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Zum 10. Jahrestag der Unabhängigkeit Bosnien-Herzegowinas

Peter Kapérn: Passend zum heutigen zehnten Jahrestag der Unabhängigkeit Bosnien-Herzegowinas versuchten Sfor-Soldaten gestern Radovan Karadzic zu fassen. Karadzic war zu Zeiten des Bürgerkrieges der Führer der bosnischen Serben. Völkermord wird ihm vorgeworfen. In Den Haag soll er auf der Anklagebank sitzen neben Slobodan Milosevic. Doch vorläufig wird daraus nichts, denn die gestrige Kommando-Aktion schlug fehl. Karadzic konnte entkommen. Bei uns am Telefon Hans Koschnick, Mitte der 90-er Jahre EU-Koordinator für den Wiederaufbau von Mostar und 98/99 Bosnienbeauftragter der Bundesregierung. Guten Morgen, Herr Koschnick.

    Hans Koschnick: Guten Morgen.

    Peter Kapérn: Herr Koschnick, in einer Zeitung heißt es heute, das wichtigste Signal der gestrigen Aktion sei, dass Karadzic sich nicht mehr sicher fühlen könnte. Ist es nicht im Umkehrschluss ein Skandal, wenn er es bislang konnte?

    Hans Koschnick: So sicher konnte er sich nicht fühlen. Er war ja längst schon untergetaucht. Aber er hat natürlich eine andere Form von Sicherheit: Ein Großteil der Bevölkerung serbischer Nationalität in Bosnien hält ihn für den Kriegshelden und schütze ihn. Seine Leibgarde, die um ihn herum ist, hat ja auch gekämpft in Foca. Sie haben immer gewusst: Wer Karadzic holen will, der muss viel riskieren. Aber es muss geschehen, damit die Opfer, die Vergewaltigten, die Verjagten und alle diejenigen, die gelitten haben, endlich einmal das Gefühl haben, dass die Internationale Gemeinschaft für Gerechtigkeit ist.

    Peter Kapérn: Aber Herr Koschnick, noch einmal nachgefragt: Warum erst jetzt? Es sind Jahre vergangen. Und warum gibt es noch immer überhaupt keine Spur von Mladic beispielsweise, der ja auch gesucht wird wegen der selben Anklagepunkte?

    Hans Koschnick: Es gab schon Spuren von Mladic, als er eine Zeit lang im Militärkrankenhaus in Belgrad bzw. in Serbien war, was allerdings schon ein halbes bis dreiviertel Jahr her ist. Ein wenig wussten auch die Informanten der Internationalen Gemeinschaft in Bosnien, wo sich Karadzic auch aufhielt, aber man hat immer wieder Zeit gebraucht, um wirklich die Planung so zu vollenden, dass man hoffte, ihn zu kriegen und zum anderen die Opfer möglichst gering zu halten, und zwar die Opfer auf eigener Seite.

    Peter Kapérn: Sie würden also den SFOR-Truppen nicht vorwerfen, dass sie nicht mit ausreichender Hartnäckigkeit versucht haben, die Verantwortlichen für Völkermord und Bürgerkrieg auf serbischer Seite zu erwischen?

    Hans Koschnick: Den Truppen werfe ich das nicht vor, aber der Führung von Truppen möglicherweise ja. Es gab ja einige Hinweise darüber, dass er auch von dem ein oder anderen Vertreter eines westeuropäischen Landes geschützt worden ist, die sicher gerne möchten, dass der Herr Gott eine Lösung für ihn findet, aber ihn ungern vor Gericht sehen möchten, weil vielleicht zu viel ausgeplaudert wird.

    Peter Kapérn: Könnten Sie das etwas präzisieren? Wen meinten Sie da, wer hat seine schützende Hand über Karadzic gehalten?

    Hans Koschnick: Es gab einige Male Informationen, öffentliche Bekundungen und einmal ist ein französischer Offizier abgelöst worden, weil bestimmte Dinge, die gemeinsam noch geplant waren, frühzeitig und unzulässigerweise in den Händen Milosevics bzw. Karadzic gelandet waren. Aber ich weiß im Moment nicht, wer der besondere Liebhaber dieses Herren ist?

    Peter Kapérn: Sie sagten vorhin, dass ein großer Teil der serbischen Bevölkerung Bosnien- Herzegowinas Karadzic als Kriegshelden betrachtet. Was besagt das über den Status des Zusammenlebens der Volksgruppen in Bosnien-Herzegowina am heutigen Tag?

    Hans Koschnick: Eigentlich gar nichts, denn Sie müssen wissen, dass in Kroatien das gleich Spektakel vonstatten geht: Ein Teil der Kroaten will um jeden Preis verhindern, dass kroatische Generäle, die beschuldigt werden, in Slawonien oder in der Ukraine für Kriegsverbrechen verantwortlich zu sein, vor Gericht gestellt werden, und es gibt auch gleiche Probleme im bosnischen Teil. Man darf nicht vergessen, dass da ein Krieg geführt wurde, in der die nationalen Gefühle sehr aufgewühlt wurden und wo sozusagen der Kampf gegen die andere Seite als Überlebenskampf gesehen worden ist. Die, die damals gesiegt oder gehandelt haben, gelten bei denen, die damals auf der falschen Seite standen, immer noch als ihre Helden und nicht als Verbrecher. Das ist die entscheidende Frage. Aber - wenn ich einmal fragen darf - war denn das 1945/6 in Deutschland anders? Haben denn die Deutschen alle diejenigen, die später wegen Kriegsverbrechen angeklagt worden sind, auch als Kriegsverbrecher gesehen?

    Peter Kapérn: Wir wollen aber immerhin...

    Hans Koschnick: Wenn man auf Ihre eigenen Geschichte zu sprechen kommt, dann weichen Sie aus. Darf ich Ihnen sagen, dass einige verurteilte Kriegsverbrecher frei gelassen wurden, damit sie in Ruhe in die NATO eintreten konnten?

    Peter Kapérn: Wenn das möglicherweise ein Fehler war, ist ja die Frage, ob das in Bosnien genauso geschehen muss?

    Hans Koschnick: Nein, eben nicht. Ich stehe genau auf der anderen Seite. Ich weiß, was wir den Menschen zufügen, wenn Karadzic nicht vor Gericht gestellt wird, ich weiß, was es bedeutet, wenn Mladic weiter noch von der serbischen Armee geschützt wird. Ich weiß was das bedeutet und ich möchte wirklich, dass gehandelt wird und dass diese verdammte Diplomatie, Vcorsicht vor einer Aussage vor Gericht, aufhört. Hier müssen meiner Meinung nach Verbrecher, von denen ich überzeugt bin, dass sie Verbrechen begangen haben, abgeurteilt werden.

    Peter Kapérn: Herr Koschnick, lassen Sie uns doch noch einmal kurz auf den Alltag in Bosnien-Herzegowina schauen. Sie haben eben gesagt, im Bürgerkrieg seien natürlich die nationalen Gefühle aufgewühlt worden. Ist das denn heute noch genau so der Fall wie an dem Tag, an dem der Krieg zu Ende gegangen ist, oder gibt es so etwas wie eine schleichende, langsame Normalisierung?

    Hans Koschnick: Es gibt diese langsame Normalisierung. Wenn man weiß, dass im letzten Jahr eine so große Zahl von Flüchtlingen in ihre Dörfer und Städte zurückgekehrt sind, gegen eine Mehrheitsbevölkerung einer anderen Nationalität, und dort in Ruhe wieder anfangen konnten zu bauen oder sich einzurichten, dann muss man sagen, dass es sich vor allem in den letzten zweieinhalb bis drei Jahren relativ viel in Bosnien getan. Aber wir haben noch Nationalisten im serbischen Land, im kroatischen Teil und auch im bosnischen Teil, die nicht mit dieser Entwicklung einverstanden sind, und damit muss man rechnen. Wenn Sie in einen Konflikt geraten sind mit Nachbarn, mit denen Sie gemeinsam im Kindergarten, in der Schule und im Sportverein waren und dann im gleichen Betrieb tätig waren und dann nur aus Gründen der Nationalität die eine als auch die andere Seite von unverantwortlichen Führern aufgehetzt werden, dann bleibt etwas mehr zurück als in einem anonymen Krieg, der als Schicksal empfunden wird. Noch hat das Schicksal einen Namen, den Namen des Nachbarn, und es dauert länger, bis sich das beruhigt.

    Peter Kapérn: Ist denn Ihrer Meinung nach Herr Koschnick schon bis heute die Frage definitiv beantwortet, ob ein so zersplittertes und mosaikartiges und immer noch von Gräben durchzogenes Land wie Bosnien-Herzegowina auf Dauer überleben kann?

    Hans Koschnick: Ich bin davon überzeugt, dass es auf Dauer überleben kann, aber es kommt darauf an, dass die Internationale Gemeinschaft die in Dayton akzeptierten nationalen Grenzen innerhalb eines Staates allmählich auflösen und ein gemeinsames Zusammenleben und eine gemeinsame Verantwortung für eine Republik erzeugen kann. Hier kommt es darauf an, dass die Internationale Gemeinschaft noch stärker als in den letzten beiden Jahren darauf hindrängt, dass der Staat wirklich ein stabiles Fundament bekommt. Die Menschen selbst werden, wenn sie eine Perspektive haben für eine persönliche Zukunft und wenn sie sehen können, dass ihre nationalen kulturellen Bedürfnisse gewahrt bleiben, einen Weg des Zusammenlebens akzeptieren. Sie haben 500 Jahre zusammen gelebt. Es gibt keinen Grund, alles auseinander brechen zu lassen. Allerdings sollten wir konsequenter sein und ihnen auch sagen, dass wir ihnen nur in dem Umfang helfen, wie sie auch bereit sind, ihren eigenen Staat zu stabilisieren.

    Peter Kapérn: Hans Koschnick war das heute Morgen im Deutschlandfunk. Er ist ehemaliger Bosnienbeauftragter der Bundesregierung. Herr Koschnick, vielen Dank für das Gespräch.

    Link: Interview als RealAudio