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"Zu kauzig, zu besonders, zu schräg"

Siegfried Kauder (CDU), Vorsitzender im Rechtsausschuss des Bundestages, hat das Direktmandat in seinem Schwarzwälder Wahlkreis verloren. Der Fall des "kauzigen" Nonkonformisten zeige die Unreife der Parteien, die politische Auseinandersetzungen "persönlich-diffamierend" führen, meint Medienexperte Bernd Gäbler.

Bernd Gäbler im Gespräch mit Christine Heuer |
    Christine Heuer: Ellenbogen raus – Michael Brandt über den Fall Siegfried Kauder. Ist das bemerkenswerte Verhalten des kleinen Kauder im Schwarzwald-Baar, Kinzigtal, einfach eine Geschichte, wie sie passieren kann, oder ist der Fall symptomatisch? Steht er für etwas Allgemeineres, ein bestimmtes Verständnis von Politik, einen bestimmten Politikertypus?

    Was können wir daran ablesen über das Selbstverständnis und die Selbstdarstellung von Politikern? Ein weites Feld – der Medienexperte Bernd Gäbler wird es mühelos beackern. Guten Morgen, Herr Gäbler!

    Bernd Gäbler: Guten Morgen, Frau Heuer!

    Heuer: Kann so eine Geschichte nur im Schwarzwald spielen und nur mit Siegfried Kauder in der Hauptrolle?

    Gäbler: Na ja, deswegen ist sie interessant, weil es ein Kauder ist. Sonst, wenn da Herr Müller gegen Herrn Maier um die Nominierung für das Direktmandat zum Bundestag gekämpft hätten, dann wäre das wahrscheinlich ein Ding gewesen, was zwischen der "Neuen Rottweiler Zeitung" und dem "Schwarzwälder Boten" ausgetragen wird – so schauen wir halt drauf wie durch die Lupe und versuchen, Muster zu erkennen und zu fragen: Was ist da allgemeingültig dran an diesem Prozess, wie er sich dort im hinteren Schwarzwald abgespielt hat?

    Heuer: Also der Blick durch die Lupe: Was für ein Politikertypus ist Siegfried Kauder, wenn Sie ihn mit diesem Blick in wenigen Worten beschreiben sollen?

    Gäbler: Ja, natürlich, ein Kantiger, ein Konservativer, der vielleicht die Chance gehabt hätte, in der CDU eine Planstelle zu besetzen, die frei geworden ist seit dem Weggang von Koch, oder auch, seit Norbert Geis und Bosbach eher als Randfiguren wahrgenommen … nämlich die des nonkonformistischen Konservativen. Dazu müsste man exzellent sein gegen das – was er ja auch benannt hat – agile Mitläufertum angehen.

    Aber diese Chance hat er verpasst, weil er dann eben doch zu kauzig, zu besonders, zu schräg aufgetreten ist. Und wir lernen, glaube ich, daraus, dass erstens uns interessiert das Personal, also der kleine Bruder von Kauder, zweitens die Moral, also wie werden politische Auseinandersetzungen geführt – und wir haben den Eindruck, dass Neuorientierung einer Partei, die verloren hat insbesondere, vor allen Dingen über die persönliche Diffamierung, die persönliche Auseinandersetzung stattfinden –, und wir lernen, dass die Basis tut, was sie tun muss.

    Heuer: Kauder ist ein Konservativer, Sie haben ihn gerade beschrieben, er tritt ja in dieser Rolle auch als Hardliner auf. Kommt so etwas bei der Mehrheit der Deutschen eigentlich noch gut an?

    Gäbler: Das weiß man eben nicht. Also was wir dort sehen, ist ja zunächst einmal Provinz. Und die Frage ist, glaube ich, wenn wir in diese Nussschale der Provinz gucken: Ist das etwas Rückständiges, etwas Hinterwäldlerisches, oder – das muss man befürchten – zeigt die Provinz die Normalität, sind wir im Grunde genommen alle so, ein bisschen, ist der Gartenzwerg doch immer noch ein Grundtypus des Deutschen?

    Und da läge eine Chance, wenn man sagt, das, was wir machen, ist das Normale, und man würde Themen bearbeiten wie zum Beispiel Sicherheit, Ordnung und so weiter und dann sagen, das kann man nicht allein durch Integration und Toleranz erzielen – hier ist die Chance des Konservativen. Im Moment sieht es aber so aus, als würde sich der Konservatismus politisch handlungsunfähig machen, weil er kein geistiges Gegenbild zum Pragmatismus liefert.

    Heuer: Ja, wir hatten ja diese Rolle, die war ja besetzt, zuletzt war sie von Roland Koch besetzt, dem ehemaligen hessischen Ministerpräsidenten, der eine Law-and-Order-Politik vertreten hat. Was ist der entscheidende Unterschied zwischen Roland Koch und Siegfried Kauder, was kann Kauder von Koch lernen?

    Gäbler: Na ja, Siegfried Kauder hat jetzt gezeigt, dass er sozusagen nicht politikfähig ist, dass er den politischen Streit eben nur über die Diffamierung ausführt bis in diese Kuriositäten hinein. Deswegen interessiert uns das ja auch, dass die dritte Ehefrau, die vorher Angestellte in seinem Wahlkreisbüro war, dann der Kreisgeschäftsführerin das Hausverbot zustellt und Ähnliches, dass er Rundschreiben verfasst, in denen er akribisch auflistet, wie viele, 128, Parteiversammlungen er gemacht hat.

    Er ist einfach einer, der nicht sozusagen exzellenter Nonkonformist ist, sondern ein schräger Vogel, ein kauziger Nonkonformist, und das wird wahrscheinlich heute nicht mehr goutiert, da will man eher die Typen, wie sie jetzt Bürgermeister in Heidelberg sind, in Tübingen, egal, ob sie grün oder schwarz sind.

    Heuer: Oder eben in Donaueschingen, Thomas Frei, der Herausforderer.

    Gäbler: Genau. Dieses nette Örtchen kennen wir ja sonst nur von den Musiktagen, und jetzt haben wir es plötzlich als Tummelplatz eines Kampfes. Und wie gesagt, wenn wir Muster anlegen, muss man auch noch mal auf die Basis kommen, das finde ich auch ganz interessant: Die Basis tut, was sie tun muss, nämlich: Sie murrt. Und alle Parteien sind im Moment schlau genug, etwas einzuführen, was es sonst nur in der großen Politik gibt, gilt auch für die Grünen, nämlich eine Art konstruktives Misstrauensvotum. Also man watscht den, der es war, ab, aber wählt gleichzeitig einen Neuen, das aber nicht in Form einer sachpolitischen Auseinandersetzung, sondern immer einer persönlichen Querele.

    Heuer: Sie haben vorhin auch schon angesprochen: Natürlich gucken wir hin, weil Siegfried Kauder der kleine Bruder von Volker Kauder ist. Macht der das eigentlich besser als sein kleiner Bruder?

    Gäbler: Ja, und er ist natürlich ein, ja, eleganter Taktiker im Verhältnis zu diesem kauzigen Konservativen. Wenn man auf den Konservatismus guckt, glaube ich, gibt es im Moment ein Problem: Thomas de Maizière hat sich auch mal versucht, so zu profilieren, er hat so eine Art Zwei-Welten-Lehre aufgemacht, der hat gesagt, es gibt die Welt der Werte – da sind wir konservativ –, dann gibt es die Welt der Instrumente in der Politik – da kann man im Prinzip alles machen, da kann man auch gegen Kernkraft sein, da kann man auch für Gesamtschulen sein, das widerspricht nicht den konservativen Werten.

    Diese mangelnde Vermittlung von einer Grundhaltung hinein in operative Politik, die nutzt im Moment nur dem Pragmatismus, und darum ist der Vorwurf, den Kauder, der kleine Kauder, ein bisschen unbeholfen formuliert hat gegen diesen schicken, agilen, neuen Oberbürgermeister, 39 Jahre und im Maßanzug, eigentlich berechtigt, er sagt: Das sind alles nur agile Mitläufer. Da wäre ein Chance, die hat er natürlich nicht genutzt, sondern verspielt, und wir gucken, ob es auf den größeren Bruder abfärbt.

    Vielleicht ist auch das interessant, dass es jetzt so politische Familien gibt: Wir haben ja auch hingeguckt zur Nominierung nach Herne, weil da die junge Michelle Müntefering kandidiert hat, wir gucken auf die Landtagswahl in Hannover, weil da Doris Schröder-Köpf kandidiert. Also vielleicht bildet sich mal wieder so etwas heraus wie politische Familien, und die Familienerzählung ist für die meisten Menschen immer interessanter als der reine politische Sachstreit.

    Heuer: Dann macht die Politik auch den Beobachtern wieder mehr Spaß. Herr Gäbler, Siegfried Kauder hat viel geschwiegen, er hat manche buchstäblich ausgeschlossen, er ist ferngeblieben, wenn er gerufen wurde. Ist das in der Ära umfassender, ständiger Kommunikation eine Garantie fürs Scheitern?

    Gäbler: Es scheint so zu sein. Information ist inzwischen ein so inflationäres Gut geworden, dass eigentlich sie überall ohne jeden Preis billig und umsonst anzubieten ist. Hier gilt es nicht ganz, weil in der Regel ist es so, dass wenn etwas im Kleinen stattfindet, Medien, die sich damit beschäftigen, unkritischer werden, je näher sie dran sind.

    Und darum ist hier die Tatsache, dass wir alle hingucken, wir ja auch, tatsächlich eine Vergrößerung, Dramatisierung einerseits, aber andererseits zeigt es eben auch aus dieser Nussschale heraus doch deutliche politische Schwächen, ich würde so weit gehen, zu sagen, eine gewisse Unreife der Parteien, tatsächlich vorhandene, notwendige, politische Auseinandersetzungen um eine Linie auf dieser Ebene führen zu können.

    Sie wird immer im Moment mit Intrigen hinterhältig, persönlich-diffamierend geführt. Das ist wiederum was Schickes für die Medien, denn da können wir uns wieder als moralische Kontrolleure aufspielen.

    Heuer: Auf ein Neues – Bernd Gäbler, Medienexperte, im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Ich danke Ihnen sehr!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.