Mario Dobovisek: Gut gelandet, gut gelaunt - nach fast 200 Tagen im All ist Alexander Gerst zurück auf der Erde nach seiner Mission auf der Internationalen Raumstation als ihr erster deutscher Kommandant.
Am Telefon begrüße ich Reinhold Ewald. Einst war er selbst Astronaut, flog 1997 auf die russische Raumstation, die Mir, war lange für das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt tätig, für die Europäische Raumfahrtagentur, die ESA, und ist heute in Stuttgart Professor für Astronautik und Raumstationen. Guten Tag, Herr Ewald.
Reinhold Ewald: Guten Tag, Herr Dobovisek.
Euphorie um "Astro-Alex" kann der Raumfahrt helfen
Dobovisek: Sind Sie froh, dass Alexander Gerst und seine Kollegen wieder wohlbehalten zurück auf der Erde sind?
Ewald: Ich bin froh, dass er gesund und munter und so, wie ich ihn heute Morgen auch im Fernsehen gesehen habe, voll fit wieder zur Erde zurückgekommen ist. Das bestätigt, dass er erstens selbst natürlich diszipliniert trainiert hat, alle guten Ratschläge der Ärzte und Fitness-Trainer beherzigt hat, zum zweiten aber, dass wir auch nach wie vor im Weltraum leben können, Sinnvolles tun können. Das hat Alexander Gerst ja in vielen Tweets, mit vielen Berichten auch immer wieder berichtet.
Dobovisek: Wir mussten ja auch beobachten, wie der Rückflug verschoben wurde. Die Sojus-Raumkapsel hatte ein kleines Loch, das erst geflickt werden musste. Das hätte gefährlich werden können. Zeigt uns das, dass Raumfahrt nach wie vor alles andere als Routine ist?
Ewald: Ja. Routine war der Flug sicherlich nicht, insbesondere auch, weil natürlich die ganze Ablösesequenz durcheinander kam. Ich bin der Meinung, dass wir da differenzieren müssen. Die Sojus als Raumkapsel hat prima funktioniert. Immerhin hat sie in diesem Falle (damals auch) zwei Menschen das Leben gerettet, indem sie sich von diesem explodierenden Träger der Sojus-Rakete dann abgesprengt hat. Da, denke ich, hat auch Alexander Gerst das Gefühl gehabt, ich bin hier in diesem Cocoon, in dieser Kapsel relativ sicher. Wir hatten heute sogar einen sehr angenehmen Rückflug, vergleichsweise, denn die Überlastung war deutlich unter dem, was bei normaler Rückkehr zu erwarten war. Also haben sie vielleicht auch ganz geschickt noch gesteuert.
Dobovisek: Jetzt feiern Raumfahrt-Experten und Wissenschaftler die Mission von Alexander Gerst und den Kollegen als großen Erfolg. "Astro Alex", wie er sich selber bei Twitter nennt - Sie haben das gerade selber angesprochen -, ist hierzulande ja so was wie ein Popstar geworden. Über eine Million Follower hatte er, ständige Auftritte im Fernsehen, zum Beispiel in der Sendung mit der Maus. Wie wichtig ist es, diese Euphorie - so könnte man das ja vielleicht nennen -, die es da gerade gibt, auch für die Zukunft der Raumfahrt zu nutzen?
Ewald: Vor allen Dingen kann diese Euphorie helfen, auf die wirklichen Vorteile von Raumfahrt hinzuweisen. Deutschland, Europa, wir sind aufgerufen, an dieser Zukunftstechnologie teilzuhaben. Da ist die bemannte Raumfahrt, das was Alex so prima vorgeführt hat, ja nur ein Teil. Es gilt, diese ganze Kette von der Möglichkeit, Satelliten auszurüsten, hochwertige Weltraumtechnik zu integrieren, über den Start, ich sage mal, die Ariane-Rakete bis auch zur Betreuung am Boden, die ganzen Kontrollzentren (und die Teams darin wollen ja auch angelernt sein) zu beweisen. Da ist die Raumstation ein prima Beispiel, wie Deutschland im europäischen Kontext und dann noch mit internationalen Partnern Erfolge schaffen kann.
Zusammenarbeit im All ein Vorbild
Dobovisek: Wie wichtig ist diese Zusammenarbeit?
Ewald: Die Zusammenarbeit ist für die großen Raumfahrtdinge unentbehrlich geworden. Das sieht man an vielen auch dieser Planetensonden, die mit Instrumenten, mit Unterstützungsdiensten aus aller Welt bestückt sind, ob es eine deutsch-japanische Mission ist zu einem Asteroiden, oder im europäischen Umfeld mit einem amerikanischen Startgerät. Das sind solche Dinge, die dann wirklich eine Rolle spielen, wo man vertrauensvolle Zusammenarbeit und auch ohne Zollgrenzen und ohne wirtschaftliche Vorbehalte dann einfach mal beweisen muss. Nur so kommen wir zum Mond, nur so können wir überhaupt auch über einen Mars-Flug reden.
Dobovisek: Wenn wir zurückkommen zu der bemannten Raumfahrt und zu diesem Thema. Im Moment fliegen ja die Amerikaner und Europäer per Anhalter in die Galaxis, nämlich an Bord der russischen Raumfähren. Ist das ein Gegenbeispiel, ein krasses Gegenbeispiel zu diesem erstarkten Unilateralismus, den wir am Boden beobachten?
Ewald: Und die Zusammenarbeiten an Bord, diese freundschaftliche kollegiale Zusammenarbeit in dem Bewusstsein, dass die Aufgabe groß genug ist, um wirklich diese Gemeinschaft dann auch zu bilden. Ja, das ist ein Beispiel, das ist ein gutes Beispiel. Übrigens es gab ja auch schon einen Preis, einen Preis des westfälischen Friedens für die Zusammenarbeit der Internationalen Raumstation, und in diesen Zeiten wünsche ich mir, dass da mehr Unternehmen auf der Erde auch sich ein Beispiel an dieser Zusammenarbeit im All nehmen.
Gelder für Raumfahrt sind "Hochtechnologieförderung"
Dobovisek: Gut 150 Milliarden Euro sind bereits allein in die ISS und alles was dazugehört geflossen. Raumfahrt ist richtig teuer. Die Milliarden werden aus Sicht der Kritiker buchstäblich in den Wind geschossen. Dennoch schaffen wir es noch nicht einmal, zurück zum Mond zu fliegen. Wie könnte es mit der bemannten Raumfahrt weitergehen?
Ewald: Was die Raumstation natürlich gemacht hat, dieses Geld ist auf der Erde ausgegeben worden. Dieses Geld ist ja gerade auch in Europa eins zu eins wieder zurückgeflossen in Industrieaufträge, die dann teilhaben an dieser Hochtechnologie. Vieles von dem, was wir an Bord erforschen, auch gerade in der Medizintechnik erforschen, ist eins zu eins auf der Erde einsetzbar. Die hochwertigen Materialien, die Raumfahrt erfordert, sind natürlich auch von Belang für die Erde. Da sind die Firmen jetzt nicht so, dass sie sagen, ich mach mal extra Raumfahrt und dann komme ich wieder ins Alltagsgeschäft, sondern das vermischt sich ja. Das heißt, diese 150 Milliarden - sei es mal dahingestellt - sind auf jeden Fall Hochtechnologieförderung gewesen.
Dobovisek: Aber ist das ein Luxus, den wir uns im Grunde vor den großen Herausforderungen dieser Welt eigentlich gar nicht leisten können?
Ewald: Na ja. Manchmal ist es ja so, dass man was anfängt, und erst zehn Jahre später stellt man fest, da bin ich aufs richtige Pferd gestiegen. Diese ganze Raumstationszusammenarbeit hat ja 1989 angefangen und trägt jetzt Früchte. Da muss man einen langen Atem haben. Da kann man nicht jetzt von Legislaturperiode zu Legislaturperiode sagen, das ist mein Steckenpferd und das andere stelle ich ein. Da bin ich froh, dass wir das mit ruhiger Hand und mit langem Atem eigentlich in Europa im Zusammenschluss der ESA, aber auch bei den Unternehmungen, die die EU zum Beispiel in der Raumfahrt anfängt, unternehmen.
Dobovisek: Der lange Atem scheint, in Amerika nicht ganz so weit zu reichen. US-Präsident Donald Trump hatte ja angekündigt, die USA wollen für die ISS kein Geld mehr ausgeben ab 2025. Wäre das das Ende der Raumstation?
Ewald: Nun ja, das ist das Ende des Betriebs, wie wir ihn kennen, der Raumstation. Und ich muss ja sagen, dass Europa auch erst mal nur bis 2024 sich verpflichtet hat. Dass da andere Nutzungsformen der Raumstation vielleicht danach kommen, ob es ein bisschen bunter wird mit mehr Touristen oder mehr den Aspekten des Sightseeing aus dem Weltall, oder ob es auch …
"Erstrebenswert, Menschen ins All zu schicken"
Dobovisek: Und das ist erstrebenswert aus Ihrer Sicht?
Ewald: Es ist auf jeden Fall erstrebenswert, die Möglichkeit zu erhalten, Menschen ins All zu schicken. Ich bin natürlich ein Vertreter, wo ich sage, das soll auch dann Benefits ergeben. "Fort he Benefit of all" sind wir ja zum Mond geflogen. Es sollte eine ethisch vertretbare Grundlage haben. Aber wenn, wie wir das ja auch mit den Touristen im All gesehen haben bei den Russen, das dazu beiträgt, eine solche Infrastruktur zu erhalten - ich habe kein rechtliches Mittel, das zu verhindern. Das wird passieren. Wir sehen das ja in Amerika mit diesen kommerziellen Firmen. Elon Musk ist da der Vorreiter, aber auch Besos und andere, die sich jetzt ausrüsten, im nahen Erdorbit zumindest kommerzielle Dienste anzubieten. Das wird sich erweitern und das ist eine gute Grundlage, wo wir dann vielleicht tatsächlich von den Agenturen her neugiergetriebene Explorationsmissionen draufsetzen können.
Dobovisek: Erst die Raumstation, dann vielleicht der Mond, irgendwann der Mars. Wann rechnen Sie, realistisch gesehen, mit dem ersten bemannten Flug zum Mars?
Ewald: Ich bin da nicht ungeduldig. Wenn wir aus der Perspektive des Jahres 2099 (Sie und ich) zurückschauen auf unser dann abgelaufenes Jahrhundert und da gibt es einen Fußabdruck von Menschen - ich hoffe, ganz viele gehen als Gruppe gemeinsam zuerst auf den Mars -, gibt es diese Fußabdrücke auf dem Mars, dann haben wir das geschafft, was wir eigentlich am Ende des vorigen Jahrhunderts mit dem Rückblick auf die Mondlandung auch hatten. Ob das jetzt 2050 passiert oder - 60, da bin ich nicht ungeduldig. Hoffen wir mal, dass ich es noch erlebe, aber wenn nicht, hat wirklich dann die nächste Generation verdient, dass auch das in die Geschichtsbücher eingeht.
Dobovisek: Bis dahin werden wir den Mars zumindest in Science Fiction Filmen erleben dürfen. - Reinhold Ewald - er war Astronaut und ist Raumfahrtprofessor an der Universität Stuttgart. Ich danke Ihnen für das Interview.
Ewald: Gerne!
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