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Zu wenige Frauen in der Wissenschaft

Nur 13,6 Prozent aller Professuren in Deutschland waren 2004 mit Frauen besetzt, von den höchstdotierten C4-Professuren sogar nur 9,2 Prozent. Damit rangiert Deutschland im internationalen Vergleich immer noch weit hinten. Das Kompetenzzentrum für Frauen in der Wissenschaft (cews) in Bonn hat zahlreiche Studien zum Karriereverlauf von Wissenschaftlerinnen ausgewertet, und erstaunliche Befunde veröffentlicht.

Von Hilde Weeg | 18.07.2006
    Nicht nur während des Studiums, der Promotion oder Habilitation erfahren Wissenschaftlerinnen noch häufig Benachteiligungen, sondern sogar dann, wenn sie sich erfolgreich im Wissenschaftsbetrieb durchgesetzt haben. Das ist nur einer der Befunde, die die Psychologin Dr. Inken Lind am Bonner Kompetenzzentrum für Frauen in Wissenschaft und Forschung zusammengetragen hat:

    "Wissenschaftlerinnen fühlen sich zu einem hohen Anteil nur etwas - oder gering - in die 'Scientific Community' integriert. Und dieser Anteil ist sehr viel höher, als man aufgrund der Erfolge und des aktuellen Karrierestandes erwarten könnte. Das ist für mich ein sehr überraschendes Ergebnis gewesen."

    Vor allem die ungeschriebenen Gesetze der "Scientific Community" haben auf den Karriereverlauf von Wissenschaftlerinnen einen starken, aber subtilen und damit schwer fassbaren Einfluss. So wirkt sich beispielsweise das akademische Vorbild der Mutter, auf die wissenschaftliche Karriere der Tochter stärker aus, als die Tätigkeit des Vaters auf den Sohn.

    Oder die "Selbstwirksamkeitserwartung", bei der die Bedeutung der eigenen Arbeit für die Allgemeinheit eingeschätzt wird. Frauen glauben seltener daran, dass ihre Arbeit allgemein bedeutsam ist - das aber spielt gerade für die wissenschaftliche Karriere eine große Rolle. Sie werden aber auch seltener ermutigt, und ihre Arbeiten weniger beachtet als die ihrer männlichen Kollegen:

    "Das beginnt früh, als Doktorandin: Wer wird zu welchen Veranstaltungen geschickt vom Doktorvater oder der Doktormutter? Wie ist es möglich, auch Zugang zu den informellen Netzwerken zu bekommen - da geben die Wissenschaftlerinnen schon an, dass das zu einem frühen Zeitpunkt begonnen hat, dass sie sich nicht in gleicher Weise integriert fühlen."

    Und das auch in den Kunst- und Kulturwissenschaften, wo der Anteil der Frauen bis zu 75 Prozent beträgt. Erstaunlich ist, dass prozentual sogar mehr Frauen in den Technik- und Naturwissenschaften bis an die Spitze kommen, also in den Bereichen mit hohem Männeranteil:

    "Es ist nicht so, dass die Masse der Frauen schon automatisch zu besseren Aufstiegsbedingungen führt. Das ist ein Missverständnis, das noch in ganz weiten Kreisen vorherrscht. Es ist nicht so, dass man vorne nur viele Frauen ´reintun muss, damit oben auch besonders viele Frauen ankommen."

    Ein Beispiel: Der Anteil der Absolventinnen in den Ingenieurwissenschaften beträgt 23, bei der Habilitation sind es noch 15 Prozent. Bei den Sprach- und Kulturwissenschaften halbiert sich dieser Anteil von 70 auf nur 35 Prozent, die sich habilitieren. Die Gründe dafür sind vielschichtig: Es spielt zum Beispiel eine Rolle, dass Frauen in den Natur- und Technikwissenschaften stärker in Teams arbeiten, dass sie Konkurrenzdruck und kompetitives Verhalten schon von Anfang an üben.

    Genauere Untersuchungen dazu stehen aber noch aus. Ein weiterer Nachteil - typisch besonders für die deutsche Forschungslandschaft: Oft wird gefördert, wer dem Professor gefällt - die Kriterien dafür sind selten objektivierbar.

    In anderen Ländern sind dagegen streng leistungsbezogene Verfahren weit mehr verbreitet - ein Vorteil für die Frauen. Besonderes Augenmerk verdient die Situation der Wissenschaftlerinnen in den neuen Bundesländern, die sich verschlechtert hat. Die Professorin Christine Uhlemann vom Kompetenzzentrum für Naturheilkunde an der Uniklinik Jena hat dazu eine klare Meinung:

    "Dieses dumme Gequatsche von Gleichberechtigung gab es im Osten nicht: Wir waren gleichberechtigt. Und ich merke, dass wir seit der Grenzöffnung einen Schritt zurückgehen."

    Uhlemann ist Gleichstellungsbeauftragte an der Universitätsklinik und mit über 60 Jahren lebens- und berufserfahren. Ihre Bilanz der deutsch-deutschen Entwicklung fällt in dieser Hinsicht eher nüchtern aus:

    "Ich wurde mal gefragt, nach der Grenzöffnung, wie ich denn die Männer zu unterscheiden habe zwischen Ost und West. Da habe ich gesagt: Im Westen werde ich von den Männern höflich ignoriert, im Osten akzeptiert und genau so isses."

    Um wirksam den Anteil von Frauen in Spitzenpositionen der Wissenschaft zu fördern, reicht es nicht aus, allgemein für Kinderbetreuung zu sorgen und Stipendien auszuschreiben. Eine Analyse der Strukturen in den einzelnen Bereichen und der positiven Förderfaktoren - und vor allem die Konsequenzen daraus für den wissenschaftlichen Alltag - stehen noch aus.