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"Zu viel Gefühlsjournalismus"

Der Journalist und ehemalige Leiter des Adolf Grimme-Instituts, Bernd Gäbler, wünscht sich von den Medien eine sachlichere Berichterstattung über die aktuellen Terrorwarnungen.

Bernd Gäbler im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 24.11.2010
    Tobias Armbrüster: Es ist schwer, in diesen Tagen eine Zeitung aufzuschlagen, ohne darin etwas über Terrorwarnungen zu lesen. Eine Woche ist es erst her, dass der Bundesinnenminister zum ersten Mal vor einer akuten Terrorgefahr gewarnt hat, oder vielmehr davon gesprochen hat. Seitdem gibt es nicht nur eine Debatte über neue Sicherheitsgesetze, wir haben auch gehört von einem möglichen Anschlag auf den Reichstag, und immer wieder ist natürlich die Rede von Weihnachtsmärkten, die vielleicht auch ein Ziel von solchen Angriffen sein könnten. Wie offen sollen, wie offen dürfen die Medien über die Terrorgefahr berichten? – Darüber machen sich auch die Politiker ihre Gedanken. Volker Kauder, der CDU-Innenpolitiker, hat gestern eine Art Selbstzensur der deutschen Medien angeregt, und sein Parteifreund, Günter Krings, stellvertretender CDU-Fraktionsvorsitzender im Bundestag, ist ihm zur Seite gesprungen, gestern Abend im Interview hier mit unserem Programm.

    "Die Pressefreiheit in Deutschland ist ein sehr hohes Gut und ich bin sehr skeptisch, wenn es darum geht, jetzt durch Gesetze oder vielleicht gar durch Grundgesetzänderung hier Einschränkungen vorzusehen. Allerdings appelliere ich schon an alle Presseorgane, an alle Verantwortlichen, dass sie schon überlegen, was sie mit bestimmten Sendungen, mit bestimmten Abdrucken von Informationen anrichten. Ich bin auch der Auffassung, dass im Großen und Ganzen Journalisten da sehr verantwortlich agieren, dass sie nicht dazu beitragen wollen, dass man Gefährdungslagen künstlich verschärft."

    Armbrüster: Günter Krings, der stellvertretende Vorsitzende der CDU-Fraktion im Deutschen Bundestag. – Über die Rolle der Medien in Tagen der Terrorwarnungen wollen wir in den kommenden Minuten etwas ausführlicher sprechen. Am Telefon begrüße ich Bernd Gäbler, Medienwissenschaftler und ehemaliger Leiter des Adolf-Grimme-Instituts. Schönen guten Tag, Herr Gäbler.

    Bernd Gäbler: Guten Tag, Herr Armbrüster.

    Armbrüster: Herr Gäbler, was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie hören von Vorschlägen für eine Selbstzensur der Medien in Deutschland?

    Gäbler: Ich glaube, es kann nur eine absolute Ausnahmesituation geben, wenn völlig klar ist, dass eine Information unmittelbar Menschenleben gefährdet, dass es dann so etwas geben kann wie eine Schweige-Selbstverpflichtung von Medien. Ich erinnere mich daran, dass das gegeben war etwa in der Zeit der Entführung von Jan Philipp Reemtsma. Da wussten fast alle Hamburger Redaktionen damals bescheid und haben sich dann verständigt darauf, auf Bitten der jeweils ermittelnden Organe, darüber nicht zu berichten. Das kann man ausnahmsweise machen.
    Jetzt ist es ja so, dass der Bundesinnenminister gesagt hat, es gibt eine konkrete Gefahrenlage, ohne selbst das weiter zu konkretisieren, und da ist und bleibt es Aufgabe der Medien, nachzufragen, nachzuforschen, zu recherchieren, Fakten, Fakten, Fakten zu liefern, soweit das möglich ist.

    Armbrüster: Heißt das, wenn es zum Beispiel jetzt irgendwann tatsächlich einen ganz konkreten eindeutigen Hinweis der Geheimdienste auf einen Anschlag geben würde, der bevorsteht, könnte man oder sollte man dann den Medien auferlegen, darüber berichtet ihr nicht?

    Gäbler: Die Medien haben ja zurzeit sehr unterschiedliche Leistungen erbracht. Es war recht komisch: Die "Bildzeitung" kam eigentlich einen Tag zu spät mit der Terrorwarnung, der "Spiegel" ist am konkretesten geworden mit dieser Spekulation, es ginge um einen Anschlag auf den Reichstag, bereits sechs Terroristen wären hier eingeschleust. Wenn eine solche Information mit genügend Indizien einer Redaktion vorliegt, wird sie sicherlich auch danach fragen im Innenministerium, was ist denn davon zu halten, und wenn die dann sagen, jawohl, ihr liegt genau richtig und von den sechs Terroristen haben wir fünf im Auge, und um den sechsten auch noch zu verhaften bitten wir euch, mit dieser Information zurückzuhalten, dann muss man darüber diskutieren, ob man sie zurückhält. Aber eine generelle Idee, sozusagen eine Art nationalen Notstand, eine Art nationale Solidarität der Medien einzufordern, das ist nicht die Lage, dafür ist auch das, was Herr de Maizière gesagt hat, viel zu unkonkret. Alle, die sich da hervortun, von Herrn Kauder über Herrn Schünemann bis zu Herrn Bosbach oder Herrn Körting, um es parteiübergreifend zu sagen, wirken doch so, als wollten sie die Lage instrumentalisieren.

    Armbrüster: Das heißt, die Politiker instrumentalisieren und die deutschen Medien machen ihre Arbeit gut?

    Gäbler: Nein, sie machen sie nicht gut, aber es ist doch erfreulich, dass ausgerechnet der Innenminister selber, Thomas de Maizière, vor jeder Instrumentalisierung gewarnt hat, und das finde ich eine richtige Warnung, weil jede Maßnahme, Einschränkung der Pressefreiheit, besondere Maßnahmen zur Sicherheitspolitik, sollte man in Ruhe und nicht in einer solchen Erregung machen.

    Die Medien stehen vor einer objektiven Schwierigkeit. Sie haben eine wolkige Lage. Der Innenminister sagt, es ist eine konkrete Gefahr, aber die Konkretion wird nicht ausgesprochen. Wie verhalten sie sich da? Natürlich widersprüchlich! Die meisten Medien mahnen zur Zurückhaltung, aber agieren selber aufgeregt. Also ich kritisiere da besonders das ZDF im Moment. Da interviewen die Hausjournalisten ständig ihren eigenen stellvertretenden Chefredakteur, Elmar Theveßen, der dann als Terrorismusexperte auftritt, und mitten hinein in irgendwelche belanglosen Service-Sendungen und so weiter, und das ist vom Agieren her furchtbar aufgeregt, verbal eine Mahnung zur Zurückhaltung. Da ist ein Widerspruch.

    Ansonsten wird das Thema sehr stark breitgetreten in Talk-Sendungen, also Anne Will, Beckmann und so weiter. Das ist natürlich nicht konkrete Information, sondern eher so ein Gefühlsjournalismus, ein Fühlen am Puls der nationalen Stimmungen und das Signal, wir kümmern uns irgendwie. Auch das lässt so ein bisschen unbefriedigendes Gefühl zurück.

    Armbrüster: Haben Sie den Eindruck, diese vielen Berichte und auch Talkshow-Sendungen schüren die Angst vor Terrorismus?

    Gäbler: Nein! Ich glaube auch, dass es fast einen Widerspruch gibt zwischen den verbal beschwichtigenden, aber de facto aufgeregt agierenden Medien und dem Bewusstsein der Bevölkerung, was vielleicht in diesem Fall nicht so sehr an der Klugheit der Bevölkerung liegt, sondern daran, dass man natürlich ratlos ist, weil es gibt ja gar keine konkrete Verhaltensempfehlungen – was soll ich tun, wenn da gesagt wird, in Düsseldorf auf dem Bahnhof ist ein Müllkoffer enttarnt worden und da lag der Verkehr deswegen einige Stunden still. Medien erzählen, so wie heute etwa der Kölner "Stadtanzeiger", das dann auch im Wesentlichen nach, viel mehr können sie auch nicht, aber die Aufgabe zu recherchieren, zu gucken, was kriegen wir selber an Fakten heraus, und wenn man selber Fakten auf der Spur ist – zum Beispiel hat der "Spiegel" ja die nützliche Information gegeben, dass bedeutend mehr Deutsche in Ausbildungslagern im afghanisch-pakistanischen Raum sind, als wir bisher geahnt haben -, dann sind das durchaus journalistische Pflichten, denen Medien Genüge zu tun haben.

    Armbrüster: Das heißt, die Journalisten in Deutschland recherchieren in Zeiten dieser Terrorwarnungen nicht genug?

    Gäbler: Das finde ich ja, und wenn man dann Rechercheergebnisse hat, muss man die natürlich immer noch rückkoppeln. Ich finde, dass zu wenig Recherche-Journalismus und zu viel Gefühlsjournalismus betrieben wird, aber das ist ein generelles Problem, was in einer so zugespitzten Situation nur besonders deutlich wird.

    Armbrüster: Was machen Sie denn mit dem deutschen Innenminister? Den haben wir in den vergangenen Tagen in mehreren Talkshows gesehen, unter anderem – ich habe mal nachgezählt – bei Anne Will, im Bericht aus Berlin, bei Beckmann und dann auch noch im Morgenmagazin der ARD. Ist das zu viel Auftreten eines Innenministers?

    Gäbler: Ich weiß nicht, ob es zu viel ist. Was ich zumindest finde ist, dass von Auftritt zu Auftritt es kein Fortschreiten der Konkretion in der Warnung gibt, und da sind auch die Journalisten irgendwie nicht in der Lage, wirklich weiterzukommen. Was ich angenehm finde bei den Auftritten von Herrn de Maizière ist, dass er nicht vordergründig die Lage instrumentalisieren will zu weiteren Gesetzesverschärfungen oder Ähnlichem. Allerdings würde ich auch sagen, er hat jetzt genug damit getan zu sagen, Leute, ich bin nicht das Weichei, ich warne, Leute, die Lage ist gefährlich. Das haben wir jetzt begriffen, ohne genau zu wissen, um was es denn geht.

    Armbrüster: Hier bei uns im Deutschlandfunk war das Bernd Gäbler, der Medienwissenschaftler und Medienkritiker und ehemalige Leiter des Adolf-Grimme-Instituts. Ich danke Ihnen vielmals für das Gespräch.

    Gäbler: Schönen Tag noch!