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Zukunftspreis 2018
Angriff auf das Cytomegalie-Virus

Das Cytomegalie-Virus ist weit verbreitet. Es befällt Organe und kann zur Erblindung führen. Jetzt ist ein Forscherteam mit dem Zukunftspreis für die Entwicklung eines hoch effektiven Wirkstoffes gegen das Virus ausgezeichnet worden. Dieser habe keine Nebenwirkungen mehr, erklärte Preisträgerin Helga Rübsamen-Schaeff im Dlf.

Helga Rübsamen-Schaeff im Gespräch mit Lennart Pyritz | 29.11.2018
    Virus-Illustration
    Wirksame Virenbekämpfung ohne Nebenwirkungen wurde ausgezeichnet (imago)
    !Lennart Pyritz:!! Gestern Abend wurde in Berlin der Zukunftspreis 2018 verliehen. Die Auszeichnung aus den Händen von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nahm Helga Rübsamen-Schaeff entgegen. Sie ist Professorin für Biochemie und Virologie an der Universität Frankfurt am Main. Im Jahr 2006 hat sie in Wuppertal außerdem ein Biopharma-Unternehmen gegründet – als Ausgründung der Bayer AG, für die sie zuvor tätig war.
    Ausgezeichnet wurde sie gestern gemeinsam mit ihrem Forschungskollegen Holger Zimmermann für einen Wirkstoff, der Menschen vor dem Cytomegalie-Virus schützt. Ich habe Helga Rübsamen Schaeff vor der Sendung telefonisch in Berlin erreicht, und meine erste Frage an sie war, welche Eigenschaften dieses Virus hat?
    Helga Rübsamen-Schaeff: Das Cytomegalie-Virus ist ein sehr weit verbreitetes Virus, es kommt in allen Körperflüssigkeiten vor, und etwa 50 Prozent der Bevölkerung trägt dieses Virus in sich. Man infiziert sich häufig schon im Kindesalter und wird das Virus aber dann lebenslang nicht mehr los.
    Das Problem ist, dass normalerweise, wenn das Immunsystem intakt ist, man gar nicht merkt, dass man infiziert ist, deswegen kennen auch viele Menschen dieses Virus nicht. Wann immer aber eine Immunschwäche auftritt, aus welchem Grund auch immer, kann das Virus reaktivieren, sich ausbreiten und kann dann diverse Organe befallen. Das kann in den Darm gehen, das kann ins Auge gehen und zur Erblindung führen, es kann in die Lunge gehen und wird dadurch natürlich dann lebensgefährlich.
    Körperfremdes Gen im Virus wird angegriffen
    Pyritz: Wie wirkt denn jetzt dieser von Ihnen und Ihrem Kollegen entwickelte Wirkstoff gegen dieses Virus – für diese Entwicklung sind Sie ja gestern auch ausgezeichnet worden –, was ist der Wirkmechanismus dahinter?
    Rübsamen-Schaeff: Wir haben uns eben auf die Fahnen geschrieben, dass wir ein Gen des Virus angreifen wollten, was der Mensch nicht hat, sodass man einen Wirkstoff hat, der keine Nebenwirkungen hat und der auch hocheffektiv und, wenn es nötig ist, in hohen Dosen gegeben werden kann. Dieses Gen nennt sich Terminase, das ist ein Enzym, was dafür da ist, dass das Virus sein Erbgut in die richtige Länge schneidet sozusagen, damit es in ein neues infektiöses Viruspartikelchen verpackt werden kann.
    Pyritz: Welche Patientengruppe oder bei welchen Beschwerden kann dieser Wirkstoff dann besonders effektiv schützen?
    Rübsamen-Schaeff: Wir haben zunächst mal das Medikament für Patienten entwickelt, die Knochenmarkstransplantationen bekommen. Das sind ja überwiegend Krebspatienten, die einen Krebs des blutbildenden Systems hatten, also eine Leukämie, ein Lymphom, und dann behandelt man die erst mal mit Chemotherapie, was auch schon giftig fürs Knochenmark ist. Oft ist es dann auch so, dass der Krebs wiederkommt, und dann bleibt als letzte Möglichkeit nur noch, dass man das eigene Knochenmark zerstört, hoffentlich auch mit allen Krebszellen, und dann eben ein Spenderknochenmark gibt, was aber seine Zeit zum Anwachsen braucht. Und in dieser Zeit, wo das neue Knochenmark anwachsen soll, ist der Patient völlig schutzlos, was sein Immunsystem betrifft. Er hat kein Immunsystem, und das ist natürlich dann die Möglichkeit, dass das Virus sofort reaktiviert und sich überall ausbreitet. Das passiert etwa in 50 Prozent der Patienten, die Virusträger sind, also ein hoher Anteil hat diese Gefahr. Und wir konnten zeigen, dass unser Medikament das Virus sehr effektiv unterdrückt in dieser kritischen Phase nach der Transplantation, und wir konnten zeigen, dass die Patienten, die behandelt worden sind mit dem Medikament, dass die auch wesentliche Vorteile hatten im Gesamtüberleben.
    Keine Nebenwirkungen trotz hoher Wirksamkeit
    Pyritz: Es gab ja offenbar auch schon vorher Arzneimittel gegen das Cytomegalie-Virus. Welche Vorteile bietet denn nun der von Ihnen entwickelte Wirkstoff im Vergleich zu denen?
    Rübsamen-Schaeff: Das ist genau der Punkt: Die Arzneimittel, die im Markt waren, die sind sehr giftig fürs Knochenmark. Die greifen nämlich ein anderes Gen des Virus an oder Genprodukt des Virus an, die sogenannte Polymerase, also ein Enzym, was die Erbinformation vermehrt. Solche Polymerasen braucht der Mensch natürlich auch, weil wir ja auch unsere eigenen Zellen vermehren müssen und weil eben hier eine Wechselwirkung mit den menschlichen Enzymen besteht, sind die gängigen Medikamente, die bislang im Markt waren, allesamt toxisches Knochenmark, und genau deswegen konnte man sie eben in dieser kritischen Phase nach der Transplantation gar nicht einsetzen. Was man bisher gemacht hat – man hat gewartet, ob das Virus reaktiviert. Wenn es das getan hat, dann hat man mit den toxischen Medikamenten behandelt, weil man den Patienten ja nicht unbehandelt irgendwie in den Tod laufen lassen kann, aber es eben so, dass man das Virus nicht immer in den Griff kriegte. Unsere Studien haben sogar gezeigt, dass selbst wenn mit den gängigen Medikamenten das Virus wieder in den Griff kriegt, haben diese Patienten eine schlechtere Überlebenschance als Patienten, die von vornherein die Prophylaxe bekommen haben, mit unserem neuen Medikament.
    Pyritz: Ihr Medikament ist ja bereits auf dem Markt, unter anderem in Europa und in den USA. Wie ist der Schritt von der Forschung, vom Labor in die Apotheke gelungen?
    Rübsamen-Schaeff: Das ist natürlich ein langer Weg. Wir haben das Medikament 2004 entdeckt und patentiert, und zunächst mal müssen Sie natürlich Labortests machen, und wir haben natürlich im Labor nach Wirkstoffen gesucht, die besonders effektiv das Virus unterdrücken. Und wenn man das geschafft hat im Labor, freut man sich schon mal. Und dann kommt natürlich eine ganze Menge Testungen, zunächst mal am Tier und später am gesunden Menschen, und wenn Sie das hinter sich haben, gehen Sie erstmalig an den Patienten. Da konnten wir in unserer ersten Studie bei Knochenmarkempfängern zeigen, dass wenn man die Dosis des Wirkstoffes erhöht, man gleichzeitig sieht, dass immer weniger Virus reaktivieren kann. Und das war natürlich ein super Ergebnis. Wir sind damit zu den Behörden gegangen, und die haben gesagt, macht noch eine weitere Studie mit mehr Patienten, und wenn diese Studie das erste Ergebnis bestätigt, dann habt ihr eine große Chance, eine Marktzulassung zu erreichen.
    Weitere Anwendungsbereiche möglich
    Pyritz: Sie haben die Hoffnung geäußert, dass in Zukunft auch weitere Patientengruppen mit Immunschwäche von diesem Wirkstoff profitieren könnten, zum Beispiel Aids-Patienten oder Empfänger von Spenderorganen oder neugeborene Babys. Welche Schritte sind auf dem Weg dahin noch notwendig?
    Rübsamen-Schaeff: In jedem Fall braucht man, wenn man das als Firma vertreiben will, für diese jeweilige Indikation braucht man eine klinische Studie. Im Moment hat Merck Sharp & Dohme eine Studie laufen bei Nierentransplantierten, wo auch das Medikament wiederum prophylaktisch gegeben wird – in dem Fall über 200 Tage. Und wenn diese Studie positiv ist, dann muss man eben auch wieder einreichen und bekommt dann zusätzlich die Erlaubnis, für diese Indikation das Medikament zu vertreiben. Und so müsste es auch mit den anderen Indikationen geschehen. Parallel dazu ist es häufig so, dass Ärzte, die an der Klinik sind, für ihre Patienten eine bestimmte Studie beginnen, und wenn solche Studien positiv sind, kann dann die Firma immer noch überlegen, in derselben Indikation auch eine Studie zu machen, um die Zulassung zu bekommen.
    Immer Interesse für Neues
    Pyritz: War es auf Ihrem persönlichen wissenschaftlichen Weg eigentlich von Anfang an klar, dass Sie an der Entwicklung antiviraler Medikamente arbeiten wollen, oder haben Sie eigentlich ganz in einem anderen Gebiet angefangen?
    Rübsamen-Schaeff: Nein, ich bin ja Chemikerin von der Ausbildung und hab mich dann aber immer mehr für Lebenswissenschaften und auch medizinische Thematiken interessiert. Mein erstes großes Forschungsgebiet war die Krebsforschung, und da hab ich mir aber ein Virus gesucht, in dem Fall ein tierisches Virus, was Zellen zu Krebszellen macht, um zu studieren, was passiert da eigentlich biochemisch in der Zelle, wenn sie entartet. Daran habe ich viele Jahre gearbeitet, hab mich auch damit habilitiert, und dann kam aber HIV nach Deutschland, und das war ein Cousin meines Virus, wenn man das so sagen darf, auch ein Retrovirus, wie das Virus, an dem ich schon arbeitete. Wir haben dann in Frankfurt die ersten HIV-Stämme gezüchtet in Deutschland und haben gesehen, die sind alle unterschiedlich.
    Das hat mich dann natürlich wissenschaftlich so interessiert, dass ich begann, parallel an HIV zu arbeiten. So kam ich in Kontakt mit der Industrie, und eines Tages rief dann Bayer an und fragte, ob ich nicht kommen wollte. Und Bayer hat dann eben, als ich dann bei Bayer gearbeitet hab und die Infektionsforschung geleitet hab, immer auch Vorgaben gemacht, in welchen Indikationsgebieten man arbeiten sollte. Also das ist eine Entwicklung gewesen, aber ich hab das immer gerne gemacht, auch mal wieder was Neues anzufangen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.