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Zu den Vorwürfen der USA an Syrien

Lange: Es mutet ein wenig an wie die Wiederholung eines Films. Das Land hat Massenvernichtungswaffen versteckt, es unterstützt den Terrorismus und hat womöglich untergetauchten Politikern des Nachbarstaates Unterschlupf gewährt. Die amerikanische Regierung hat nach dem Irak nun Syrien im Visier. Ein militärisches Vorgehen gegen das Regime in Damaskus ist nicht geplant, das hat US-Außenminister Colin Powell versichert, aber die politisch-militärische Lage ist eben doch eine günstige Gelegenheit, Syrien unter Druck zu setzen. Ob und mit welcher Wirkung, das wollen wir nun mit Professor Günter Meyer erörtern. Er ist Vorsitzender der Deutschen Arbeitsgemeinschaft Vorderer Orient und hat sich insbesondere mit Syrien beschäftigt. Herr Meyer, tut man dem Regime in Damaskus sehr Unrecht, wenn man es in einer Reihe stellt mit dem gestürzten Regime im Irak?

    Meyer: Das Regime in Damaskus ist überhaupt nicht zu vergleichen mit dem Terrorregime von Saddam Hussein. Wir haben es hier zwar mit einem autoritären Regime zu tun, aber es ist ein Regime, das allenfalls als moderat autoritär bezeichnet werden kann. Der junge Herrscher Baschar el Assad ist im Jahr 2000 an die Macht gekommen, und er wurde damals als die große Hoffnung des Landes zur Liberalisierung, zur Demokratisierung begrüßt. Die ersten 18 Monate hat er diese Erwartungen auch weitgehend erfüllt. Über 700 politische Gefangene wurden freigelassen. Er hat politische Gruppierungen zugelassen, die sich Gedanken über Demokratie gemacht haben. Selbst die Pressefreiheit wurde wiederhergestellt - seit mehr als 30 Jahren gab es keine freie Presse mehr in Damaskus. All das waren ganz positive Anzeichen, die dann allerdings Mitte 2001 doch deutlich wieder runtergefahren wurden, eingeschränkte Pressefreiheit, auch den politischen Zirkeln, die sich gebildet hatten, wurde deutlich gesagt, zu demokratisch darf es nicht sein, vor allen Dingen dürft ihr gar nicht kritisieren, was die Regierung macht. Das heißt, die Priorität, die ursprünglich auf demokratische, politische Reformen orientiert war, diese Richtung wurde geändert in wirtschaftliche Prioritäten, wirtschaftliche Reformen, und die Politik, die nutzen wir dann in der Form weiter, dass es nicht zu demokratisch werden darf, vor allen Dingen dass das politische System nicht kritisiert werden darf.

    Lange: Also Reformen, die sozusagen auf halber Strecke versandet sind?

    Meyer: Sie sind nicht unbedingt versandet. Wir müssen hier einfach die politischen Rahmenbedingungen dieses Regimes sehen. Wir haben eine Minderheit der Aleviten, die etwa 8 bis 10 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Diese Aleviten kontrollieren sämtliche Schlüsselstellungen der Regierung, der Baath-Partei, der Sicherheitskräfte und vor allen Dingen gerade auch des Geheimdienstes.

    Lange: Insofern eine Parallele zum Irak.

    Meyer: Insofern sogar noch eine krassere Parallele, denn nur 8 bis 10 Prozent etwa. Man muss das sehen aus der historischen Entwicklung. Die Aleviten, die im westlichen Berg an der Küstenebene, in der ärmsten Region des Landes leben, waren wirklich die Ärmsten in der osmanischen Zeit, auch noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Ihr einziger Aufstieg ging über die Streitkräfte, und dadurch haben sie es geschafft aufzusteigen, Offiziersränge, die Streitkräfte und auch die Baath-Partei zu kontrollieren, so dass sie sich damit in die Schlüsselpositionen hineingebracht haben.

    Lange: Jetzt ist Syrien zur Zeit politisch eingeklemmt zwischen der Türkei, Israel und dem Irak, der von den Amerikanern kontrolliert wird. Wie wirkt sich das denn wirtschaftlich aus?

    Meyer: Die Beseitigung von Saddam Hussein ist ein massiver wirtschaftlicher Rückschlag für die wirtschaftliche Situation von Syrien. Seit 1997 gibt es zunehmend enger werdende wirtschaftliche Beziehungen zwischen Syrien und dem Irak. Gerade im letzten Jahr wurden auch Abkommen über insgesamt sieben größere wirtschaftliche Projekte abgeschlossen, die gemeinsam zwischen syrischen und irakischen Staatsunternehmen durchgeführt werden, vor allem - ganz wichtig -, dass Erdöl aus dem Irak nach Syrien exportiert worden ist unter Unterlaufung des UN-Embargos. Die Pipeline zwischen Irak und Syrien, die 1984 geschlossen worden ist, ist wieder geöffnet worden, und dadurch hat Syrien in erheblichem Umfang billiges oder zum Teil sogar kostenloses Erdöl aus dem Irak bekommen und im Gegenzug dafür es ermöglicht, dass Etliches an Schmuggelwaren dann auch in den Irak gelangt ist.

    Lange: Also wenn man böse formuliert, eine Art von Kollaboration?

    Meyer: Es war eine wirtschaftliche Zusammenarbeit, von der Syrien erheblich profitiert hat und die es dem Irak ermöglicht hat, wichtige Güter, die unter das UN-Embargo gefallen sind, dann auch tatsächlich zu beziehen.

    Lange: Trauen Sie denn dem Assad-Regime zu, dass es nun Mitglieder der irakischen Führung aufgenommen hat und womöglich auch irgendwelche Massenvernichtungswaffen dort versteckt hat?

    Meyer: Wenn wir auf die Behauptungen von israelischer Seite zurückgreifen, dann ist die Liste der Anklagepunkte geradezu gigantisch. Es fängt damit an, dass behauptet wird, dass der Irak seine Massenvernichtungswaffen nach Syrien gebracht hat und von dort weiter zur Hisbolla im Süden des Libanon, um Angriffe gegen Israel zu fahren, dass osteuropäische Waffen in syrische Häfen angelandet worden sind und in den Irak gebracht worden sind, dass auch bei dem Staudammunglück im vergangenen Jahr 24 Flugzeuge mit Hilfsgütern aus dem Irak nach Syrien gekommen sind, die dann voll mit Waffen zurückgeführt worden sind, dass El Kaida-Terroristen unter syrischer Aufsicht im libanesischen Bekaa-Tal ausgebildet werden, dass die Familie von Osama Bin Laden vor dem 11. September in Damaskus gewesen ist und dass chemische Waffen hier produziert werden, also eine gigantische Liste von Anklagepunkten, die aber bisher in keiner Weise belegt sind. Die Frage, wie weit jetzt führende Mitglieder der Baath-Partei jetzt nach Syrien geflohen sind, kann bisher nicht beantwortet werden. Auf jeden Fall gibt es durchaus Hinweise, dass einzelne Mitglieder der Baath-Partei zurückgewiesen worden sind.

    Lange: Wird das Regime am Ende diesem Druck nun widerstehen können oder wird es Reformen eher beschleunigen?

    Meyer: Reformen in dem Sinne, dass hier eine Demokratie nach westlichem Muster eingeführt wird, zu solchen Reformen wird sich das alevitische Regime von Baschar el Assad nicht bereit erklären, denn es würde eine völlige Umstrukturierung der Machtverhältnisse bedeuten. Hier muss man auch sehen, dass das syrische Regime die volle Rückendeckung aller arabischen Staaten, insbesondere auch von Saudi-Arabien, vom Golfkooperationsrat bekommt. Von daher ist es eine ganz andere Ausgangssituation als im Falle von Saddam Hussein.

    Lange: Vielen Dank für das Gespräch.

    Link: Interview als RealAudio