Im Tierreich gilt Damenwahl. Ob Kranich, Riesenkänguru oder Paradiesvogel: Die Männchen fast aller Arten strengen sich an, um die Weibchen zur Paarung zu bewegen. Die promovierte Biologin Meike Stoverock beschreibt das so:
"Attraktive Männchen mit Hörnern, Geweihen, Schmuckfedern oder leuchtenden Farben machen ein Riesentamtam: Sie singen, schenken, bauen, drohen, sammeln, tanzen und imitieren Stimmen, dass den armen Weibchen ganz schwindelig wird vor Erotik."
Üblicherweise verfügen die Männchen über massenweise Samenzellen, mit denen sie die Weibchen begatten wollen. Für die Weibchen aber ist die Fortpflanzung viel aufwändiger, ihre Eizellen sind kostbar, die Brutpflege ist anstrengend. Deshalb sind sie wählerisch – sie bestimmen, welche Männchen sich paaren können.
Ein Naturgesetz wurde ausgehebelt
Nicht alle Männchen kommen zum Zug, viele bleiben ohne Weibchen und ohne Sex. Das ist die Female Choice, ein Gesetz der Evolution.
"Sex ist für Männchen eine begrenzte Ressource, die die Weibchen kontrollieren. Dass Männchen oft und hartnäckig versuchen, sexuelle Kontakte zu Weibchen herzustellen, und Weibchen diese Versuche fast immer ablehnen, ist kein Fehler des Systems – es ist das System."
Meike Stoverock breitet das Panorama evolutionsbiologischer Zusammenhänge genüsslich aus – und die Schlussfolgerung drängt sich bei der Lektüre zwingend auf: Menschen sind auch nur Säugetiere. Aus naturwissenschaftlicher Sicht muss für sie ebenfalls das Prinzip der Female Choice gelten. So war es wohl auch mal, legt die Autorin überzeugend dar.
"Die heutige Weltbevölkerung hat ungefähr doppelt so viele weibliche wie männliche Vorfahren, in präkulturellen Zeiten haben sich also ungefähr 70% der Frauen mit 35% der Männer gepaart."
Ehe verhindert männliche Sexualkonkurrenz
Was also ist passiert, dass wir heute in einer männlichen Zivilisation leben? Sehr kurz zusammengefasst erklärt es Meike Stoverock so: Mit der Landwirtschaft wurden die Menschen vor rund 10.000 Jahren sesshaft und die Frauen verschwanden im privaten Heim, wo sie sich um die Kinder kümmerten. Männer entschieden fortan über die Verteilung der Frauen. Sie erfanden die Ehe, um die männliche Sexual-Konkurrenz einzuhegen und den Zugang zu Sex zu sichern.
"Diese Unterdrückung […] ist das Fundament, auf dem die heutigen Staaten, politischen Systeme und Kulturkreise stehen."
Das ist eine radikale These – und Meike Stoverock plädiert für nichts weniger als eine neue Weltordnung. Allerdings denkt sie als Kennerin der Evolutionsgeschichte nicht in Jahren und Jahrzehnten, sondern eher in Generationen und Jahrhunderten. Und sie will auch keine Rückkehr zur Female Choice in Reinform, denn, so schreibt sie: "friedliches Zusammenleben und hohe Sexualkonkurrenz" schließen sich aus.
Das Phänomen der Incels
Doch sei die Zeit reif, das Zusammenleben von Frauen und Männern zu überdenken – zumal die Geschlechterverhältnisse ohnehin in Bewegung sind; Frauen zumindest in westlichen Gesellschaften werden freier und unabhängiger.
"Die Kultur, nicht die Evolution, hat bisher Frauen den Männern zur Verfügung gestellt - und damit brechen die Frauen jetzt."
Männer müssen bei der Lektüre dieses Buches tapfer sein – denn die Biologin geht davon aus, dass viele von ihnen keine Partnerin mehr finden werden. Was in dieser biologischen Sichtweise allerdings ausgeblendet wird: Männer und Frauen sind wohl mehr als die Summe ihrer Triebe. Sie binden sich nicht nur aneinander, um ein evolutionäres Fortpflanzungsprogramm zu absolvieren. Die Biologin dürfte aber mit ihrer Beobachtung Recht haben, dass die sogenannten Incels, die unfreiwillig zölibatär lebenden Männer, gefährlich werden können. Incels gebe es auch im Tierreich.
"Sie sind der ‚Rest‘, die Nicht-Premiummännchen, der nach dem evolutionären Aussiebungsprozess übrigbleibt und keine Chance auf Fortpflanzung hat. Nur durch die männliche Zivilisation, die Frauen kontrolliert und entrechtet hat, wurde dieses Phänomen bis heute unterdrückt."
Nun macht Meike Stoverock Vorschläge, wie das Zusammenleben von Männern und Frauen in einer post-männlichen Zivilisation aussehen könnte, einer Weltordnung, in der Frauen im Lauf ihres Lebens tendenziell mehrere Alphamänner auswählen, in der aber nicht jeder Topf einen Deckel findet. Sie rechnet ab mit der Institution der Ehe, in der sie ein Instrument der Unterdrückung von Frauen sieht, fordert eine Abkehr von der romantischen Vorstellung, dass Männer und Frauen in lebenslanger Monogamie glücklich werden können.
Männer, die in dieser neuen Weltordnung keine Frauen mehr finden, sollen auf andere Weise versorgt werden – Stoverock denkt über Sexualassistentinnen nach und über die Rolle von Prostitution, sie bezeichnet Pornografie als mögliche "gesellschaftsverträgliche Stütze" für Männer.
"Männer, die nie oder nur sehr selten Sexpartnerinnen finden, müssen ethische und gesellschaftlich akzeptierte Möglichkeiten bekommen, ihre sexuellen Bedürfnisse zu erfüllen."
Meike Stoverock hat ein aufwühlendes Buch geschrieben. Es ist radikal und provoziert manchen Widerstand. Damit geht sie klug und vorausschauend um und entkräftet Gegenargumente, die beim Lesen aufsteigen können. Man muss das nicht alles mögen, was sie schreibt, man kann sich empören über ihr Bild von Männern und Frauen, ihre Ablehnung der Ehe, die Art ihrer Religionskritik. Aber gerade deshalb ist ihr Buch so lesenswert – weil es dazu auffordert, völlig neu über das Verhältnis von Männern und Frauen nachzudenken und auch: zu streiten.
Meike Stoverock: "Female Choice. Vom Anfang und Ende der männlichen Zivilisation",
Tropen Verlag, 351 Seiten, 22 Euro.
Tropen Verlag, 351 Seiten, 22 Euro.