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Zukunft der CDU
Kretschmer: Offenerer Blick ohne Merkel

Angela Merkels Entscheidung, sich vom CDU-Vorsitz zurückzuziehen, hält der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) für richtig. Schon jetzt sei die Diskussion im Bundesvorstand offener als zuvor, sagte er im Dlf. Dieser offene Blick sei nötig, um die aktuellen Herausforderungen zu bewältigen.

Michael Kretschmer im Gespräch mit Silvia Engels | 30.10.2018
    Michael Kretschmer (CDU), Ministerpräsident von Sachsen, gibt während der Sitzung des Sächsischen Landtags die Regierungserklärung zum Thema «Für eine demokratische Gesellschaft und einen starken Staat».
    Nach einem Moment des Innehaltens sei nun die Frage, wie geht es mit der Partei und was sind nun die entscheidenden Schritt, sagt Michael Kretschmer (dpa, Monika Skolimowska)
    Silvia Engels: Die Landtagswahlen in Bayern und Hessen sind vorbei. Bei allen Unterschieden der Länder gab es eine Gemeinsamkeit: Die in Berlin regierenden Parteien CDU, CSU und SPD wurden vom Wähler abgestraft. Die Konsequenz von Angela Merkel war deutlich: Sie tritt Anfang Dezember auf dem Parteitag nicht mehr als CDU-Parteichefin an. Was bedeutet das für die Union und was bedeutet das für die Unions-Ministerpräsidenten, besonders die, die im kommenden Jahr selbst Landtagswahlkämpfe zu bestreiten haben? Über beides wollen wir sprechen mit Michael Kretschmer. Er ist Ministerpräsident in Sachsen, von der CDU. Dort wird in knapp einem Jahr ein neuer Landtag gewählt. Guten Morgen, Herr Kretschmer.
    Michael Kretschmer: Guten Morgen.
    Engels: Nun ein Teilrückzug von Angela Merkel. Waren Sie überrascht?
    Kretschmer: Ja. Ich glaube, es waren alle überrascht, weil sie das ja doch sehr mit sich selbst ausgemacht hat. Auf der anderen Seite haben wir, glaube ich, alle empfunden, wie ernst es ihr ist, dass durch die CDU, aber auch durch Deutschland ein Ruck gehen muss und dass wir auch eine neue Sicht auf viele Themen, auf viele Herausforderungen brauchen und damit auch neue Lösungen. Das hat uns allen großen Respekt abverlangt.
    "Ein Moment des Innehaltens"
    Engels: Welche Reaktionen haben Sie denn unter Parteifreunden und vor allem aber von Menschen auf der Straße in Sachsen dazu bekommen?
    Kretschmer: Wenn man so lang zusammenarbeitet, 13 Jahre als Bundeskanzlerin und 18 Jahre als Parteivorsitzende, dann gibt es ja unglaublich viele Erlebnisse, schwierige Momente, auch Streit natürlich, und es ist eine große Verbundenheit da. Deswegen, glaube ich, war es für viele gestern erst einmal ein Moment des Innehaltens, auch erst mal überlegen, was habe ich alles gemeinsam mit dieser beeindruckenden Frau erlebt, und auf der anderen Seite auch, wie geht es jetzt weiter, was sind jetzt die richtigen Schritte.
    Engels: Da kommen wir gleich drauf. Sie heben die Verbundenheit hervor. Nun kann man aber auch nicht wegdiskutieren, dass gerade Angela Merkel in weiten Teilen Ostdeutschlands, gerade auch in Sachsen sehr unbeliebt ist. Wird nun der Landtagswahlkampf einfacher?
    Kretschmer: Nein. Das ist auch überhaupt nicht die Kategorie, in der ich denke.
    Engels: Aber das muss Sie doch interessieren.
    Kretschmer: Mich interessiert, wie eine Persönlichkeit, die erste Bundeskanzlerin, die es in Deutschland gegeben hat, eine Frau aus den neuen Bundesländern, jetzt für sich in dieser Frage entschieden hat, es muss jetzt mit einer neuen Person weitergehen, ich stelle mich nicht über die Interessen des Landes oder meiner eigenen Partei, und das finde ich total beeindruckend. Das wünscht man sich bei vielen Persönlichkeiten. Deswegen ist sie im Ansehen von vielen, glaube ich, auch mit dem gestrigen Tag noch einmal deutlich gestiegen. Wir haben ihr sehr viel zu verdanken. Deutschland ist durch die Finanz- und Wirtschaftskrise der Jahre 2008 und 2009 besser und stärker hindurchgekommen als alle anderen Länder, und es gibt viele andere Momente, wo wir froh sein konnten, dass wir sie haben, gerade auch in Europa. Sie hat Europa immer wieder zusammengehalten, und das ist ganz, ganz wichtig.
    Wer folgt auf Merkel?
    Engels: Dann schauen wir nach vorne. Zwei Spitzenpolitiker haben ihre Kandidatur für den CDU-Parteivorsitz bereits offiziell erklärt: Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und Annegret Kramp-Karrenbauer, die Generalsekretärin. Beide sind ja in der Partei gut bekannt. Sie haben sich allerdings gestern noch nicht festgelegt, ob und wer Ihre Unterstützung hat. Warum so zögerlich?
    Kretschmer: Weil ich finde, dass gerade diese Chance darin besteht, dass der Parteitag, die Mitglieder wirklich frei wählen können, dass es eine Auswahl gibt. Vielleicht gibt es auch noch einen dritten oder einen vierten Kandidaten. Auch das wäre vollkommen in Ordnung. Jetzt gleich am ersten Tag zu sagen, das ist mein Favorit, und damit auch ein Stück weit für die eigenen Mitglieder vielleicht in Sachsen zu sagen, in diese Richtung sollte es gehen, ihr solltet euch dahin orientieren, halte ich für falsch. Das ist eine große Chance, dass wir auf diesem Parteitag verschiedene Kandidaten haben, die sich vorstellen, mit denen man auch diskutieren kann, und dann werden die Mitglieder entscheiden auf diesem Parteitag, wer neuer Vorsitzender werden soll.
    "FDP und Grüne dürfen nicht abseits stehen"
    Engels: Jens Spahn gilt ja als Vertreter des konservativen Flügels, Annegret Kramp-Karrenbauer eher für eine Fortsetzung des liberalen Kurses unter Angela Merkel, wenn auch mit konservativen Einsprengseln. Steht Ihnen Spahn politisch näher?
    Kretschmer: Ich halte von diesen Schubladen gar nichts. Ich glaube, die gibt es vor allen Dingen in Berlin-Mitte und bei den Journalisten und Politikern dort. In Wirklichkeit geht es doch darum, wer kann jetzt in dieser Zeit mit einer großen Glaubwürdigkeit Menschen zusammenführen, auch auf andere zugehen, und dem Land und der Partei einen neuen Schwung geben. Dazu sind aus meiner Sicht beide geeignet und darüber hinaus auch noch andere Persönlichkeiten in der CDU. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass es jetzt vor allen Dingen nicht nur um eine Personalie geht an der Spitze der größten deutschen Volkspartei, sondern es geht darum, dass wir in Deutschland einen parteiübergreifenden Konsens bei einigen wichtigen Fragen brauchen, und da dürfen FDP und Grüne auch nicht abseits stehen. Die gefallen sich jetzt darin, ein bisschen vom Spielfeldrand zu diskutieren und zu kritisieren. Aber sie haben im Bundesrat auch eine ganz entscheidende Mitwirkungspflicht und der kommen sie derzeit nicht nach. Deswegen hängen viele Gesetze in diesem Bundesrat, und das ist nicht gut. Wir brauchen, glaube ich, auch in dieser Frage einen neuen Antritt.
    Engels: Einen Kandidatennamen müssen wir dennoch nennen. Friedrich Merz wird genannt. Offiziell ist das noch nicht bestätigt. Er ist früher Fraktionschef im Bundestag gewesen. Der CDU-Chef von Thüringen, Mike Mohring, ist skeptisch. Er hält eine Kandidatur von Merz für rückwärtsgewandt. Teilen Sie das?
    Kretschmer: Ich würde mich auch zu diesem Namen gar nicht anders äußern als zu den ersten beiden. Es ist eine Persönlichkeit, die in der CDU einen großen Respekt und eine große Anerkennung verdient, jetzt in der Tat schon einige Jahre nicht mehr politisch aktiv ist. Aber auch da gilt: Er ist Mitglied, er kann vorgeschlagen werden, er kann kandidieren, und dann gilt das gleiche. Dann wird darüber diskutiert und dann werden die Mitglieder abstimmen.
    "Müssen stark sein und in der EU Interessen bündeln"
    Engels: Sie haben es durchaus gelobt, dass eine Vielzahl von Kandidaten zur Auswahl stünden. Das ist die positive Lesart. Die negative wäre, ein Flügelkampf bricht aus. Sehen Sie die Gefahr nicht?
    Kretschmer: Nein, das sehe ich nicht, weil wir uns alle auch miteinander kennen, weil die Betreffenden auch miteinander ja über lange Zeit schon vertrauensvoll zusammengearbeitet haben, und wir sind uns der Verantwortung für Deutschland bewusst. Wir wollen, dass wir als CDU der stabilisierende Faktor in dieser Koalition sind. Wir sehen ja bei der SPD, wie schwierig das ist. Das wird jetzt alles ein bisschen über die Personalie in der CDU überdeckt, aber in Wirklichkeit ist dort ein großes Chaos ausgebrochen und man weiß gar nicht, wie lange da die Vorsitzende sich halten kann. Wir brauchen als Deutschland auch diese wichtige Rolle in der Europäischen Union. Wenn wir nicht mehr da sind, dann wird es auch für Europa keine gute Zukunft geben. Deswegen: Wir müssen stark sein, damit wir auch in der Europäischen Union die verschiedenen Interessen bündeln, ausgleichen können. Da sind wir uns in der CDU sehr einig.
    Engels: Stabilisierender Faktor ist ein gutes Stichwort. Nun hat ja gerade Bundeskanzlerin Merkel immer gesagt, um Stabilität auch als Regierungschefin zu gewährleisten, das Machtzentrum zu sein, müssen Kanzlerschaft und Parteispitze in eine Hand. Genau das haben wir jetzt nicht. Müssen diese Ämter bald wieder in einer Hand sein?
    Kretschmer: Sie hat das ja auch deutlich gesagt. Wenn sie sich vorgenommen hätte, nach 2021 auch weiterhin als Bundeskanzlerin zu arbeiten, dann hätte sie diesen Schritt jetzt nicht gegangen. Sie hat ihre Amtszeit bis 2021 jetzt erst einmal begrenzt und damit besteht die Möglichkeit für jemand anderen, sich auch noch mal zu profilieren, sich einzuarbeiten. Vor allen Dingen geht es ja wirklich auch darum, eine unverstellte Diskussion zu bekommen. Ich habe das gestern Nachmittag schon gemerkt im Bundesvorstand. Nachdem diese Entscheidung gefallen ist, gab es eine offene und viel offenere Diskussion als noch zuvor. Das ist genau das, was wir brauchen. Vor diesem Land stehen Herausforderungen, die aus meiner Sicht alle klärbar sind, aber man braucht diesen offenen Blick in der Migrationsfrage, in der Frage der Bürokratie, in der Frage, wie machen wir Deutschland leistungsfähig, wieviel trauen wir dem Einzelnen zu, wieviel soll der Staat machen. Das geht, glaube ich, in der Tat mit einem neuen Vorsitzenden oder einer neuen Vorsitzenden etwas leichter, und deswegen finde ich es richtig, dass es jetzt so entschieden worden ist.
    Merkels Rolle beim Brexit
    Engels: Sie sprechen von den Herausforderungen, die nach einer stabilen Regierung verlangen. Sollte Angela Merkel bis zum Ende der Legislaturperiode Bundeskanzlerin bleiben? Das ist ja noch bis 2021. Oder sollte für die Stabilität auch hier beim Kanzleramt ein Ämterwechsel innerhalb der Legislaturperiode kommen? Sollte sie früher gehen?
    Kretschmer: Na ja, jetzt steht vor uns natürlich eine ganz schwierige Frage. Das ist die ganze Brexit-Austrittsdiskussion, die ja jetzt auch entschieden werden muss. Und wir haben gemerkt, auch bei meinem letzten Besuch in London jetzt am 3. Oktober, wie sehr man auf Deutschland, wie sehr man auf Angela Merkel schaut. Deswegen, glaube ich, ist es gut, dass sie jetzt auch an der Stelle die Verantwortung wahrnimmt und gerade im Hinblick auf diese Brexit-Verhandlungen, die ja entscheidend sind für die Zukunft Europas, aber auch auf die Europawahlen im kommenden Jahr, jetzt hier Dinge zusammenführt, klären kann und das macht, was sie in Europa ja immer gemacht hat, die Interessen versucht auszugleichen.
    Engels: Sollte sie bis 2021 Kanzlerin bleiben?
    Kretschmer: Das hat auch sie am Ende in der Hand und muss sie auch entscheiden. Sie ist bis 2021 gewählt.
    Engels: Das heißt, sie sehen nicht das Auseinanderklaffen verschiedener Machtzentren, Parteispitze hier, Kanzlerin da?
    Kretschmer: Das ist - und das hat die Kanzlerin ja auch gesagt - nicht optimal. Sie geht diesen Weg, um jetzt einfach auch ein Stück weit Aufbruch mit zu erzeugen. Sie geht ihn in der Erwartung, dass derjenige, der Vorsitzende wird, vertrauensvoll mit ihr zusammenarbeiten kann und wird. Das ist die Voraussetzung selbstverständlich für alles, was danach kommt.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.