Samstag, 27. April 2024

Archiv


Zukunft der Birthler-Behörde

Die Vizepräsidentin des Bundesarchivs, Angelika Menne-Haritz, sieht in einer möglichen Eingliederung der Stasi-Unterlagen-Behörde in das Bundesarchiv viele Vorteile. Die Forschung hätte nach einer Übernahme leichteren Zugriff auf die Akten, da sie dann nach dem Bundesarchivgesetz verwaltet würden, sagte Menne-Haritz. Die Birthler-Behörde hingegen räume der privaten Aufarbeitung Vorrang ein, der Wissenschaft werde der Zugang erschwert.

15.08.2007
    Christoph Schmitz: Früher war es die Gauck-Behörde, heute heißt sie Birthler-Behörde, nach ihrer aktuellen Leiterin Marianne Birthler. Ihr offizieller Titel: Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen deutschen demokratischen Republik, kurz BStU. Statt BStU wird die Einrichtung aber auf Stasi-Unterlagen-Behörde genannt, ein ordentliches Namenswirrwarr also, so wie die Verwirrung am vergangenen Wochenende, als es vom BStU, oder von der Birthler- oder Stasi-Unterlagen-Behörde hieß, ein neues Dokument mit eindeutigem Schießbefehl an der innerdeutschen Grenze sei von ihr entdeckt worden. So neu war der Fund aber nicht. Die Kritik an Marianne Birthler und ihrer Behörde flammte wieder auf, wie: Zögerliche Herausgabe wichtiger Unterlagen, Beschäftigung ehemaliger Mitarbeiter der Stasi, Verhinderung einer Offenlegung des Stasi-Netzes, Forschung unter Ausschluss der Öffentlichkeit, und so weiter, und so weiter. Vor allem in der CDU sprechen sich manche dafür aus, die Birthler-Behörde mittelfristig dem Bundesarchiv einzuverleiben. Welche Vorteile würde eine solche Übernahme für den Umgang mit den Stasiakten überhaupt bringen? Das habe ich die Vizepräsidentin des Bundesarchivs gefragt, Angelika Menne-Haritz.

    Angelika Menne-Haritz: Das sind vor allen Dingen zwei Aspekte. Der eine Aspekt ist, dass innerhalb des Bundesarchivs die Unterlagen nach dem Bundesarchivgesetz genutzt werden könnten, und das gibt sehr viel mehr Möglichkeiten als das BStU-Gesetz. Nach dem Bundesarchivgesetz gibt es die Möglichkeit, die Unterlagen sowohl für die Betroffenen, wie auch für die allgemeine Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen, und damit kann dann eine wissenschaftliche Forschung besser zugreifen, als sie es bisher kann. Das ist der eine Aspekt. Der andere ist der, das im Bundesarchiv schon die Unterlagen aus der staatlichen Verwaltung der DDR und aus der SED, der Staatspartei, vorhanden sind und dort auch benutzt werden können, das heißt, dass die Unterlagen der Stasi und des Ministeriums für Staatsicherheit im Zusammenhang mit den anderen Unterlagen im Bundesarchiv benutzt werden könnten und dann dort auch stärker die Zusammenhänge deutlich werden könnten.

    Schmitz: Würde es denn bedeuten, wenn die Birthler-Behörde Ihnen zugeschlagen würde, dass automatisch auch die Gesetzgebung für das Bundesarchiv greifen würde?

    Menne-Haritz: Also, es wäre eigentlich der Sinn dann, dass, bei einer solchen Zusammenlegung, dass der Zugang auch freier gestaltet werden kann. Bisher ist von dem BStU-Gesetz der private Zugang oder die private Aufarbeitung der eigenen Geschichte privilegiert worden und damit gleichzeitig der wissenschaftliche Zugang sehr stark reduziert worden und erschwert worden. Also, in dem Gesetz steht zum Beispiel drin, dass auch keine Findmittel Dritten zugänglich gemacht werden dürfen. Beim Bundesarchiv haben wir eine sehr ausgearbeitete Technik, um auch Findmittel im Internet zum Beispiel bereitzustellen und quer über die Bestände recherchieren zu können.

    Schmitz: Aber, Frau Menne-Haritz, Wolfgang Thierse meint immer wieder, auch jetzt, heute, in einem Artikel der TAZ, eine solche Eingliederung der Birthler-Behörde ins Bundesarchiv würde, Zitat, "mit Gewissheit zu Einschränkungen des Aktenzuganges führen". Liegt er damit falsch?

    Menne-Haritz: Da würde ich gerne mal mit ihm mal über das Archivgesetz diskutieren, denn die Möglichkeiten, gerade für die wissenschaftliche Forschung, sind nach dem Bundesarchivgesetz eindeutig größer. Das ist die wichtige Aufgabe der Stasi-Unterlagen-Behörde gewesen, Privaten den Zugang zunächst privilegiert zu geben zu den Informationen, die über sie selber gesammelt worden sind. Und das war auch das Neue und das war auch das Revolutionäre bei Einrichtung der Behörde. Inzwischen ist aber einige Zeit drüber hinweggegangen und die Anforderung, vor allem aus der historischen Forschung, werden größer, unabhängig vom Interesse an einzelnen Personen, die Mechanismen der Überwachung und der Unterdrückung untersuchen zu können. Und dazu braucht man andere Regelungen, und diese Regelungen sind zum Beispiel im Bundesarchivgesetz formuliert.

    Schmitz: Also, bisher haben Private bei den Stasi-Unterlagen den Vorrang, würde das denn weiterhin gewährt, wenn die Birthler-Behörde oder die Unterlagen der Birthler-Behörde bei Ihnen lagern würden?

    Menne-Haritz: Jeder hat nach dem Bundesarchivgesetz ein Recht darauf, seine eigenen Akten anzusehen und er hat auch zum Beispiel, wie es im BStU-Gesetz auch formuliert ist, ein Gegendarstellungsrecht, auch nach Archivgesetz.

    Schmitz: Die Wissenschaft kann auf den Datensatz, der bei der Stasi-Unterlagen-Behörde liegt, nicht rundherum zugreifen, da gibt es starke Einschränkungen?

    Menne-Haritz: Es wird privilegiert die private und individuelle Aufarbeitung, und das war meines Erachtens auch sehr gut und sehr wichtig für die letzten Jahre. Aber beeinträchtigt wird durchaus, wie Sie sagen, dadurch die Aufarbeitung im Zusammenhang, dass man feststellen kann, wie hat denn die Stasi gearbeitet, unabhängig jetzt von dem einzelnen Fall, um den es dann geht.

    Schmitz: Nehmen wir an, Ihr Archiv bekäme die Stasi-Unterlagen als Hardware. Wie würden Sie damit umgehen, was würde damit geschehen?

    Menne-Haritz: Also, die Unterlagen würden ja nicht nur ins Bundesarchiv kommen, sondern die Unterlagen, die jetzt bei den Außenstellen der BStU in den neuen Bundesländern sind, würden in die jeweilig zuständigen Staatsarchive übergeben werden. Und wir würden dann gemeinsam versuchen, möglichst bald Recherchiermöglichkeiten, breitestmöglich, bereitzustellen, und das bedeutet zum Beispiel auch ein Internet, was im Moment für die BStU nicht möglich ist.

    Schmitz: Zahlreiche Pannen sind bei der Stasi-Unterlagen-Behörde in den letzten Wochen, Monaten, geschehen. Wäre das im Bundesarchiv nicht passiert, oder sind das Dinge, die überall so ablaufen können?

    Menne-Haritz: Ich will nicht sagen, dass wir da besser funktionieren. Wir haben beim Bundesarchiv keine Abteilung für die Auswertung, für die Forschung, und wir haben beim Bundesarchiv keinen Forschungsauftrag selber, und das wird auch in der Öffentlichkeit und bei der Forschung diskutiert als etwas, was sinnvollerweise zu trennen ist. Und die Position würde ich auch unterstützten.

    Unsere Aufgabe ist die Dienstleistung für die Forschung und die Forschung interpretiert die Unterlagen, die wir bereitstellen. Und was die Forschung braucht, ist den offenen Zugang zu den Akten, um über verschiedene Interpretationen derselben Unterlagen auch diskutieren zu können.

    Schmitz: Angelika Menne-Haritz, Vizepräsidentin des Bundesarchivs, über die Vorteile, die Stasi-Unterlagen-Behörde dem Bundesarchiv einzugliedern.