, hat sie bewiesen, dass sie handlungsfähig ist, und ich glaube, dass auch das Prinzip des Kulturföderalismus sich bewiesen hat. Ich will Ihnen ein Beispiel nennen: Wenn wir in Hessen etwa eine Sprachförderung Kinder nichtdeutscher Herkunft gemacht hätten, die sagt, vorgezogene Anmeldung an die Grundschulen, eine Möglichkeit für einen dreivierteljährigen Sprachkurs vor der Grundschule und dann nur Einschulung derer, die tatsächlich Deutsch können, ansonsten Zurückstellung von der ersten Klasse, dann hätte das am Anfang keine Unterstützung gefunden, ich hätte niemals eine Mehrheit bekommen. Aber ich darf kraft dieser neuen Freiheit in der KMK dieses in den Ländern machen, und wenn es klappt - und es klappt - dann sind andere sicherlich aufgerufen, das auch zu machen, und zwar sehr schnell.

    Lange: Also holt die KMK jetzt sozusagen ihre Legitimation nach?

    Wolff: Wir sind bei der Arbeit. Wir werden uns sicherlich nicht verhaften lassen an der Geschichte dieses Instrumentariums, aber wir sind sehr intensiv daran, mit großem Tempo das Notwendige zu tun, damit Bildung in unserem Land erstens die einzelne Persönlichkeit soweit fördert, als es irgendwie möglich ist, und dass Bildung insgesamt auch ein positiver Wirtschaftsfaktor bleibt und wieder neu wird.

    Lange: Was ist Ihr Leitbild von Schule, wenn man jetzt PISA zu Grunde legt? Konservative Bildungspolitiker sehen da manchmal die Aufforderung, zur alten Schule zurückzukehren, indem Schüler in erster Linie gefordert statt gefördert werden. Die anderen sagen, wir wollen lieber die Gesamtschulen aufbauen. Welche Richtung wird da angeschlagen?

    Wolff: Die Strukturfrage ist eigentlich alles andere als modern. Die führen wir gemeinsam, rot und schwarz, nicht mehr in der Kultusministerkonferenz, sie wird uns von außen gelegentlich aufgedrückt. Was wir sicherlich notwendig haben - und da machen uns einige andere Länder in Europa etwas vor -, ist, dass wir einerseits eine größere Selbständigkeit und Eigenverantwortung von Schulen haben, kombiniert mit Bildungsstandards, also sehr klaren Vorgaben über das, was im Ziel erreicht werden soll, dafür aber die größere Freiheit für die Schule und die Länder, wie sie dieses erreichen. Aber dieses muss im Gegensatz zu früheren Überlegungen damit kombiniert werden, dass wir auch überprüfen, ob wir es erreichen, und dazu wollen wir eben die länderübergreifenden Vergleichsarbeiten, dazu wollen einen nationalen Bildungsbericht und auch eine Agentur, die etwa die Aufgabenstellung dann überwacht und schaut, ob das internationalen Kriterien auch standhält.

    Lange: Die Konferenz morgen, was erwarten Sie sich von diesem Treffen?

    Wolff: Nun, es ist eine Nachfolgekonferenz der Bologna-Konferenz, wo über internationale Anerkennung auch von Abschlüssen, Gewichtung von Bildung innerhalb der Politikbereiche zu verhandeln ist, und ich hoffe sehr, dass durch die intensiven Vorbereitungen das dann auch in Europa noch mal ein Stückweit mehr in den Mittelpunkt kommt, nicht in der Richtung, dass Europa jetzt die Bildungspolitik etwa der einzelnen Länder bestimmt, aber dass in Europa klar wird, es ist nicht nur eine Wirtschaftsgemeinschaft, sondern auch eine Gemeinschaft derer, die sich für Bildung engagieren und die auch europäische Tradition aufrechtzuerhalten haben.

    Lange: Das war Karin Wolfff, die hessische Kultusministerin und Vorsitzende der Kultusministerkonferenz, vielen Dank für das Gespräch.

    Link: Interview als RealAudio