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Zu den geplanten Kürzung für Arbeitslose

Engels: Bundeskanzler Schröder kämpft derzeit in der SPD und bei den Gewerkschaften um die Durchsetzung seiner Reformagenda. Gestern sagten ja die Gewerkschaften ein Gespräch über die Agenda 2010 überraschend ab. Heute Abend wirbt der Kanzler auf einer weiteren SPD-Regionalkonferenz in Hamburg für sein Konzept. Derweil haben sich CDU und CSU auf ihr Konzept zum Umbau des Sozialstaates weitgehend geeinigt. Wenn man das mit dem Konzept der SPD vergleicht, erkennt man Parallelen, und die heißen: Viele der Vorschläge betreffen die Beschäftigungssuchenden und es geht um Kürzungen für Arbeitslose. Wir wollen mit einem Vertreter dieser Gruppe sprechen. Am Telefon ist Matthias Dittmann, Präsident des Arbeitslosenverbandes. Herr Dittmann, das Arbeitslosengeld soll ja nach beiden Modellen auf 18 Monate beschränkt werden; Arbeits- und Sozialhilfe sollen zusammengelegt, wohl auch gekürzt werden. Was bedeutet das für Arbeitslose?

    Dittmann: Für Arbeitslose, Erwerbslose, sowohl für Arbeitslosengeld- als auch für Arbeitslosenhilfeempfänger bedeutet das natürlich einen erheblichen Einschnitt in ihre Lebensqualität. Es wird unterstellt, dass damit Armut steigt, weil auf der anderen Seite parallel die Arbeitsplätze, die Wirtschaftskraft, die da zu erwarten wäre, weder aus der Agenda 2010 noch aus den Vorschlägen der CDU/CSU herauszuschauen ist. Das ist ja nicht nur eine Annäherung von SPD, Bündnis90/Grüne und CDU/CSU oder FDP, sondern es ist ja letztlich, wenn man sich das Papier der CDU/CSU genau anschaut, sogar eine Verschärfung, und zwar nicht nur gegenüber der Agenda 2010, sondern auch gegenüber den eigenen Aussagen der CSU, dem Sanierungsplan von März diesen Jahres und auch gegenüber dem Drei-Stufen-Plan der CDU/CSU-Fraktion, indem man nunmehr versicherungsfremde Leistungen, zum Beispiel die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Strukturanpassungsmaßnahmen, Eingliederungszuschüsse, oder auch berufliche Weiterbildung aus den Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit generell streichen will. Man hat dem noch eins draufgesetzt und hat nicht wie im März gesagt, dass die Sozialhilfe unter bestimmten Bedingungen bis auf 75 Prozent gekürzt werden kann, sondern man positioniert sich nun neu und sagt, bis zu 30 Prozent, und die Krönung, wie man aus dem CDU/CSU-Papier vom 4. Mai in München rauslesen kann, dass bei kurzfristiger Arbeitslosigkeit sogar die Eigenverantwortung durch Selbstbeteiligung des Betroffenen reguliert werden soll, indem nämlich im ersten Monat 25 Prozent Senkung des Leistungsbezug angedacht ist. Insgesamt der Angriff der CDU/CSU-Fraktion auf den Kündigungsschutz ist schon sehr frappierend. Ich glaube, das wird Wirkung haben. Viele Kenner der Szene sind sich deutlich einig: Sowohl die Agenda 2010 als auch die Vorschläge der CDU/CSU werden nicht das bringen, was erwartet ist. Es wird nämlich Wirtschaftsstärke erwartet. Es werden Arbeitsplätze erwartet. Beide Ansätze, sowohl die Agenda 2010 wie auch die Vorschläge der CDU/CSU, werden dem wohl nicht gerecht werden.

    Engels: Aber Lohnnebenkosten senken, das gilt ja als Königsweg, um mittelfristig mehr Arbeitsplätze zu schaffen, und auch vom Kündigungsschutz erhofft man sich ja, dass mehr Flexibilität auch Neueinstellungen leichter macht.

    Dittmann: Das ist richtig, aber ich denke, den Beweis dazu ist man schuldig geblieben, weil die Maßnahmen zum Kündigungsschutz oder zur Lockerung des Kündigungsschutzes, wie sie jetzt im Prinzip vorgeschlagen sind, sind ja nicht die ersten. Es hat ja schon solche Dinge gegeben, und ich denke, wenn man sich den Vorschlag der CDU/CSU ganz pragmatisch anguckt, die Arbeitslosenversicherung von 6,5 Prozent auf 5 Prozent zu reduzieren und dafür entsprechende Maßnahmen in den Bereichen anzusetzen, wie ich eben gesagt habe, wenn Sie sich unter den Arbeitnehmern umschauen bei dem Lohngefüge in der Bundesrepublik Deutschland, dann sind das am Monatsende zwischen 15 und 30 Euro in der Lohntüte. Ich glaube, dass es das nicht sein kann. Es wird überhaupt in den Vorschlägen der CDU/CSU und selbst auch in der Agenda 2010 sehr wenig zum Osten gesagt, es wird die Absicht verkündet - das hört man auch bei CDU/CSU -, die Infrastruktur zu stärken, Investitionsprogramme bei den Kommunen aufzulegen, weil ich nicht auf der einen Seite sagen kann, dass ich Arbeitsmarktpolitik, ABM, SAM und öffentlich geförderte Beschäftigungssektor regionalisieren soll, und auf der anderen Seite lasse ich die Kommunen mit einem Finanzetat auf der Strecke, wo sie niemals dazu in der Lage sein werden. Also ich kann nicht das Eine tun und das Andere lassen. Der Konsens, also die Komplexität des Programms scheint uns im Prinzip zu sehr unausgewogen zu sein. Und, wie gesagt, die Zielrichtung geht auf Konsolidierung des Haushaltes, die Zielrichtung geht auf Einsparung, Einsparung bei den nun tatsächlich Ärmsten dieses Landes, und das kann es nicht sein und dazu können wir auch nicht stehen.

    Engels: Der Tagesspiegel berichtet heute, es gäbe Pläne in der Bundesregierung, für Langzeitarbeitslose ab 25 Jahren ein Sofortprogramm aufzulegen. Für einen Übergangszeitraum sollten rund 100.000 Stellen in Beschäftigungsgesellschaften und das Ganze in strukturschwachen Gebieten geschaffen werden. Das ist noch nicht bestätigt. Wäre das denn ein richtiger Schritt?

    Dittmann: Das wäre auf alle Fälle ein richtiger Schritt. Natürlich beschränkt man sich auf den Bereich der Menschen bis 25 Jahre. Das hat auch damit zu tun, dass natürlich Ausbildungsplätze fehlen. Das ist so angelegt wie dieses Jump-Programm oder das Programm "Jugend in Arbeit". Es kann ein richtiger Weg sein. Bemerkenswert ist, dass man sich wieder auf diese Personengruppe konzentriert, was richtig ist. Die Frage steht dann auch, was mit älteren Arbeitslosen passiert, mit Behinderten, mit Frauen. Also das ist wieder so eine Geschichte Lochstopferei, ich fange an diesem Punkt an, wobei diese Geschichte eigentlich seit Monaten bekannt ist, dass man dort rangeht. Das hat sich nach wie vor bestätigt - Florian Gerster wird es heute in der Verkündung der Arbeitsmarktszahlen sicher erwähnen -, wir werden bei 4,5 Millionen hängen bleiben.

    Engels: Sie haben es angedeutet, die Arbeitslosenzahlen für den Monat April werden heute bekannt gegeben, und Sie haben davon gesprochen in der Tat, sie sollen bei 4,5 Millionen liegen. Von wem fühlen sich die Arbeitslosen noch vertreten?

    Dittmann: Das ist eine sehr gute Frage. Wir haben den Eindruck - und die Tendenz nimmt zu -, dass der Arbeitslosenverband sich natürlich als Interessenvertreter für Arbeitslose in Deutschland etabliert hat, wir aber im Moment den Eindruck haben, dass der Schulterschluss deutlicher wird. Insofern gibt es auch diesen Aufruf der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di der gewerkschaftlichen Koordinierungsstelle in Bielefeld und des Arbeitslosenverbandes für den 17. Mai in Berlin zu einer Protestdemonstration gegen die angedachten Maßnahmen zum Sozialabbau in Deutschland. Ich denke, der Schulterschluss ist hier deutlicher geworden. Die Kräfte in Deutschland, die Interessenvertreter für Arbeitslose, Erwerbslose, schließen sich enger zusammen - den Eindruck muss man haben. Vor dem Hintergrund dessen, was in der Agenda 2010 passieren soll, ist es eigentlich nur notwendig.

    Engels: Vielen Dank für das Gespräch.

    Link: Interview als RealAudio