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"Zuerst müssen wir von den Schulden herunter"

Wie man trotz 30 Milliarden Euro neuer Staatsschulden auf die Idee kommen könne, Steuern zu senken, ist Sigmar Gabriel "völlig schleierhaft". Statt den von der Regierung versprochenen Entlastungen sollten jetzt so schnell wie möglich Schulden abgebaut werden, insistiert der SPD-Vorsitzende.

Sigmar Gabriel im Gespräch mit Dirk Müller | 11.07.2011
    Dirk Müller: Ja, wir werden die unteren Einkommen entlasten, wir werden die kalte Progression korrigieren, ja, wir werden die Sozialabgaben senken. Das ist der neue Dreiklang der FDP, der neue Dreiklang von Philipp Rösler, der noch recht neue Chef der Liberalen. Machen muss er das alles mit Angela Merkel, die keineswegs amtsmüde ist, wie wir dieses Wochenende erfahren konnte. Die Kanzlerin will 2013 noch einmal antreten.
    Das Steuerversprechen ist also wieder einmal gemacht von Schwarz-Gelb. Wer könnte was dagegen haben, wenn die arbeitende Bevölkerung künftig etwas mehr Geld im Portemonnaie hätte.
    Jetzt rückt heute Morgen aber auch noch ein anderes Thema ganz vorne auf die Agenda: Es geht wieder um Europa, es geht wieder um den Euro. Auch Italien ist offenbar bald pleite und der europäische Rettungsschirm soll erweitert werden auf die doppelte Summe, auf 1,5 Billionen Euro. - SPD-Chef Sigmar Gabriel ist jetzt bei uns am Telefon. Guten Morgen!

    Sigmar Gabriel: Guten Morgen!

    Müller: Herr Gabriel, ist nun langsam Ende der Fahnenstange?

    Gabriel: Das sagen wir ja schon eine ganze Reihe von Monaten. Was wir dort ja erleben in Europa ist, dass wir von Rettungsschirm zu Rettungsschirm handeln, ohne die eigentlichen Probleme zu klären, und das bedeutet erstens, wir müssen eine striktere Bankenregulierung haben, wir brauchen dringend eine eigene Rating-Agentur, diese Bewertungen von europäischen Mitgliedsstaaten durch US-Rating-Agenturen sind ja höchst fragwürdig, sie spekulieren heute gegen Griechenland, morgen gegen Spanien, jetzt gegen Italien, das müssen wir unterbinden, wir können nicht solche privatwirtschaftlichen Rating-Agenturen über das Schicksal ganzer Nationen entscheiden lassen und vor allen Dingen müssen wir uns zu dem bekennen, was eben zum Beispiel bei Griechenland notwendig ist: Schuldenschnitt und eine gemeinschaftliche Verbürgung eines Teils der Schulden durch die Europäische Union und durch die Mitgliedsstaaten. Das sagen wir seit Monaten. Nichts davon passiert und die Ansteckungsgefahr wird immer größer.

    Müller: Also Sie sagen ganz klar, es liegt auch daran, dass die Euro-Länder nicht konsequent genug sind, den Griechen nicht sagen, macht einen Schnitt und schuldet um?

    Gabriel: Es braucht eine Kombination. Die Griechen werden ihre Schulden nicht zurückbezahlen können, und wenn man jetzt den Schuldenschnitt macht, dann muss man natürlich auch Angst vor der Ansteckungsgefahr haben. Dann werden ja Kreditgeber denken, oh, vielleicht passiert uns das in Spanien und in anderen Ländern auch. Deswegen muss die Europäische Union parallel dazu einen nicht unerheblichen Teil dieser Schulden durch gemeinschaftliche Bürgschaften, Euro-Bonds, absichern. Und das Dritte, was sie machen muss, ist: Wir müssen investieren in Südeuropa und Südosteuropa. Dafür brauchen wir zusätzliches Geld, und dieses Geld müssen die Finanzmärkte selber bringen. Es ist gar nicht einzusehen, dass wir für jedes Brötchen und für jede Zeitung Umsatzsteuer zahlen in Deutschland, Mehrwertsteuer in ganz Europa, aber für keinerlei der Transaktionen am Finanzmarkt auch nur eine minimale Umsatzsteuer gezahlt werden muss. Diese Finanzsteuer auf den Märkten muss her. Die verdienen durch die Europäisierung, das sind die großen Gewinner der Globalisierung, die Finanzmärkte; dann müssen sie auch dazu beitragen, dass wir die Märkte einigermaßen stabilisieren und insbesondere in die Zukunft dieser südeuropäischen Länder investieren, sonst kommen die nie auf die Beine.

    Müller: Sie kritisieren die Rating-Agenturen, Sigmar Gabriel. Aber wenn Italien jetzt beispielsweise – das ist unser aktueller Fall seit heute Morgen – Pleite ist, nicht mehr zahlen kann, dann ist das doch Schuld der italienischen Politik?

    Gabriel: Das ist gar keine Frage, das war auch in Griechenland so und ist auch in Spanien nicht in Ordnung, dass mit Schwarzgeld gearbeitet wurde. Aber erstens: Die Europäische Union hat den ganz, ganz großen Fehler gemacht, das wissen wir seit Jahren, eine gemeinsame Währung zu bilden, ohne eine gemeinsame Finanz- und Wirtschaftspolitik. Dagegen sperren sich bis heute die europäischen Staaten und die Staats- und Regierungschefs. Ich sage immer, stellt euch vor, wir hätten 1948 die D-Mark gegründet und die elf Bundesländer, die es damals gab, hätten jeder ihre eigene Finanz- und Steuerpolitik machen können, das wäre auch schief gegangen. Wir müssen den Geburtsfehler des Euro beseitigen, und dazu zählt eine gemeinsame Finanz- und Steuerpolitik im Euro-Raum und dazu zählt eben, dass wir auch als Regierungen das offensiv angehen. Die Bundesregierung tritt da auf der Bremse. Und das Schlimmste ist ja: Draußen glaubt uns ja kein Mensch mehr. Alle drei Monate erklären wir, jetzt haben wir die Krise gelöst, und ein paar Wochen später kommen wir und sagen, wir brauchen viele, viele Milliarden mehr. Das liegt schlicht und ergreifend daran, dass wir uns da nur von Krise zu Krise hecheln, statt die drei Dinge zu tun, die nötig sind: Schuldenschnitt, Euro-Bonds und Investitionen in Europa. Wir diskutieren große Projekte wie erneuerbare Energien mit Afrika; warum fangen wir nicht mal in Andalusien und in Griechenland an. Da scheint die Sonne, da haben wir Photovoltaik-Möglichkeiten, das schafft Arbeitsplätze. Statt sozusagen Wolkenkuckucksheime mit der Wüste Saharas zu planen und viel Geld auszugeben, wäre es in Griechenland, in der Türkei, in Portugal schneller zu realisieren und würde dort wieder Hoffnung bringen.

    Müller: Nehmen wir das Stichwort, Herr Gabriel, was Sie genannt haben: Euro-Krise wird zur Glaubwürdigkeitskrise. Rettungsschirm, das ist das nächste Thema, die Zahlen, die wir heute Morgen bekommen haben. Es gibt jetzt Vorschläge, die Summe zu verdoppeln. Wir haben jetzt 750 Milliarden Euro, das ist doppelt so viel wie der Bundeshaushalt. Das Ganze soll jetzt noch einmal verdoppelt werden auf 1,5 Billionen Euro. Ist das eine Zahl, die Sie begreifen können?

    Gabriel: Nein und das wird auch ganz sicher kaum jemand auf der Straße begreifen können. Ich bin der festen Überzeugung, dass Menschen längst das Vertrauen verloren haben, dass die Politiker in Europa wissen, auf welcher Reise sie sind und wo das endet. Und das hat eben was damit zu tun, dass wir alle paar Wochen mit einem neuen Vorschlag kommen und jeweils behaupten, jetzt hätten wir es aber im Griff. Gar nichts haben wir im Griff und das ist eine entsetzliche Lage. Deswegen, finde ich, ist es eben dringend geboten, dass wir deutlich mehr tun, und zwar deutlich mehr tun hinsichtlich der Abgestimmtheit des Handelns in Europa. Zweitens, ich kann es nur wiederholen: Wir brauchen Entschuldung und Euro-Bonds. Beide Dinge müssen zusammenkommen. Und drittens: Wir brauchen diese Investitionen, sonst weiß ich nicht, wie das weitergehen soll. Italien ist eine andere Größenordnung als Staat als beispielsweise Griechenland.

    Müller: Reden wir über die deutsche Politik. Machen wir keinen Schuldenschnitt im Deutschlandfunk, sondern einen Themenschnitt. Vielleicht hängt das ja auch damit zusammen. In dieser Situation will die Regierung, die Bundesregierung, will Schwarz-Gelb entlasten: einerseits Steuern nach unten senken, zum zweiten Sozialbeiträge - die Rentenbeiträge sind da konkret in der Diskussion – nach unten korrigieren. Machen Sie da wenigstens mit?

    Gabriel: Also erstens, bei den Rentenbeiträgen wird ja nichts anderes vorgeschlagen als das, was im Gesetz steht. Da steht drin, wenn jetzt die Reserve aufgefüllt ist, dass wir dann die Beiträge senken sollen. Natürlich machen wir dabei mit. Wenn das darüber hinausgeht, allerdings passiert das auf Pump. Dann werden wir in den nächsten Jahren die Rentenbeiträge wieder erhöhen müssen, denn das ist ja etwas anderes, ob sie jetzt die Mindestreserve haben und die stehen lassen, oder ob sie die Mindestreserve wieder abschmelzen und bei der nächsten kleinen Krise haben sie dann wieder Rentenerhöhung. Ich glaube, dass man nichts machen darf, weder bei der Steuer - Ich weiß nicht, ob Sie mich noch hören.

    Müller: Jetzt können wir Sie wieder hören! Sie waren ganz kurz weg.

    Gabriel: Weder bei der Steuer, noch bei der Rente, noch sonst irgendwo bei Sozialabgaben wird die SPD eine Senkung auf Pump mitmachen. Wir haben jetzt immer noch knapp 30 Milliarden Euro neuer Staatsschulden. Wie man in der Situation auf die Idee kommen kann, Steuern zu senken, ist mir völlig schleierhaft. Zuerst müssen wir von den Schulden herunter. Wir sind in einer wirtschaftlich guten Verfassung. In diesen Zeiten muss man Schulden abbauen, so schnell man kann.

    Müller: Aber die Menschen hätten mehr Geld im Portemonnaie, würden dementsprechend nach der Theorie jedenfalls mehr ausgeben.

    Gabriel: Erstens: was passiert, wenn die nächste Krise kommt? Dann ist der Staat wieder massiv überschuldet. Das Zweite ist: was hilft es den Menschen eigentlich, wenn sie heute mehr Geld in die Tasche bekommen, der Staat hohe Schulden hat und wegen der dann eintretenden Inflation das Geld nichts mehr wert ist. Und was hilft es den Menschen, wenn wir jetzt die Steuern senken und die Kommunen kein Geld mehr haben und die Kindergartengebühren anheben? Ich glaube, die Menschen wissen sehr genau: man braucht als Staat Risikovorsorge. Jeder weiß, es wird nicht immer eine wirtschaftlich gute Zeit geben, sondern es wird auch wieder einbrechen. Jeder weiß, es gibt ungelöste Aufgaben gerade in den Städten und Gemeinden. Wir schließen die Theater, die Museen, wir sanieren die Schulen nicht, die sehen zum Teil unmöglich aus, wir haben kein Geld für Kindergärten, aber wir wollen die Steuern senken.

    Müller: Also im Bundesrat sagen die SPD-geführten Länder dazu nein?

    Gabriel: Mit absoluter Sicherheit nein. Bei den Sozialabgaben sagen wir ja, wenn es sich um die gesetzlich vorgesehene Rentensenkung handelt, gegen die ist gar nichts zu sagen. Aber wenn darüber hinaus Renten oder andere Beiträge gesenkt werden sollen, dann gilt das gleiche wie bei den Steuern. Dann ist das auf Pump und es vernachlässigt übrigens die großen Aufgaben. Wir wissen, wir behandeln viele ältere Menschen, die im Alter auf Pflege angewiesen sind, menschenunwürdig. Wir haben nicht genug Geld für Pflegepersonal, es ist keine Zeit da und ich finde, der Anstand einer Gesellschaft, der misst sich an der Frage, wie geht man mit Kindern um, aber wie geht man auch mit älteren Menschen um, die im Alter auf Hilfe angewiesen sind.

    Müller: Herr Gabriel, wir haben nur noch knapp eine Minute Zeit. Ich kann Ihnen das an diesem Morgen aber auch nicht ersparen, die nächste Frage. An diesem Wochenende lief das heiß in den Medien. Die Kanzlerin sagt, sie tritt 2013 noch mal an und würde vielleicht gerne wissen, wie viele andere auch, wie der entsprechende SPD-Gegner dann heißt. Wissen Sie das schon?

    Gabriel: Erst mal finde ich das eine echte Drohung, wenn Frau Merkel sagt, sie tritt noch mal an, weil ich meine, die hat nun dieses Land in den letzten zwei Jahren wirklich in einer Weise nicht regiert, das sollte man besser nicht fortsetzen. Natürlich hat Frau Merkel ein Interesse daran, dass wir jetzt von ihrer Politik ablenken und über Personen bei anderen Parteien reden. Das werden wir natürlich nicht machen. Die Bundestagswahl ist in zwei Jahren, jetzt reden wir erst mal über Politik und das, was in Deutschland nötig ist, und in einem Jahr werden wir Frau Merkel auch sagen, wer sie ablösen wird.

    Müller: Also Peer Steinbrück schließen Sie nicht aus als Spitzenkandidat?

    Gabriel: Nein. Warum sollte ich das tun? Ich schließe allerdings auch andere Personen nicht aus. Also die Meldung, Gabriel schließt Steinbrück nicht aus, die können Sie machen, aber sie ist nicht besonders aussagekräftig, weil wir wirklich mit ein paar Menschen gut unterwegs sind und werden Ende 2012 die Person wählen, die die besten Chancen hat.

    Müller: Und warum haben Sie von Hype gesprochen an diesem Wochenende mit Blick auf Peer Steinbrück?

    Gabriel: Na ja, weil natürlich bei den Medien mehr darüber diskutiert wird als in der SPD und in der Bevölkerung. Ich glaube, dass die Menschen jetzt Angst um ihr Geld haben, aber nicht sich die Frage stellen, wer ist der nächste Kanzlerkandidat. Also sagen wir mal, die Personifizierung von Politik, die in den Medien in den letzten Jahren und Jahrzehnten stattgefunden hat, die führt auch ein bisschen dazu, dass die Inhalte aus dem Blick geraten. Das ist ja auch die Strategie von Frau Merkel, dass sie über Personen reden will. Aber wir wollen jetzt mal über die Sache reden und wie man es besser machen kann.

    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk SPD-Chef Sigmar Gabriel. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Gabriel: Bitte! Auf Wiederhören.

    Die Äußerungen unserer Gesprächspartner geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.