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Zukunft der EU
"Wir verändern Europa nicht im erforderlichen Tempo"

Energie, Klima, Digitalisierung: Bei all diesen Themen sei die EU nicht schnell genug, sagte Joachim Fritz-Vannahme, Europa-Experte der Bertelsmann-Stiftung, im Dlf. Statt auf außenpolitische Krisen sollten sich die Europäer auf ihre traditionellen Kompetenzen wie Wettbewerb und Binnenmarkt konzentrieren.

Joachim Fritz-Vannahme im Gespräch mit Mario Dobovisek |
Joachim Fritz-Vannahme, Bertelsmann-Stiftung, Direktor des Programms "Europas Zukunft"
Joachim Fritz-Vannahme, Bertelsmann-Stiftung, Direktor des Programms "Europas Zukunft" (Bertelsmann-Stiftung / Katrin Christiansen)
Mario Dobovisek: Am Telefon begrüße ich Joachim Fritz-Vannahme. Er ist Europa-Fachmann bei der Bertelsmann-Stiftung. Guten Tag, Herr Fritz-Vannahme!
Joachim Fritz-Vannahme: Guten Tag, Herr Dobovisek.
Dobovisek: Wenn Sie so etwas hören aus dem Erklärungsentwurf, zumindest aus dem, was daraus bekannt ist, gemeinsam durch dick und dünn gehen, ist das ein Aufbruch der Europäischen Union?
Fritz-Vannahme: Na ja. Es ist vielleicht eher das Gefühl, dass man im Augenblick in vielen Dingen zu uneins ist und das nach außen nicht als Bild abstrahlen möchte – einerseits, wie eben von Peter Kapern richtig beschrieben, im Augenblick der Europawahlen, andererseits aber auch natürlich gegenüber den geopolitischen Herausforderungen, von denen der Iran ja nur derjenige ist, der hier plötzlich die Tagesordnung gestört hat. Es gibt andere Herausforderungen: Wir haben einen Ukraine-Konflikt, wir haben Kriege im Nahen Osten, wir haben die Herausforderung durch eine Klimapolitik, die es so weltweit eigentlich gar nicht mehr gibt, auch wenn dauernd immer das Gegenteil behauptet wird. Es gibt genug Herausforderungen, als dass diese Europäische Union wenigstens im Deklaratorischen, sprich verbal, auf Papier und vor den Mikrofonen doch noch mal sagen kann, wir sind uns einig, wir sind wer, wir sind ein internationaler Akteur (wir möchten aber auch ganz gerne ernst genommen werden).
"Von der Bundesregierung bin ich schon seit geraumer Zeit enttäuscht"
Dobovisek: Wie wahrscheinlich ist es, dass aus diesem Gefühl, das Sie beschreiben, auch tatsächlich ein Handeln, ein gemeinsames, werden kann?
Fritz-Vannahme: Ja, das ist die entscheidende Frage. Ich freue mich in den letzten Monaten eigentlich immer, wenn Einigkeit wenigstens gegeben ist. Das geht beispielsweise beim Abschluss eines Handelsabkommens mit Kanada los, das geht weiter gegenüber der Handelspolitik und den Drohungen im handelspolitischen Bereich eines Donald Trump, bis hin zur Ukraine-Politik, wo ja auch alle immer wieder gesagt haben: Nein, diese Union, die wird sich irgendwann zerteilen in verschiedene Interessen und gegenüber Putin nicht mehr einig auftreten. Bisher tun wir’s.
Wir haben aber natürlich das andere Phänomen: Die Wirklichkeit überholt diese Europäische Union permanent und zeigt ihr, dass sie eigentlich immer noch viel zu wenig an Mechanismen einiger Entschlusskraft bereithält. Diesmal ist es der Iran; vielleicht ist es morgen, übermorgen Nordkorea. Ich weiß es nicht.
Wir sind einfach schlecht vorbereitet auf solche Herausforderungen, wo es ja nicht nur darum geht, Einigkeit verbal zu formulieren, sondern hinterher auch die Hebel in der Hand zu haben, die man umlegen kann, um einig zu handeln.
Dobovisek: Da kommen ja durchaus Ideen – Stichwort Sicherheitsrat Europas zum Beispiel -, Ideen aus Frankreich, Ideen aus Österreich. Jetzt hören wir auch Ideen aus Spanien, und die Bundesregierung schweigt weitestgehend. Sind Sie enttäuscht?
Fritz-Vannahme: Ja. Von der Bundesregierung bin ich schon seit geraumer Zeit enttäuscht. Das mag mit Gründen zu tun haben, die hier in der Innenpolitik liegen, die vielleicht auch mit dem Herbst der Kanzlerin zu tun haben, aber da passiert einfach viel zu wenig. Deutschland hat auch, wie ich finde, insgesamt – und das beziehe ich jetzt nicht nur auf die Politik – ein Selbstbild, das in vielerlei Hinsicht eigentlich eher selbstgerecht ist und nicht gerechtfertigt ist gegenüber der Wirklichkeit. Wir sind nicht die Stars in Europa; wir sind in vielen Bereichen noch nicht mal Champions League reif, um das mal fußballerisch zu formulieren, und das wird hier in diesem Lande einfach viel zu wenig diskutiert und auch reflektiert im Sinne von, was müssen wir denn jetzt tun, um es besser zu machen, von wem können wir in dieser Europäischen Union uns vielleicht was abschauen und abgucken.
"Wir brauchen eine europäische Antwort auf die Digitalisierung"
Dobovisek: Die Frage kann ich Ihnen ja gleichstellen. Was sollte die EU jetzt am dringendsten tun?
Fritz-Vannahme: Ich denke, dass es Stichworte sind, die wir gerade in unserem Gespräch noch gar nicht berührt haben. Ich denke ganz, ganz klar: Wir brauchen eine europäische Antwort auf die Digitalisierung. Die ist im Entstehen. Übrigens das Europäische Parlament muss man da sehr loben, weil es sich nämlich darum wirklich sehr aktiv gekümmert hat. Aber es gibt die europäische Antwort noch nicht. Wir haben es immer noch mit den fünf Oligopol-Firmen aus den USA plus einem chinesischen Herausforderer zu tun und formulieren da selber viel zu wenig. Wir sind beim Stichwort Energie und Klima hintendran. Wir sind nicht schnell genug. Wir verändern dieses Europa nicht in einem produktiven Sinne nach vorne, in dem Tempo, was eigentlich erfordert ist. Zur Artenvielfalt haben wir in den letzten Tagen einen Bericht nach dem anderen zu Gesicht bekommen, die uns sagen, es ist nicht eins vor zwölf, sondern es ist eins nach zwölf, tut endlich was.
Ich denke, in klassischen Bereichen, wo es um Dinge wie Binnenmarkt, Wettbewerb, Wettbewerbsschutz und so weiter geht, wo die Europäische Union traditionell immer sehr stark war, ist diese Europäische Union im Augenblick zu schwach, und ich erwähne mit Absicht jetzt nicht das Thema Iran oder das Thema Ukraine oder Nordkorea. Das sind alles wichtige Felder, aber da sind die Europäer natürlich nicht Herren ihrer selbst, sondern da werden sie auch getrieben von anderen Mächten und von anderen Kalkülen und sind vielleicht gar nicht so sehr überhaupt in der Lage, die Leistung zu bringen, die sie sich selber vorgenommen haben. Die Leistung müssen die Europäer da bringen, wo diese Europäische Union immer traditionell schon gut war, nämlich im Bereich Rechtsetzung, im Bereich Wettbewerb, im Bereich Binnenmarkt, und dort liegen auch genügend Herausforderungen für eine europäische Politik, die, wie eben gesagt wurde, weit über die Pfadfinder-Lyrik hinauszugehen hat.
Dobovisek: Dann lassen Sie uns trotzdem noch mal an den Anfang unserer Sendung zurückspringen, nämlich zum Iran, zu dem, was jetzt gerade so eklatant virulent ist, nämlich die Handlungsunfähigkeit nach außen hin der Europäischen Union. Wie sehr kann das alles andere blockieren?
Fritz-Vannahme: Na ja, die Europäische Union hat ja etwas getan, was im Prinzip sehr sinnvoll ist und übrigens auch in ihrer DNA irgendwo begründet ist, nämlich über Verhandlungsangebote und Kompromissangebote im Gespräch zu bleiben mit streitbaren, auch durchaus kriegerisch gestimmten Nationen, die sich nicht so einfach irgendwo friedfertig einordnen wollen. Und das hat ja immerhin bis vor einem Jahr auch durchaus funktioniert, solange die USA nämlich dabei waren. Das war ein einseitiges Aufkündigen erst mal vor einem Jahr durch den amerikanischen Präsidenten Trump, der damit ein Symbol setzen wollte, …
"Die Europäer waren vielleicht nicht entschieden genug"
Dobovisek: Damit hat das Sterben des Atomabkommens bereits angefangen.
Fritz-Vannahme: Richtig! Und damit hat er das Sterben eingeleitet. Das ist kein Verschulden der Europäer. Die Europäer waren vielleicht nicht entschieden genug, waren vielleicht nicht stark genug. Das kann man hinterher ja immer mit dem Thermometer in der Hand noch mal bewerten. Aber sie haben erst mal im Prinzip das Richtige getan.
Sie haben übrigens auch meiner Meinung nach jetzt das Richtige getan, indem sie dem iranischen Präsidenten Rohani gesagt haben: Hör mal her, mit Ultimatum kommst Du uns bitte nicht. Hier gibt es keine Ultimaten. Denn – jetzt komme ich wieder zu meinem Argument zurück – wir sind ja eigentlich in einem Verhandlungsprozess, in einem Beobachtungsprozess, unter Einbeziehung der Internationalen Atomenergiebehörde, und im Prinzip ist der Prozess ja eigentlich bisher ganz gut gelaufen (was nicht sehr gut gelaufen ist, ist die Rolle des Irans in den verschiedenen Konflikten im Nahen Osten, denn da treten die Iraner natürlich mit einer Energie als Kriegstreiber auf, über die man tatsächlich irgendwo diskutieren müsste).
Dobovisek: Machen wir da mal, Herr Fritz-Vannahme, einen Strich drunter, am Ende unseres Gespräches. Hat die Europäische Union mit ihrer Außenpolitik, so sie denn überhaupt gemeinsam existiert, jetzt noch die Möglichkeiten, sowohl in Washington als auch in Teheran die Kontrahenten wieder von der Palme zu holen?
Fritz-Vannahme: Wenn zwei so weit auf die Palme heraufgeklettert sind, dann weiß ich nicht, ob ich der dritte Affe sein will, der da auch noch hinterher klettert. Das ist irgendwo verfahren und ich sehe da im Augenblick nur ganz, ganz kleine Spielräume für eine Diplomatie, die zwischen Moskau und Washington dann doch noch zu vermitteln versucht. Aber das ist unter Umständen am Ende Mission Impossible.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.