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Zu teuer für den Wettbewerb?

Vor dem EU-Gipfeltreffen nimmt die Energiedebatte neue Fahrt auf. Die Industrie hat Sorge, wegen zu hoher Energiepreise nicht wettbewerbsfähig zu sein. Jetzt müssen sich die Regierungschefs über bezahlbare Energie unterhalten.

Von Jörg Münchenberg | 21.05.2013
    Beim Mittagessen wollen sich die Staats- und Regierungschefs morgen auf ihrem Kurzgipfel mit der Energiepolitik befassen. So steht es im Einladungsschreiben von EU-Ratspräsident Herman van Rompuy. Konkrete Entscheidungen sind allerdings nicht zu erwarten, sondern vielmehr eine strategische Debatte über den Zusammenhang zwischen Wettbewerbsfähigkeit und Energiepolitik. Eine aus Kommissionsicht überfällige Debatte, für die seit Monaten Energiekommissar Günter Oettinger trommelt, so auch heute Morgen im Europäischen Parlament:

    "Wir müssen in Europa entscheiden, wie viel Geld können wir für Energie bezahlen. da geht es um den kleinen Mann, die kleine Frau. Aber es geht auch um Industriearbeitsplätze. Wollen wir in Europa Industriewertschöpfung dort haben, wo die Industrie energieintensiv ist? Die Grundstoffindustrie, Stahl, Chemie Aluminium – in all den Sektoren spielt heute das Thema Energiekosten eine größere Rolle als die Arbeitskosten. Deshalb brauchen wir im globalen Wettbewerb bezahlbare Energie"

    Damit ist ein neuer Zungenschlag in die Debatte gekommen. Denn bislang war der Ansatz ein anderer: Energie sollte teuer sein, um mit dem knappen Gut möglichst sparsam und effizient umzugehen. Doch inzwischen haben sich die Gewichte verschoben, zu Lasten der EU, warnt der zuständige Kommissar. Denn in den USA ist inzwischen der Gaspreis dramatisch gesunken, auch dank der umstrittenen Fracking-Methode, bei der Schiefergas mit einem Gemisch aus Wasser und Chemikalien aus dem Gestein gesprengt wird. Die günstigen Energiepreise dort lockten aber auch europäische Unternehmen, so Oettinger, der deshalb eine grundsätzliche Neupositionierung der EU fordert:

    "Wollen wir Energie verteuern oder wollen wir Energie günstiger machen für Energiearbeitsplätze und aus sozialen Gründen? Klar ist: der Gaspreis in Europa ist vierfach so hoch wie der in den USA. Der Strompreis ist doppelt so hoch"

    Und so heißt es auch im Entwurf für die Abschlusserklärung des morgigen Gipfels, die Versorgung mit erschwinglicher und nachhaltiger Energie sei entscheidend für die Schaffung von Jobs und Wachstum. Welche konkreten Folgen das aber mittel- und langfristig für die EU-Energiepolitik haben wird – beispielsweise auch eine Lockerung der Klimaschutzziele, wie dies die Industrie fordert – bleibt abzuwarten. Zumal der Handlungsbedarf insgesamt riesig ist: so sollen die Mitgliedstaaten an die europäischen Gas- und Stromnetze angeschlossen werden, was Milliarden kostet und erst in ein paar Jahren abgeschlossen sein wird.

    Zudem will die EU auch ihre Energieeffizienz bis 2020 um 20 Prozent verbessern, hinkt aber den eigenen Vorgaben hinterher. Schließlich soll auch die Energieversorgung breiter aufgestellt werden, um die Abhängigkeit von Strom und Gasimporten zu verringern. Energiekommissar Oettinger will dazu auch EU-weite Regeln für die Gewinnung des Schiefergases einführen, was jedoch bei vielen Mitgliedstaaten auf massive Bedenken stößt. Bislang wollen lediglich Polen und Großbritannien das umstrittene Fracking forcieren. Viel Stoff also für die Staats- und Regierungschefs morgen, die sich für die komplexen Energiethemen aber nur für die Dauer eines Mittagessens Zeit nehmen können.