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Zum 200. Todestag des britischen Dichters
John Keats und die Schönheit der Wahrheit

Kein Dichter seit Shakespeare habe so kunstreiche und tiefgründige Sonette geschrieben wie John Keats, sagt man in England. Bis zu seinem frühen Tod am 23. Februar 1821 in Rom blieb er durchdrungen vom Glauben an Schönheit, Wahrheit und Liebe.

Von Christoph Schmitz-Scholemann | 23.02.2021
    Ein zeitgenössisches Gemälde zeigt den britischen Dichter John Keats schwelgerisch blickend auf ein geöffnetes Buch gestützt
    John Keats auf einem Ölgemälde von John Hilton nach einer Zeichnung Joseph Severns um 1822 (picture alliance / CPA Media Co. Ltd )
    Im Gedächtnis der Weltpoesie ist John Keats mit seinen Gedichten bis heute gegenwärtig. Mit seinen Hymen bekundete er einen unerschütterlichen Glauben an Schönheit, Wahrheit und Liebe. In seiner berühmtesten Ode aus dem Jahr 1819 wendet er sich an eine formvollendete "griechische Urne":
    "Und wenn das Alter uns in späten Tagen
    dahinrafft, wird inmitten neuen Leids Dein Geist
    ein Freund dem Menschen bleiben und ihm sagen:
    Schönheit ist Wahrheit, Wahrheit schön, mehr weißt
    Du nicht - Und mehr musst Du nicht wissen."

    Eine Todessehnsucht, die biografisch wurzelt

    Der Umgang mit schöner Literatur war John Keats nicht in die Wiege gelegt. Geboren wurde er im Oktober 1795 im Norden von London. Er war das erste von vier Kindern einer lebenslustigen Mutter und eines geschäftstüchtigen Vaters. Mit sieben Jahren kam Keats auf ein außerhalb der Stadt gelegenes Internat; die "Enfield Academy" war in heutigen Begriffen eine Reformschule. Selbstverantwortung, freies Denken, Toleranz verbunden mit Sport und klassischer Bildung - Keats scheint seine Schulzeit anfangs unbeschwert genossen zu haben. Bis zu jenem Abend im April 1804, als der Internatsleiter dem achtjährigen Jungen mitteilte, dass sein Vater, der ihn noch am Mittag besucht hatte, auf dem Heimweg tödlich verunglückt war. Einige Jahre später sollte auch seine Mutter sterben - Erfahrungen, die jene Todessehnsucht erklären können, die auch in seiner "Ode an eine Nachtigall" aufscheint:
    "Im Dunkeln lauschte ich und manchmal liebte
    ich beinah die Sanftmut leichten Sterbens
    und gab dem Tod gereimte Kosenamen"

    Anfangs abgetan als "Proleten-Poet"

    Nach der Schule begann Keats eine Apotheker-Lehre und ging anschließend als Chirurgie-Gehilfe in ein Krankenhaus, das mitten in einem schmutzigen und überbevölkerten Stadtteil Londons lag. Seine freien Stunden widmete er der Dichtung. Ein Sonett an die Einsamkeit war das erste Gedicht, das veröffentlicht wurde. Es erschien 1816:
    "Oh Einsamkeit, wenn ich schon mit Dir leben muss,
    dann lass es nicht in diesem wilden Haufen
    trüber Häuser sein. Komm, steig mit mir den Fels hinan,
    Sternwarte der Natur …"
    Der aus dem Alltag hinausstrebende, unternehmungslustige Ton trügt nicht: Keats hatte mit 20 Jahren Anschluss an einen Kreis politisch und künstlerisch wacher und kritischer Köpfe gefunden. Das half ihm auch, die anfangs sehr verhaltene Aufnahme seiner Verse zu ertragen, die man als "Proleten-Poesie" abtun wollte. Freundschaften wuchsen, man las einander vor, man wanderte, man lachte, trank, schnupfte Tabak. Von 1816 bis 1819 schuf Keats seine großen Versepen, seine Oden und Sonette. Er schrieb, wie er bekannte, stets unsicher und doch beseelt von der Hoffnung, sich und andere zu erfreuen und Ruhm zu gewinnen:
    "… und plötzlich wurde mit klar, was es ist, das den Erfolg … eines Dichters ausmacht … es ist die negative Fähigkeit, sich allen Unsicherheiten, Zweifeln und Mysterien auszuliefern, ohne nach Fakten und Vernunftgründen zu suchen …"
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    Tod in Rom

    Im Herbst 1818, kurz bevor sein jüngerer Bruder an Tuberkulose stirbt, verliebt sich John Keats leidenschaftlich in Fanny Brawne, ein Mädchen aus der Nachbarschaft. "Ich kann ohne Dich nicht atmen", schreibt er ihr und die beiden hätten wohl geheiratet, hätte Keats sich nicht Ende 1819 ebenfalls mit Tuberkuloseerregern infiziert. Im Februar 1820 spuckt er Blut und ahnt, was auf ihn zukommen würde. Im September schifft er sich mit einem Freund nach Italien ein. Die Hoffnung, das milde Klima werde ihn heilen, trügt. Am 23. Februar 1821 stirbt John Keats in Rom, friedlich in den Armen seines Freundes.
    "Weine nicht, ach weine nicht!
    Bald blüht die Blume wieder.
    Klage nicht, ach klage nicht!
    Im Herz der Wurzel schlafen neue Lieder"