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Zukunft von Mossul
Schiiten fürchten Spaltung des Irak

Die Befreiung der irakischen Stadt Mossul vom IS ist noch in vollem Gange, da schmieden Politiker bereits Pläne für die Zeit nach der Herrschaft der Terroristen. Der Ex-Gouverneur der Ninive-Ebene will aus der Provinz eine autonome Region machen - und die Minderheit der Sunniten stärken. Viele Schiiten befürchten dadurch neues Chaos.

Von Björn Blaschke | 26.10.2016
    Ein irakischer Soldat steht unter einer Fahne in einem Dorf südlich der irakischen Stadt Mossul, die von der Terrormiliz IS befreit werden soll.
    Irakische Soldaten halten eine Position in einem Dorf südlich der irakischen Stadt Mossul, die von der Terrormiliz IS befreit werden soll. (afp / Ahmad al-Rubaye)
    Irakische Soldaten haben die Straße gesperrt. Hier kommen nur noch Sicherheitskräfte weiter. Hinter dem Posten, am Horizont, da wo die Steppen-artige Ebene zu enden scheint, steigen Rauchsäulen auf; ein umkämpftes Dorf. Sehnsüchtig warten ein paar Männer darauf, dass die Soldaten den IS vertrieben oder getötet haben werden. Es ist ihr Dorf; die Männer flohen vor zwei Jahren vor den Terroristen, und jetzt wollen sie sehen, was aus ihrem Zuhause wurde. "Die Armee sagt, wir müssen aufpassen, denn es können Kämpfer oder Scharfschützen in Tunneln oder irgendwo sonst versteckt sein... . Und dann kommen sie plötzlich raus...!"
    Wie sieht sie aus, die Zukunft der Provinz?
    Weder wissen sie, was sie erwartet, noch wann die Armee ihr Dorf für befreit erklären wird. Und so mögen sie auch nicht so richtig etwas zur Zukunft sagen - zu ihrer oder zur Zukunft ihrer Provinz. Pläne schmieden derweil andere. Politiker. Zum Beispiel Atheel al-Nujaifi. Er ist der ehemalige Gouverneur der Provinz Ninive, deren Zentrum Mossul ist. 2014 floh Nujaifi vor dem IS aus Mossul nach Irakisch-Kurdistan. Die autonome Region hat ein Parlament, eine Regierung und eine eigene Sicherheitsstruktur – ähnliches will Nujaifi auch für Ninive und Mossul in der Zeit nach dem IS:
    "Mein Plan ist, die administrative Struktur der Provinz Niniva zu verändern: Aus der Provinz soll eine autonome Region werden. Es kann nicht so bleiben wie früher. Ninive soll Teil des Irak bleiben und der Verfassung des Landes verpflichtet. Aber: Wir brauchen eine eigenständige Region, die in mehrere Provinzen aufgeteilt wird - für alle Minderheiten eine, wie (für die Jeziden) Sinjar und (für die Turkmenen) Tel Afar."
    "Hüter von Ninive" sollen über mehrere Tausend Kämpfer verfügen
    Nujaifis Argument: Viele sunnitische Araber in der Provinz Ninive unterstützen den IS anfänglich, weil sie in der Organisation eine Alternative zur schiitisch dominierten Regierung in Bagdad sahen. Denn die diskriminierte die Sunniten gezielt. Daher will Nujaifi in der Zeit nach dem IS eine politische Stärkung der Minderheiten des Irak – also auch der Sunniten. Eine autonome Region, die irakische Verfassung würde die erlauben. Viele Schiiten, die die Politik des Irak wesentlich bestimmen, fürchten jedoch, dass Nujaifi – selbst ein sunnitischer Araber - auf eine Spaltung des Irak aus ist.
    Eine Miliz hat er bereits gegründet: Den so genannten "Hütern von Ninive" gehören angeblich mehrere Tausend Kämpfer an; alle sunnitische Araber. Das Pikante daran bringt Nujaifi selbst auf den Punkt: "Unsere Leute sind von der türkischen Armee trainiert worden. Und immer noch sind türkische Ausbilder in unserem Lager. Wir haben immer noch ein Lager in Basheeqa, in dem die türkische Armee auch noch immer unsere Leute trainiert." Doch ein Gericht in Bagdad hat kürzlich gegen Ex-Mossul-Gouverneur Nujaifi Haftbefehl erlassen – der Vorwurf: Spionage für einen ausländischen Staat. Nujaifi habe die Stationierung türkischer Truppen im Irak ermöglicht.
    Verwerfungen zwischen Ankara und Bagdad
    "Ich denke, es gibt immer ein Missverständnis (bei diesem Thema): Es gibt Ausbilder und türkische Soldaten. Es gibt türkische Soldaten, die hier sind und mit den Peschmerga kämpfen oder die Peschmerga unterstützen in diesem Gebiet. Mit den Trainern hat keiner ein Problem. Sie sind mit Genehmigung des irakischen Regierungschefs gekommen. Und sie bilden weiter aus und niemand spricht darüber großartig. Im Gerede sind immer die türkischen Soldaten. Für uns sind diese Soldaten ein Problem, das zwischen Bagdad und Ankara gelöst werden kann. Wir wollen nicht Teil des Problems sein."
    Türkische Einheiten auf irakischem Territorium; das führte zu Verwerfungen zwischen Ankara und Bagdad. Der Vorwurf einiger irakischer Politiker: Die Türkei wolle sicherstellen, nach der Befreiung von Mossul Einfluss im Nord-Irak zu haben, hege darüber hinaus aber grundsätzlich sunnitische Großmacht-Gelüste. Die irakische Regierung selbst wird von schiitischen Arabern beherrscht, die recht enge Beziehungen zum ebenfalls schiitischen Iran unterhalten.
    Al-Nujaifi - immer noch ein Mann mit Einfluss
    Und der ist wahrscheinlich der stärkste regionale Konkurrent der Türkei. Es ist sicher, dass Ankara mit den irakischen Kurden genauso verbandelt ist wie mit Atheel al-Nujaifi. Er wurde zwar vor einem Jahr vom irakischen Parlament als Gouverneur entlassen, wegen Fehlverhaltens beim Vormarsch des IS 2014. Aber er ist immer noch ein Mann mit Einfluss, der mit dem Aufbau seiner Miliz noch gewachsen ist. Diesen "Hütern von Ninive" hat er für die Zeit nach dem IS bereits eine Aufgabe zugedacht: "Wir hoffen, dass diese Kraft in der Zukunft so etwas wie die Nationalgarde sein wird, die zu der Provinz oder der (autonomen) Region gehört. Aber sie soll die Lücke füllen zwischen der irakischen Armee und der lokalen Polizei."
    Und die Männer, die an dem Militärposten sehnsüchtig darauf warten, dass die irakischen Soldaten den IS aus ihrem Dorf vertrieben oder getötet haben werden…? Was halten sie von Nujaifis Plänen zur Teilung der Provinz Ninive? "Teilung? Würde Chaos bringen. Warum soll das Gebiet geteilt werden? Wir leben hier seit Urzeiten als Muslime und Christen zusammen. Und das ist auch kein Problem. Ich bin Schiit. In unserem Dorf leben aber auch Sunniten. Es gibt auch Christen und Jesiden. Hier, in der Ninive-Ebene mit Mossul im Zentrum, haben wir kein Problem. Wenn es eines gibt, ist es von außen hinein gebracht worden. Es soll so bleiben – hier ist der Irak (mit seinen vielen Minderheiten) im Kleinen wieder zu erkennen..." Und jeder, der das ändern will, sei ein Verräter.